«ZORA» – Feministinnen auf Abwegen

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Foto Screenshot Instagram
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Am 20. Dezember 23 wurden in Berlin laut Pressemeldung der Polizei Berlin Durchsuchungen wegen „Propaganda für die Volksfront für die Befreiung Palästinas“ durchgeführt. Die Organisation, abgekürzt PFLP, ist verantwortlich für mindestens elf Terroranschläge und wird daher von der Europäischen Union als Terrororganisation gelistet. In der Polizeimitteilung wird darauf verwiesen, dass die Beschuldigten mutmasslich der Gruppe „ZORA“ angehören, einer feministischen Organisation mit Ortsgruppen in mehreren deutschen Städten und Ablegern in der Schweiz und Frankreich.

Tatsächlich hatte die Berliner Gruppe gemeinsam mit der Dachorganisation auf Instagram am 12. Oktober in Folge des Angriffs der Hamas auf Israel einen Beitrag geteilt, in dem es hiess, dass die Hamas kein Interesse daran habe, das Patriachat zu zerschlagen und es deshalb wichtig sei, „fortschrittliche Kräfte, wie z.B. die PFLP, die auch Teil des palästinensischen Widerstands sind, zu stärken!“. Auf der Website von ZORA führt die Organisation aus, dass sie zwar die sexuelle Gewalt der Hamas verurteile und solche Gewalt auch in Kriegszeiten abzulehnen sei, aber die Hamas nur bestehe, weil es Israel gebe. In einer ersten Reaktion hatte sich ZORA noch klarer geäussert und das Massaker am 7. Oktober als „Beginn der Rückeroberung des palästinensischen Landes“ bezeichnet. Es handele sich nicht um Terrorismus, sondern um Selbstverteidigung. Zwar vertrete die Hamas eine reaktionäre Ideologie und die „patriarchal-geprägten Kriegspraktiken der Hamas“ seien nicht zu entschuldigen, jedoch verliere „der Kampf und der Angriff auf die Besatzungsmacht dadurch nicht an Legitimität“. Auch in diesem Text beklagt ZORA, dass die „bürgerlichen Propagandamaschine die Beteiligung fortschrittlicher Gruppierungen wie der PFLP“ an diesem aus ihrer Sicht berechtigten Kampf ignoriere.

Während ZORA beispielsweise die Gewalt anprangert, die Afghaninnen und Iranerinnen in ihren Ländern angetan wird, sowie den Mord an einer Afghanin in Berlin durch ihren Ex-Mann, wird die Gewalt gegen Palästinenserinnen ursächlich nur Israel zugeschrieben. Wenn die Unterdrückung der islamistischen Hamas von Palästinenserinnen erwähnt wird oder auch nur die allgegenwärtige Gewalt gegen Frauen in einer fundamentalistisch geprägten Gemeinschaft, wird diese Gewalt als Folge der Unterdrückung durch die „Besatzungsmacht“ beschrieben. Deren koloniale militärisch-patriarchale Gewalt führe zu nach innen gerichteter Unterdrückung, die dann zuvorderst die Frauen treffe. Zudem hätten internationale Nichtregierungsorganisationen, die auf die Gewalt gegen Frauen in palästinensischen Gebieten aufmerksam machen, eine neo-liberale Agenda. Deren Kritik sei eine orientalistische Diffamierung, die palästinensische Männer dämonisiere. Aus dieser Betrachtungsweise folgt, dass Frauenbefreiung nicht in einem kolonialen System geschehen könne, weshalb Frauen zunächst gegen das koloniale System ankämpfen müssten.

Gegen den Kapitalismus

Mit dieser Begründung stellen ZORA und vergleichbare feministische Gruppen ihr vorgebliches Anliegen hinter ein grösseres Anliegen zurück, das zuerst zu erreichen sei. Erst wenn das wichtigere Ziel erreicht ist, sei auch die Befreiung der Frau möglich. Beim Thema Palästina ist diese Hierarchisierung von Frauenrechten als nachrangig besonders deutlich, aber auch allgemein beschreibt die Organisation ihr Ziel als nicht den klassischen feministischen Zielen entsprechend, sondern gegen Kapitalismus gerichtet. „Es müssen sich die Eigentums- und Produktionsverhältnisse ändern, um die Geschlechterrollen in der Gesellschaft zu beenden.“

Damit steht die Organisation in der Tradition vom Marxismus inspirierter Bewegungen der 1970er Jahre, die die Frauenfrage als Nebenwiderspruch betrachteten, der sich im Kommunismus auflösen werde.

Genauso wie einige dieser Bewegungen betrachtet ZORA dann auch jedes Mittel als gerechtfertigt, das dem Erreichen dieser Ziele dient. Die auf den ersten Blick überraschende Unterstützung einer feministischen Organisation für Terrorismus erklärt sich somit daraus, dass diese Organisationen eben nicht feministisch im Sinne des Eintretens für Frauenrechte sind, sondern sich vielmehr der Abschaffung von Kapitalismus, Kolonialismus und anderer linker Feindbilder verschrieben haben.

Überraschend bliebt hingegen, dass sie in ihrer Haltung von anderen, eher etablierten Frauenorganisationen flankiert werden, die durchaus angeben, sich in erster Linie für Frauenrechte einzusetzen. Die meisten dieser Organisationen rechnen sich dem Spektrum des intersektionalen Feminismus zu. Laut Heinrich Böll Stiftung kann diese Richtung folgendermassen beschrieben werden: „Das Konzept der Intersektionalität kommt aus Schwarzen aktivistischen Bewegungen und wurde insbesondere von der Juristin Kimberlé Crenshaw geprägt. Der Begriff beschreibt, wie verschiedene Formen der Diskriminierung und Ungleichheit zusammenwirken, sich gegenseitig verstärken und eine neue Art der Diskriminierung hervorbringen. Der Ansatz macht damit deutlich, dass soziale Kategorien wie race, Gender, sexuelle Identitäten, Abilities und soziale Klassen nicht isoliert voneinander auftreten, sondern sich überschneiden und verweben. Der Name „Intersektionalität“ leitet sich dabei vom englischen Begriff „intersection“ ab: Überschneidung, Kreuzung oder Schnittpunkt.

Intersektionaler Feminismus setzt sich dafür ein, die komplexen Lebensrealitäten von Menschen und die Auswirkungen von multiplen Diskriminierungen und Privilegien zu betrachten und die Anliegen von marginalisierten Gruppen ins Zentrum des feministischen solidarischen Handelns zu stellen.“

Diese inzwischen auch an Universitäten weit verbreitete Interpretation von Feminismus stellt nicht mehr die universalen Menschenrechte jeder Frau in den Fokus und benennt die jeweiligen Gefahren für individuelle Frauen, sondern identifiziert Diskriminierung gegen Gruppen. Durch eine Hierarchisierung der Gruppen, beispielsweise „Weisse“ als privilegiert, wird es möglich, Verbrechen gegen Frauen einer „privilegierten“ Gruppe zu rechtfertigen. Israelische Frauen werden, ganz im Einklang mit antisemitischen Stereotypen, einer mächtigen und damit privilegierten Gruppe zugeordnet, womit nicht nur ignoriert wird, dass die Mehrheit der Israelis nicht weiss ist, sondern auch Verbrechen gegen israelische Frauen als Widerstand gerechtfertigt werden. Schliesslich handele es sich um die notwendige Gewalt einer unterdrückten Gruppe (Palästinenser) gegen eine mächtige Besatzungsmacht.

PFLP als Widerstandsorganisation

Nach dieser Denkart wird zwar pro forma die Gewalt der Hamas verurteilt, aber dennoch die Gewalt gegen Israel und damit auch gegen israelische Frauen gerechtfertigt. Organisationen wie das teils vom Auswärtigen Amt in Deutschland finanzierte Center for Feminist Foreign Policy (CFFP) arbeiten dann auch mal mit Gruppierungen wie Wi’am: The Palestinian Conflict Transformation Center zusammen, das ausdrücklich die antisemitische Boycott, Divestment and Sanctions-Bewegung (BDS) unterstützt, Israel als Apartheid diffamiert und das Existenzrecht abspricht. Die Veranstaltung, die 2021 stattgefunden hat, widerspricht damit klar dem BDS-Beschluss des deutschen Bundestages von 2019. Dennoch bleibt das CFFP weiter offiziell Partner des Auswärtigen Amtes, zuletzt bei der Klimakonferenz in Dubai im Dezember 23.

Während diese politische Unterstützung für Extremismus bis heute kaum geahndet und teils sogar gefördert wird, gehen Staatsanwaltschaft und Polizei zumindest in Berlin nun gegen die offen Gewalt unterstützende Organisation ZORA vor. Der eingangs erwähnte Flyer war dabei kein Einzelfall. In einem am 5. Oktober 23 als ZORA-Podcast veröffentlichten Gespräch wird die PFLP als Widerstandsorganisation bezeichnet und die verurteilte PFLP-Terroristin Leila Khaled als Beispiel feministischen Widerstandes glorifiziert. Die Podcast-Episode featured eine Vertreterin der Organisation Samidoun, die als Vorfrontorganisation der PFLP gilt und seit November in Deutschland ebenfalls verboten ist. Trotz des Verbots erklärt ZORA weiter ausdrücklich Solidarität mit Samidoun und beteiligt sich an Aktionen aus dem Umfeld von Samidoun.

Anders als die im sicheren Europa lebenden Terrorversteherinnen versuchen Palästinenserinnen, die gegen sie gerichtete Gewalt zu thematisieren. Nach einem besonders brutalten Ehrenmord veranstalteten tausende Palästinenserinnen 2019 Demonstrationen gegen Gewalt gegen Frauen. Dabei erteilte eine Organisatorin den Männern, die die Frauen aufforderten, sich ausschliesslich auf den Kampf gegen Israel zu konzentrieren, eine deutliche Absage. Die Frauen hätten oft genug ihre richtige Gesinnung unter Beweis gestellt, aber seien genau in diesem Bereich des politischen Kampfes verbaler und sexueller Belästigung ausgesetzt gewesen sowie Disziplinarverfahren, um Frauen unter Kontrolle zu halten. Statt hohler auf hohle Slogans werde sich die Frauenbewegung nun auf den Schmerz und die Geschichte der Menschen konzentrieren.

Solange jedoch Klassenkampf und Gruppenidentitäten bei feministischen Organisationen in Europa im Vordergrund stehen, können sich Palästinenserinnen keine Unterstützung aus dem Westen erhoffen.

Über Rebecca Schönenbach

Rebecca Schönenbach arbeitet als unabhängige Beraterin im Bereich der Terrorismusbekämpfung, speziell auch zum Themenbereich islamische Finanzierungen, außerdem auslandsbezogenem Extremismus. Als Spezialistin für Scharia und islamischen Extremismus hält sie Vorträge und berät Behörden, NGOs und Unternehmen. Darüber hinaus schreibt sie Fachbeiträge zu den Themenbereichen Islamic Finance, Islamismus, Radikalisierung und Frauenfeindlichkeit.

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4 Kommentare

  1. Leider hat Frau Schönenbach nicht erwähnt, dass es eine Querfront zwischen “Zora” und den, von den Grünen beherrschten “Fridays For Future” (FFF) gibt. Am 15. September hielt eine “Zora-Sprecherin in Berlin beim, von FFF veranstalteten sogenannten “Klimastreik” eine Rede.

  2. Vielen Dank für diese einordnende Zusammenfassung. Interessanterweise bringt die hiesige Presse (in D) nur kurze Meldungen über die Durchsuchungen, verliert jedoch kaum Worte über die Ausrichtung dieser Organisation.

  3. Danke für den sehr gut und verständlich geschriebenen Beitrag! Leider bemerken viele Menschen, die sich selbst für progressiv und gut informiert halten, immer noch nicht, auf welch dreiste propagandistische Lügen sie hereinfallen. Es hat mich besonders schockiert dass selbst das Auswärtige Amt der Bundesrepublik eine Institution unterstützt, die nicht davor zurückschreckt, mit Organisationen zusammen zu arbeiten, die die antisemitische BDS-Bewegung unterstützen, Israel der Apartheid diffamieren und Israel das Existenzrecht absprechen wollen.

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