Mit den Jahren sterben die Zeitzeugen aus, die noch persönlich vom Grauen der Nazi-Herrschaft berichten könnten. Umso wichtiger ist die Arbeit von Gedenkstätten.
von Sabine Kleyboldt
Die Gedenkstätte des früheren NS-Vernichtungslagers Auschwitz meldet eine langsame Rückkehr zur Besuchersituation vor der Corona-Pandemie. 2023 besuchten rund 1,67 Millionen Menschen den Museumskomplex am ehemaligen deutschen Konzentrationslager, 41 Prozent mehr als 2022, wie die Gedenkstätte Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau am Mittwoch im polnischen Oswiecim mitteilte. Darüber hinaus ist das Museum in Sozialen Medien aktiv und bietet modernste Museumspädagogik samt Online-Führungen, wie es hiess.
„Die Erinnerung an die tragischen Ereignisse von Auschwitz dient heute nicht nur als Grundlage für den Schutz der Welt vor den zerstörerischen Auswirkungen jeglicher Ideologien des Hasses und des Vorurteils, sondern prägt auch unsere moralische Verantwortung“, sagte Museumsdirektor Piotr Cywinski. Fast 90 Prozent der Besucher wollten unter der Anleitung der Museumspädagogen ihr Geschichtsbewusstsein erweitern. Dabei gehe es nicht nur um Wissenserwerb, sondern um Denkanstösse über eigene ethische Einstellungen, so Cywinski, der die Gedenkstätte seit 2006 leitet.
Darüber hinaus hätten Menschen weltweit nun die Möglichkeit, anhand einer einzigartigen Plattform Online-Live-Führungen zu erleben, betonte der Direktor. Durch die App „Auschwitz in Front of Your Eyes“ könne das ehemalige Lager online besichtigt werden. Dazu biete sie Multimedia-Materialien wie Fotos, künstlerische Arbeiten, Dokumente und Zeugnisse von Überlebenden.
Derzeit bieten 324 Museumsführer Führungen durch die Gedenkstätte in 20 Sprachen an. Die meisten Besucher 2023 waren Polen, gefolgt von Briten, Tschechen, Deutschen, Spaniern, US-Amerikanern, Italienern, Franzosen, Slowaken und Niederländern. Fast zwei Drittel der Reservierungen erfolgen über die Website visit.auschwitz.org.
Die Teilnehmerzahl zu Studienbesuchen stieg demnach um rund 12 Prozent auf 21.400, von denen die Hälfte aus dem Ausland kamen. Gerade Studierende seien Zielgruppe der Gedenkstättenangebote zur Aufklärung über das einstige deutsche Vernichtungslager Auschwitz und den Holocaust.
Der deutliche Besucheranstieg im 21. Jahrhunderts habe das Museum dazu veranlasst, ein neues Zentrum zu errichten, das im Juni eröffnet wurde. Daneben entsteht ein Hostel für Freiwillige, Praktikanten, Lehrkräfte und Teilnehmende an Konferenzen und Seminaren. Ebenso wurde der Kinosaal renoviert, in dem 2023 mehr als 250.000 Menschen eine 8-minütige Dokumentation über den Gedenkort sahen.
Ein wichtiger Bestandteil sei die virtuelle Erinnerungsarbeit in den Sozialen Medien, hiess es weiter. Mehr als 2,35 Millionen Menschen nutzten demnach die vom Museum veröffentlichten Inhalte, die Beiträge des Museums wurden über eine Milliarde mal aufgerufen. Auf dem Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) verzeichnet das Museum 1,6 Millionen Follower.
Weiter bietet die Gedenkstätte Material für Online-Unterricht, der auf der Website https://lekcja.auschwitz.org/12_de/ verfügbar ist. Die bislang 41 zweisprachigen Podcasts „Über Auschwitz“ wurden über 1,5 Millionen Mal abgespielt.
Auschwitz Auschwitz ist zum Synonym für den Holocaust geworden, den Massenmord am jüdischen Volk durch die Nationalsozialisten. In das grösste deutsche Konzentrationslager nahe der Kleinstadt Oswiecim im damals von Deutschen besetzten Polen wurden zwischen 1940 und 1945 deutlich über eine Million Menschen aus ganz Europa deportiert. Der weit überwiegende Teil waren Juden, dazu kamen etwa 140.000 Polen, Zehntausende Sinti und Roma sowie Tausende politische Häftlinge anderer Nationalität. Die Zahl der im KZ Auschwitz selbst und vor allem im dazugehörigen Vernichtungslager Birkenau Ermordeten wird auf etwa 1,1 bis 1,5 Millionen Menschen geschätzt. 1947 wurde auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers Auschwitz ein Museum zur Erinnerung an die Verbrechen des Holocaust gegründet. Das Gelände des Museums mit internationalem Bildungszentrum umfasst heute 191 Hektar. In einem Dialog- und Gebetszentrum arbeiten auch christliche Geistliche. Auf dem Gebiet des Museums sind Reste der Häftlingsbaracken, Ruinen der Gaskammern und Krematorien sowie Dutzende Kilometer des ehemaligen Lagerzauns. Auch die Eisenbahnrampe, an der sofort nach der Ankunft Häftlinge für die Ermordung in den Gaskammern "selektiert" wurden, ist erhalten. Seit 1979 sind die Überreste des Doppellagers als Weltkulturerbe-Stätte eingetragen. Holocaust ist die seit den 80er Jahren gebräuchliche Bezeichnung für die Massenvernichtung der rund sechs Millionen Juden während des Zweiten Weltkriegs. Der Begriff stammt vom griechisch-lateinischen Wort "holocaustum" ab. Es bedeutet "ganz verbrannt" oder "Brandopfer" und meinte ursprünglich ein Gott wohlgefälliges Opfer. Die Verwendung dieses Begriffs aus der sakralen Sprache für die NS-Verbrechen war deshalb nicht unumstritten. In Israel wird bis heute der eher säkulare hebräische Ausdruck "Schoah" gebraucht. Er bedeutet "Zerstörung" oder "Katastrophe".
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