Warum ein afrikanisches Land Israel vor einem UN-Gericht anklagt

Südafrikas besondere Freundschaft mit Palästina

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Leila Khaled, die an zwei Flugzeugentführungen der PFLP in den 60er und 70er Jahren beteiligt war, an einer BDS Veranstaltung in Südafrika. Foto PFLP / Twitter
Leila Khaled, die an zwei Flugzeugentführungen der PFLP in den 60er und 70er Jahren beteiligt war, an einer BDS Veranstaltung in Südafrika. Foto PFLP / Twitter
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Die muslimische Minderheit und die schwarze Mehrheit in Südafrika sind sich einig: Dem “Apartheidstaat” Israel muss im Nahost-Krieg Einhalt geboten werden.

von Markus Schönherr

Israel-Flaggen vor Tafelberg-Kulisse: An der Uferpromenade des jüdisch geprägten Kapstädter Bezirks Sea Point haben sich vor einigen Wochen Demonstranten versammelt, um sich mit Israel solidarisch zu zeigen. Ihnen gegenüber stehen Gegendemonstranten mit Palästina-Flaggen. “Babymörder!”, schallt es aus der Menge. Auf die Frage einer Reporterin, ob man nicht mehr Toleranz üben sollte, kennt einer der Versammelten schnell die Antwort: “Sorry, aber doch nicht gegenüber den Zionisten.” Seine Töne sind am Kap nicht neu: Schon vor Jahren hat der Nahostkonflikt den Südzipfel Afrikas erreicht.

Mit seiner Klage vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) gegen Israel geriet Südafrika nun in die Schlagzeilen. Pretoria wirft Israels Armee vor, beim Vordringen in den Gazastreifen gegen das Übereinkommen zur Verhütung und Bestrafung eines Völkermordes verstossen zu haben. Jeder hundertste Bewohner des Gebiets sei bereits getötet worden. “Und mit jedem weiteren Tag, an dem Israel die militärischen Angriffe fortsetzt, wird es weitere erhebliche Verluste von Leben und Eigentum geben”, argumentieren Südafrikas Anwälte in ihrem Plädoyer. Die Anhörungen vor dem IGH in Den Haag sind für Donnerstag und Freitag geplant.

Am Kap hat die Klage gegen Israel den Keil noch tiefer zwischen die verschiedenen Religionen und Volksgruppen getrieben. Überrascht reagierte aber kaum jemand. Seit vielen Jahren solidarisieren sich vor allem Vertreter der muslimischen Minderheit sowie der schwarzen Mehrheit mit den Palästinensern. Diese würden vom “Apartheidstaat” Israel ebenso unterjocht wie einst die Südafrikaner vom weissen Regime, meinen sie. Vor Supermärkten protestieren die Palästina-Unterstützer regelmässig für einen Boykott israelischer Produkte. 2014 sorgte ein Schweinekopf, platziert in der koscheren Theke eines Kapstädter Supermarkts, für Aufsehen.

Palästinenserführer Yasser Arafat (L) und Nelson Mandela in Mandelas Haus in Houghton. Johannesburg. Südafrika am 3. Mai 2001. Foto IMAGO / Gallo Images

Rückendeckung bekommt die Anti-Israel-Lobby vom regierenden Afrikanischen Nationalkongress (ANC). Legendär sind inzwischen die Zeitdokumente der historischen Freundschaft, die Zeitungen auch heute noch drucken: Fotos, auf denen Nelson Mandela den damaligen Chef der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), Jassir Arafat, umarmt und auf die Wange küsst.

Bisher schaffte die ANC-Regierung einen komplizierten Spagat zwischen Palästina-Solidarität und den eher pragmatischen Handels- und konsularischen Beziehungen zu Israel. Etliche jüdische, fast ausschliesslich weisse Südafrikaner sind Doppelstaatsbürger. Der Israel-Hamas-Konflikt brachte eine Wende. Im November zog Präsident Cyril Ramaphosa Südafrikas Diplomaten aus Tel Aviv ab. Kurz danach stimmte das südafrikanische Parlament sogar dafür, die israelische Botschaft in Pretoria zu schliessen. Mit der Klage vor dem IGH will der ANC einmal mehr seine “Entschlossenheit” unter Beweis stellen, “die Werte von Frieden, Gerechtigkeit und Menschenwürde hochzuhalten”.

Die Zeichen stehen also auf Konfrontation. Einige der 50.000 Juden am Kap klagen über wachsenden Antisemitismus. “Ausserstande, das Geschehen vor Ort zu beeinflussen, greift die Anti-Israel-Lobby darauf zurück, heimische Juden einzuschüchtern und zu bedrohen – und mit ihnen jeden, der es wagt, Israel auf irgendeine Weise zu unterstützen”, kritisiert die Direktorin der Dachorganisation Jewish Board of Deputies, Wendy Kahn. Sie verurteilt jüngste Übergriffe auf Pro-Israel-Demonstranten vor dem Kapstädter Parlament. Auch bei den Protesten in Sea Point musste die Polizei mit Blendgranaten und Wasserwerfern eingreifen.

“Es ist schwer zu sagen, ob der Antisemitismus seit dem 7. Oktober wirklich zugenommen hat. Wenn man Antizionismus als Deckmantel für Antisemitismus sieht, ist das sicher der Fall”, sagt der Religionshistoriker der Uni Kapstadt, Milton Shain. Nicht zuletzt unter Südafrikas Akademikern habe die Palästina-Lobby zuletzt vermehrt Unterstützer gefunden, so der Experte.

Auch in Pretorias Amtsstuben spielt politisch aufgeladene Religion eine Rolle. Am Wochenende warf Zane Dangor, ein hoher Beamter des südafrikanischen Aussenministeriums, Israel vor, “den Schmerz der jüdischen Unterdrückung über die Jahrhunderte” auszunutzen. Dadurch werde im Nahostkonflikt vom eigentlichen Problem abgelenkt. Dangor rechnet damit, dass sich die Beziehung zum Westen, allem voran zu den USA, wegen der IGH-Klage verschlechtert.

KNA/mit/api/cdt

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