Expertin: “Überlebensschuld” gefährdet israelische Gesellschaft

0
Ella M (R), die Tante der 4-jährigen israelisch-amerikanischen Geisel Avigail Idan, die am 7. Oktober von Hamas-Terroristen entführt wurde, nachdem ihre beiden Eltern ermordet worden waren, umarmt Inbar Goldstein (L), die ebenfalls Angehörige bei der terroristischen Hamas-Mordaktion am 7. Oktober verloren hat. Foto IMAGO / UPI Photo
Ella M (R), die Tante der 4-jährigen israelisch-amerikanischen Geisel Avigail Idan, die am 7. Oktober von Hamas-Terroristen entführt wurde, nachdem ihre beiden Eltern ermordet worden waren, umarmt Inbar Goldstein (L), die ebenfalls Angehörige bei der terroristischen Hamas-Mordaktion am 7. Oktober verloren hat. Foto IMAGO / UPI Photo
Lesezeit: 2 Minuten

Schuldgefühle von Überlebenden des Hamas-Terrors verändern nach Einschätzung von Ayelet Gundar-Goshen derzeit die israelische Gesellschaft. “Das Phänomen der ‘survivor guilt’ ist eine der gefährlichsten Folgen, die dieser Anschlag für die einzelnen Betroffenen, aber auch für die israelische Gesellschaft als Ganze haben könnte”, sagte die preisgekrönte Schriftstellerin und studierte Psychologin der “Süddeutschen Zeitung” (Donnerstag). So sei Tel Aviv nicht wiederzuerkennen: “Die Straßen sind abends tot.”

Zu einem gewissen Grad sei es verständlich, dass vielen Menschen angesichts des Kriegs nicht zum Feiern zumute sei. “Aber manche Überlebende denken, sie verdienten es zu leiden, als Strafe dafür, dass sie leben und ihre Liebsten tot sind”, erklärte die Autorin, die im vergangenen Sommersemester die Amoz-Oz-Gastprofessur an der Münchner Uni innehatte. “Andere denken, sie hätten kein Recht auf psychische Betreuung, weil es andere ja noch schlimmer getroffen hat.”

Sie habe eine Patientin gebeten, etwas wieder zu tun, was sie früher gern gemacht habe, nämlich im Park zu joggen und Musik von Taylor Swift zu hören. Die Frau habe irritiert reagiert mit den Worten: “Da sitzen mehr als hundert Geiseln in Gaza – und Sie empfehlen mir, Taylor Swift zu hören?” Sie, Gundar-Goshen, sehe es jedoch als “Aktivismus für die Geiseln”, wenn Menschen sich selbst Gutes täten: “Denn wenn du in die Depression versinkst, kannst du nicht mehr für sie kämpfen. Entscheide dich weiterzuleben, denn wenn du das nicht tust, gewinnt die Hamas.”

Schuldgefühle seien “wie Giftpfeile in unseren Herzen”, sagte die Psychologin. Sie begegne diesen Zuständen in ihrer Arbeit täglich: Betroffene fühlten sich im Nachhinein feige, hilflos und schwach. Sie versuche, ihnen eine andere Sichtweise zu vermitteln: “Es wäre ungerecht, dich selbst zu hassen – weil du alles getan hast, um zu überleben.” Und weiter: “Deine Freunde oder Angehörigen, die entführt wurden oder sterben mussten, wären deshalb nicht enttäuscht. Sondern froh, dass wenigstens du es geschafft hast. Und deshalb musst du nun auch leben, nicht nur trauern.”

KNA/pko/jps

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.