Albert Stahel, «Hamas-Aktivisten» und «israelische Kriegsverbrechen»: Quo vadis, Inside Paradeplatz?

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Albert Alexander Stahel, während einer ORF-Diskussionssendung, bei der sich Stahel abschätzig über Bundesrat Ueli Maurer geäussert hat. Foto Screenshot ORF.at
Albert Alexander Stahel, während einer ORF-Diskussionssendung, bei der sich Stahel abschätzig über Bundesrat Ueli Maurer geäussert hat. Foto Screenshot ORF.at
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Ein Kolumnist der Newsplattform Inside Paradeplatz behauptet unter anderem, Israels Kriegsführung «gleiche einem Genozid». Daraufhin verschafft ihm der Herausgeber der Plattform zusätzlichen Raum, indem er ihn zum Thema interviewt. Was ist da los?

Albert Stahel, 80, ist emeritierter Professor für strategische Studien an der ETH und der Universität Zürich. Gegenwärtig amtiert er auf der Newsplattform Inside Paradeplatz als Kolumnist für allerhand Militärisches.

Schon bevor Israel seine Offensive zur Eliminierung der Hamas startete, wiesen Stahels Einschübe zum Nahen Osten mitunter kuriose Züge auf. So dozierte er einen Tag nach dem grössten Pogrom seit dem Holocaust, dass Israel seine Abwehr nicht vernachlässigen könne, solange «die Palästinenserfrage nicht gelöst ist.» Offenbar war das Massaker vor dem Hintergrund gewisser nicht gemachter Hausaufgaben zu betrachten – oder anders gesagt, in seinem Kontext.

Eine Woche später schrieb Stahel von Männern, die «mit Scharfschützen-Gewehren auf israelische Soldaten warten» – und nannte sie «Hamas-Aktivisten». Wieder eine Woche später erklärte er, dass «die Mordaktion im südlichen Israel eine Falle der Hamas für die israelischen Streitkräfte gewesen sein dürfte.» Bei den Babyenthauptungen und Massenvergewaltigungen schien es sich also um Teile einer unkonventionellen Hinterhalts-Taktik eines militärischen Underdogs zu handeln. Ziemlich smart, diese Hamas-Aktivisten!

Vom Kuriosen ins Günter-Grass’sche

Ende Oktober begann Israel seine Offensive in den Gazastreifen. In Stahels Kommentaren hatte das eine Veränderung vom Kuriosen in etwas anderes zur Folge. Seine Sätze begannen immer mehr an das zu erinnern, was der greise Günter Grass einst unbedingt noch gesagt haben musste.

Am 4. Dezember erschien Stahels Text «Schande für die gesamte Christenheit». Der Professor schrieb von «Flächenbombardierungen» durch Israel, die «einem Genozid gleichen.» Er warnte vor einer «Massakrierung unschuldiger [palästinensischer] Zivilisten, so Frauen und Kinder.» Und gab zu bedenken, dass Israels Handeln zur «Auslöschung der gesamten Bevölkerung von Gaza führen könnte». Seine Konklusion: Dass die Christenheit gegenüber dem offenbar ausser Kontrolle geratenen Staat der Judenheit so «passiv» bleibe, sei «schockierend.»

Foto Screenshot “Inside Paradeplatz”.

Die Woche darauf veröffentlichte er seinen bisher letzten Kommentar. Es handelte sich dabei um ein etwa zwei Tweets langes Textchen mit dem schlichten Titel «Kriegsverbrechen». Die israelische Armee, konstatierte der Professor, verstosse «mit ihrer Kriegsführung eindeutig gegen die vier Genfer Konventionen des humanitären Völkerrechtes von 1949.» Als «bekannte Verletzungen» nannte er «das Töten, die Deportation, das Aushungern der Zivilbevölkerung, die Zerstörung des Gesundheitswesens und die Erniedrigung der Kriegsgefangenen durch ihre Entblössung und Zurschaustellung.» «Demzufolge», resümierte er, «sind die israelische Armee und Israels Ministerpräsident und Kriegsherr Benjamin Netanjahu beim internationalen Strafgerichtshof in Den Haag anzuklagen.» Die Hamas blieb unerwähnt.  

Quo vadis, Inside Paradeplatz?

Mit Stahel selbst hat alles seine Richtigkeit. In der Schweiz herrscht bekanntlich Glaubens- und Gewissensfreiheit. Wenn der Professor glaubt, Israel führe «einem Genozid gleichende» Bombardements durch, dann ist das sein gutes Recht. Und wenn ihn sein Gewissen nötigt, für «Kriegsherr Netanjahu» endlich Konsequenzen zu fordern, dann steht er unter dem Schutzschirm unserer Verfassung.


Unklar ist hingegen, warum der Betreiber von Inside Paradeplatz, Lukas Hässig, Stahel die Stange hält. Warum sieht er nicht nur von einer Trennung ab, sondern verschafft ihm mit Interviews zum Thema noch zusätzlichen Raum? Sieht er in Stahels Texten Thesen, die eine gedankliche Auseinandersetzung verdienen? Oder teilt er dessen Ansichten in Bezug auf Israel gar – und ist froh, dass sein Kolumnist ausspricht, was er selbst nicht (so deutlich) sagen will?

Möglich ist auch, dass Hässig ganz genau weiss, dass Israels Bombardements nicht «zur Auslöschung der gesamten Bevölkerung von Gaza führen können.» In diesem Fall stünden hinter seiner Entscheidung, Texte zu publizieren, in denen das Gegenteil behauptet wird, wohl wirtschaftliche Überlegungen – oder, profaner gesagt, die Devise «N’importe quoi, solange es Klicks bringt».

Eine Kette ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied, ein Medium nur so seriös wie sein abgedriftetster Schreiber. Nach dem Pogrom vom 7. Oktober ist auch hierzulande klar wie nie zuvor, in welch desolatem intellektuellen und moralischen Zustand sich die woke Linke befindet. Eine bürgerliche Korrektur nicht nur der Politik, sondern der ganzen Kultur ist nötiger denn je. Ohne prinzipienfeste und intelligent auftretende bürgerliche Medien wird diese Korrektur aber nicht gelingen. Quo vadis, Inside Paradeplatz?

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