Sebastian Voigt schreibt, er habe sein Buch vor dem Terror der Hamas am 7. Oktober fertiggestellt. Die sich überschlagenden Ereignisse bekommen noch Platz in einem Nachwort. Das Buch ist seit Freitag auf dem Markt.
von Leticia Witte
Passend zur düsteren Lage kommt jetzt dieses Buch heraus: „Der Judenhass. Eine Geschichte ohne Ende?“ von Sebastian Voigt. Dass es eine solche Aktualität bekommt, war freilich nicht abzusehen. Denn in einem Nachwort schreibt der Autor, dass er das Buch vor dem 7. Oktober abgeschlossen hatte. Dem Tag, als die Hamas Israel mit Terror überzog, der sich gezielt gegen Juden richtete. „Das Schutzversprechen für alle Juden, in einem jüdischen Staat ohne Angst leben zu können, wurde durch den Massenmord konterkariert“, so Voigt.
Der wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Zeitgeschichte München/Berlin wirft einen Blick auf antisemitische Auswüchse, die sich in der Folge des Terrors und des Gegenschlags Israels auch in Europa und den USA Bahn brachen: Sie zeigten unterschiedliche Formen des Judenhasses, vom israelbezogenen Antisemitismus über eine Täter-Opfer-Umkehr bis hin zu Verschwörungserzählungen, heißt es. Für Deutschland hat das Bundeskriminalamt vom 7. Oktober bis Mitte November rund 3.300 Straftaten mit Bezug zu Nahost registriert.
Zeithistoriker Voigt schreibt, er sei insgesamt geschockt und sprachlos, aber nicht verwundert. Denn Judenhass habe eine lange Tradition – die er selbst mit dem Buch nachzeichnet, von der Antike bis heute. Die vergangenen Wochen hätten die traurige Aktualität der Neuerscheinung deutlich gemacht. Voigt: „Diese Feststellung ist deprimierend.“ Für ihn sind die Hamas und ihre Verbündeten das größte Hindernis für einen langfristigen Frieden in der Region.
Dieser deprimierenden Lage auf dem Feld des Antisemitismus kann aus Sicht von Peter Steinbach, Wissenschaftlicher Leiter der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand, nur kenntnisreich etwas entgegengesetzt werden: Gegen eine „oft beklagte Verschiebung des Sagbaren“ helfen nur Argumente, die sich auf historisches Wissen stützen, wie er im Vorwort schreibt. Denn: Der Antisemitismus sei Teil eines Denkens geworden, das sich immer wieder neu Argumente gesucht und gegen Einwände gewappnet habe.
Antike und Mittelalter als „Ursprung des Hasses“
Historische Kenntnisse seien wichtig, um Vorurteile und Verleumdungen sowie Argumente der „Dummheit und der Inhumanität“ einzuordnen. Voigt selbst verfolgt nach eigenem Bekunden ein ziemlich großes Ziel, zu dem das Buch beitragen soll: die Abschaffung des Judenhasses. Wobei er betont, dass dies keine wissenschaftliche, sondern eine gesellschaftspolitische Aufgabe sei. Denn Antisemitismus sei ein Gegenentwurf zu Demokratie und zur Freiheit des Einzelnen, die Beschäftigung mit ihm letztlich eine Gesellschaftsanalyse.
Voigt zeichnet nach, wie im Laufe der Geschichte Juden immer wieder für gesellschaftliche Entwicklungen und ihre Folgen verantwortlich gemacht wurden. Er beginnt in Antike und Mittelalter als „Ursprung des Hasses“. Weiter geht es in den Kapitalismus und Frühsozialismus, dann später weiter über die Reichsgründung 1871 bis hin zur Vernichtungsideologie des NS-Staates. Es folgen Feindschaft in Bundesrepublik und DDR und seit der Zeit der Wiedervereinigung bis heute. Man denke etwa an den Anschlag auf die Synagoge in Halle vor vier Jahren.
Als Formen von Judenhass, die sich im Laufe der Geschichte wandelten, schlägt Voigt den Bogen von christlichem Antijudaismus über eine auf einem Konzept von Rasse beruhende Feindschaft bis hin zum sogenannten sekundären und israelbezogenen Antisemitismus. Diese „erstaunliche Wandlungsfähigkeit“ sei ein wichtiger Grund für die Beständigkeit des Hasses gegen Juden durch die Jahrtausende, der nicht nur in Deutschland anzutreffen ist. Überdauert haben Verschwörungsmythen, wie sie auch heutzutage diskutiert werden – die es vermeintlich leichter machen, komplexe Verhältnisse zu „verstehen“.
Sebastian Voigt, "Der Judenhass. Eine Geschichte ohne Ende?", 232 Seiten, 2023, Hirzel Verlag, 25 Euro, ISBN 978-3-7776-2937-7
KNA/lwi/cdt/Aud