Keine Pilger und die Kosten steigen

Israel im Dritten Kriegsmonat gegen die Hamas

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Der Eingang zu Grabeskirche fast menschenleer. Foto GORO
Der Eingang zu Grabeskirche fast menschenleer. Foto GORO
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Schauplatz: die Grabeskirche am 1. Weihnachtsfeiertag. Zu normalen Zeiten stehen hier Tausende Gläubige in einer Warteschlange, die bis weit hinaus auf den Vorplatz reicht. An diesem Montag kann man sie an zwei Händen abzählen. Auch das ist eine Auswirkung des Überfalls der Hamas auf den Süden Israels vom 7. Oktober. Absicht oder willkommenes Nebenprodukt aus Sicht der Terrororganisation. Israel ist jedenfalls auch wirtschaftlich schwer getroffen.

Zu normalen Zeiten drängeln sich Christen hinauf zum Golgatha-Altar. Mönche mussten in den letzten Jahren manchmal handgreiflich werden, wenn die Betenden den Altar nicht schnell genug verliessen, Platz für den nächsten machten. Am ersten Weihnachtsfeiertag 2023 kann man die Wendeltreppe zum Altar bequem hinaufsteigen und den Golgatha-Felsen aus allen Winkeln fotografieren. Es ist auch noch Zeit für ein Selfie. Niemand schiebt oder fordert einen zum Weitergehen auf. Weit und breit ist keiner der Mönche zu sehen, die sonst für Ordnung sorgen. Schon auf dem Weg zur Grabeskirche geht man durch fast leere Gassen der Altstadt, die meisten Läden sind geschlossen.

Die Hamas hat am 7. Oktober nicht nur 1200 Menschen ermordet, Israeli, Beduinen, Thailänder und Philippinos. Sie haben auch Frauen vergewaltigt, ganze Grenzdörfer geplündert und verbrannt, 240 Geiseln genommen. Es war noch keine Zeit den unermesslichen wirtschaftlichen Schaden zu berechnen, der Israel zugefügt wurde. Weihnachten und Ostern sind Pilgerzeiten, Hundertausende besuchen die zahlreichen christlichen Stätten in Jerusalem, Bethlehem und Nazareth. Der Tourismus macht rund zehn Prozent des Bruttosozialprodukts Israels aus. Im letzten Jahresquartal leiden Juden, Muslime und Christen gleichermassen unter dem Wegbleiben der gläubigen Gäste aus aller Welt.

Und das Kriegskabinett streitet. Eigentlich sollten sie zusammenhalten und der kämpfenden Truppe den Rücken stärken. Stattdessen ist der Nachtrags-Etat 2023 und das Budget 2024 ein ausufernder Streit ums Geld. Der Krieg hat bisher rund 20 Milliarden US-Dollar verschlungen und für das nächste Jahr muss mit einer ähnlich hohen Summe gerechnet werden. Es herrscht der Rotstift, das Budget mehrerer kleinerer Ministerien muss ganz gekappt werden. Zehn Minister, darunter der Verantwortliche für die Besserstellung der Frau in der Gesellschaft und das Büro zur Entwicklung der Negev-Wüste, haben ab 1. Januar keine Etats mehr.

Leere Gassen in der Altstadt. Foto GORO

Gleichzeitig beweint das ganze Land die steigende Zahl der gefallenen Soldaten, die zum Jahresende auf über 160 angewachsen ist. Israel hat eine offensive Trauerkultur. Namen und Fotos der Soldaten werden in den 20-Uhr-Nachrichten veröffentlicht, Filmeberichte über Beerdigungen inklusive der tränenerstickten Reden von Familienangehörigen strahlen in die Wohnzimmer des Landes hinein. Israel ist in der Trauer eine einzige Familie, gleichgültig, ob das Opfer orthodoxer oder säkularer Jude ist, der Drusen- oder der christlichen Gemeinde angehört.

Die Truppe ist motiviert, wird von der Militärführung regelmässig wiederholt. Denn fast jeder von ihnen kennt eines der über 400 militärischen Opfer oder der 4000 Verletzten, die sich am 7. Oktober den eindringenden Hamas-Terroristen in den Weg stellten und mangels Koordination überrannt wurden. Die schmerzhafte politische Abrechnung steht Israel noch bevor. Zuerst muss der Feind vernichtet werden. Solange ist Stillhalten angesagt.

Internationale Wirtschaft hat Vertrauen nicht verloren

Daran halten sich aber nicht alle. Wirtschaftsminister Nir Barkat, langjähriger Bürgermeister von Jerusalem, tobt mit erhobener Faust gegen seinen Parteifreund und Ministerpräsidenten Benyamin Netanyahu: „Die Zahl der Bomben auf Gaza hat dramatisch abgenommen. Soldaten werden in Sprengfallen geschickt und getötet wie die Tontauben“. Netanyahu widerspricht ihm vehement, aber die öffentliche Diskussion gegen das Kriegskabinett ist eröffnet. Auch die militärische Führung wird nicht ausgespart.

Grund genug für einen Appell des Staatspräsidenten Isaac Herzog in den Hauptnachrichten: “Der Feind wartet doch nur darauf, den Spaltpilz zwischen uns zu sehen, wie wir uns gegenseitig bekämpfen. Er sieht die internen Konfrontationen, die Ego-Kämpfe und wie wir uns gegenseitig die Köpfe politisch einschlagen. Der Feind reibt sich doch die Hände, ob unserer Uneinigkeit. Ich wende mich direkt an jeden, der in der Öffentlichkeit steht oder in der Politik aktiv ist: hört auf zu streiten. Zeigt Verantwortungsbewusstsein, haltet euch noch einige Zeit zurück mit euren politischen Kampagnen und Botschaften“, beschwört er sein Publikum.

Zumindest die internationale Wirtschaft hat das Vertrauen in Israel nicht verloren. Die Firma Intel, einer der grössten Chip-Hersteller der Welt, die seit über 50 Jahren auf Israels High-Tech-Industrie setzt, veröffentlichte am 2. Weihnachtsfeiertag eine mittlere Sensation mitten in Kriegszeiten: die US-Firma will in den nächsten Jahren 15 Milliarden US-Dollar in ihre Produktionsstätte in Kiryat Gat investieren, zusätzlich zu den 2019 zugesagten 10 Milliarden US-Dollar. Die High-Tech-Fabrik, die sich bereits im Bau befindet und mit 12 000 Mitarbeitern Israels grösster privater Arbeitgeber ist, bekommt aus Jerusalem einen Zuschuss von 3,2 Milliarden US-Dollar. Die höchste Subventionssumme, die Israel je versprochen hat.

Pat Gelsinger, Intels Vorstandsvorsitzender, beschrieb kürzlich seine Beziehungen zu Israel in einem Interview mit dem US-Sender FOX:  “17 Prozent unserer Angestellten leisten derzeit Wehrdienst, einige sind im Kampf gefallen, mehrere haben ihre Kinder verloren und wir warten auch auf die Befreiung von verschleppten Geiseln. Wir haben unser Team finanziell, emotional unterstützt… das israelische Volk ist das robusteste Volk auf Erden.  Sie haben in unserer Fabrik nicht einen einzigen Halbleiter weniger produziert und geliefert als vertraglich zugesagt – trotz des Krieges. Das ist der Grund, warum wir so tief an sie glauben“.

Über Godel Rosenberg

Journalist, Autor, High­techunternehmer. Godel Rosenberg war Pressesprecher der CSU und von Franz Josef Strauß, Fernsehjournalist, TV­-Moderator und Repräsen­tant des Daimler­-Konzerns in Israel. Von 2009 bis 2018 war Godel Rosenberg der Repräsentant Bayerns in Israel.

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