Der moralische Ausverkauf der #MeToo-Errungenschaften

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Französische Jüdinnen haben eine feministische Demonstration in Paris gestürmt, um ihr Schweigen gegenüber den weiblichen Opfern der Hamas während des Terroranschlags vom 7. Oktober in Israel zu verurteilen. 25. November 2023, Foto IMAGO / UPI Photo
Französische Jüdinnen haben eine feministische Demonstration in Paris gestürmt, um ihr Schweigen gegenüber den weiblichen Opfern der Hamas während des Terroranschlags vom 7. Oktober in Israel zu verurteilen. 25. November 2023, Foto IMAGO / UPI Photo
Lesezeit: 7 Minuten

Israel wird immer wieder von internationalen Gremien und NGOs lautstark angegangen. Dieses Mal hingegen glänzen einige Akteure der internationalen Bühne mit Schweigen. Die sexuellen Kriegsverbrechen der Hamas werden simpel totgeschwiegen.

Vor wenigen Tagen ist der 29. November verstrichen, der Israel zur Verabschiedung des Palästina-Teilungsplans durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen (UN) zurückblicken lässt. Seit Israel im Mai 1949, fast ein Jahr nach seiner Gründung, UN-Mitglied wurde, verabschiedet dieses internationale Gremium am laufenden Band Resolutionen, die den jüdischen Staat betreffen. Dazu gehörte auch die Resolution 3379, die 1975 feststellte, dass „der Zionismus eine Form von Rassismus und Rassendiskriminierung ist.“

Dass diese Resolution Ende 1991 mit grosser Stimmenmehrheit zurückgenommen wurde, ist ebenso eine Seltenheit, wie die Aussage des späteren UN-Generalsekretärs Kofi Annan, der die Resolutionsannahme als „Tiefpunkt“ in der Geschichte der UN bezeichnete. Was Israel angeht, übertrumpft die UN ihre selbstausgestellten Armutszeugnisse regelmässig, Jahr für Jahr wird das Land gerügt, oftmals häufiger als Schurkenstaaten wie Syrien, Nordkorea und Iran und andere zusammen.

Abgründiger Tiefpunkt

Sprechen in Israels Region die Waffen, so kann man sich darauf verlassen, dass die UN besonders laut losdonnert. Dass die Statements von Generalsekretär António Guterres und die Resolutionen der Vollversammlung eine doppelbödige Moral an den Tag legen, ist dabei vorprogrammiert. In Israel erstaunte überdies nicht, dass der Hohe Kommissar für Menschenrechte Volker Turk die Hamas nicht beim Namen nannte, als er die Geschehnisse vom 7. Oktober verurteilte. Das Wort Hamas fiel ebenfalls nicht im Statement der UNICEF, in dem die Sorge um das Wohl der Kinder im Gazastreifen endlos breitgetreten, aber gänzlich unterschlagen wird, dass israelische Kinder in ihrem eigenen Zuhause auf brutalste Weise gefoltert und ermordet wurden.

Mehrmals vernahm man Israels Aussenminister Eli Cohen, der gegen die Haltung der UN aufbegehrte. Immer wieder versuchte Israels UN-Botschafter Gilad Erdan mit provokativen Aktionen – zugegeben teilweise auch in Israel umstritten – die Weltöffentlichkeit wachzurütteln. Vergeblich darf man festhalten und damit war alles sozusagen wie gehabt.

Das jedoch war zu viel …

Dass die UN-Einheit für Gleichstellung und Ermächtigung der Frauen, besser bekannt als UN Women, und das UN-Komitee zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen (CEDAW) auch dann noch beharrlich Schweigen wahrten, als längst Erkenntnisse vorlagen, dass die Hamas-Terroristen nicht „nur“ gefoltert und gemordet hatten, liess viele in Israel nicht nur aufschrecken, sondern trug dazu bei, dass Israels Bürgerinnern und Bürger neue Tatsachen zu schaffen begannen.

Verschiedene israelische Frauenorganisationen gründeten zusammen mit Experten diverser Fachgebiete die „Zivile Kommission zu den Verbrechen, die die Hamas am 7. Oktober gegen Frauen und Kinder verübte.“ Dr. Cochav Elkayam-Levy, die Vorsitzende der Kommission – übrigens eine weitere Körperschaft, die Israels Zivilgesellschaft auf die Beine stellte, während Behörden und Ministerien in Untätigkeit verharrten – bekam schnell die Bestätigung, wie richtig und wichtig die Gründung war.

Ende Oktober führte diese Expertin für internationales Recht an der Hebräischen Universität Jerusalem, die zudem an der Reichman Universität das Dvora Institut für Gender und Nachhaltigkeit gründete, vor dem UN-Komitee zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen aus: „Niemals in meinem Leben hätte ich mir vorstellen können, dass ich vor diesem angesehenen Ausschuss stehen würde, um über geschlechtsspezifische Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu berichten, die an israelischen Frauen und Mädchen begangen wurden.“ Sie berichtete über „wilde und wiederholt“ an Mädchen und Frauen jedweden Alters verübten Vergewaltigungen, Gruppenvergewaltigungen, machte Ausführungen zu sexueller Gewalt und Folter, Verstümmelungen und Amputationen von Geschlechtsorganen und berichtete von Hinweisen, dass diese zudem als „Kriegstrophäen“ zur Schau gestellt wurden.

Unglaublich und unverzeihlich

Dieser Ausschuss entliess Dr. Elkayam-Levy mit der Aufforderung, „Beweise vorzulegen, dass solche Gräueltaten stattgefunden haben.“ Überdies: Kein CEDAW-Statement zum Hamas-Überfall, dafür aber eine Erinnerung an Israel, dass es den fälligen Bericht zu den Massnahmen des Landes vorzulegen habe, die zur Beseitigung der Hürden von Gleichberechtigung eingeleitet wurden.

UN Women postete auf Instagram wenigstens anlässlich 50 Tagen Krieg eine Verurteilung der von der Hamas während des Überfalls begangenen sexuellen Gewalt, löschte den Post dann wieder, um ihn durch Zeilen zu ersetzen, die zur Freilassung der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln aufruft.

In den Chorus, „ohne Beweis geht gar nichts“, waren längst weitere Repräsentanten der UN eingefallen, darunter UN-Sonderberichterstatterin für Palästina Francesca Albanese, die öffentlich infragestellte, dass solche Verbrechen stattgefunden haben. Für Albanese haben solche Aussagen keine Konsequenzen. Im privaten Sektor ist das wenigstens anders. Die Direktorin eines Zentrums für sexuelle Übergriffe an der kanadischen Universität Alberta die ihre Unterschrift unter eine Petition setzte, in der u.a. die Verbreitung der „unbestätigten Vorwürfe, Palästinenser hätten sich sexueller Gewalt schuldig gemacht“, angeprangert wird, verlor ihre Arbeitsstelle.

Doch als sei das alles noch nicht genug, hüllten sich weitere internationale Frauenorganisationen wie auch die #MeToo-Bewegung zu den Verbrechen an israelischen Frauen und Mädchen in Schweigen. Eine der wenigen von der #MeToo-Bewegung herausgegebene Mitteilung bezieht sich auf die humanitäre Krise in Gaza, erwähnt weder Israel, noch israelische Frauen oder gar die Hamas.

Da zur grössten Errungenschaft gerade der #MeToo-Bewegung nicht nur die Schärfung des öffentlichen Bewusstseins für sexuelle Vergehen, sondern auch die Rückenstärkung der Opfer gehört, an die Öffentlichkeit zu gehen, einerlei wie die Beweislage gelagert sein mögen, ist dieses Kurzfallen ein erschütternder Verrat am eigenen geheiligten Credo „Ich glaube Dir“.

Israels Frauen werden provokativ kreativ

Als am 22. November die Exekutivdirektorin von UN Women Sima Sami Bahous meinte, „alarmiert über die beunruhigenden Berichte bezüglich geschlechtsspezifischer und sexueller Gewalt zu sein“, sich in ihrer Rede dann allerdings ausschliesslich auf Frauen und Kinder im Gazastreifen bezog, hatten Israels Frauen längst eine Kampagne erarbeitet und online geschaltet, die die Verlogenheit der UN wie auch sämtlicher Gremien und Vereinigungen für Frauenrechte durch einen lediglich anderthalbminütigen Clip blossstellt. Das provokative Video mit dem Titel „Vergewaltigung ist KEIN Widerstand“ ging schnell viral.

Zudem wurde eine neue Bewegung ins Leben gerufen, die den gleichen Namen wie die Online-Kampagne trägt und deutlich auf den antisemitischen Hintergrund des Schweigens hinweist: #MeToo_unless_UR_A_Jew.

Der „Zivilen Kommission zu den Verbrechen, die die Hamas am 7. Oktober gegen Frauen und Kinder verübte“ sprangen einige der namhaftesten israelischen Hightech-Unternehmer zur Seite. Unter anderem Eynat Guez (Papaya Global), Nir Zohar (Wix), Tomer Bar-Zeev (IronSource) sowie Unternehmer Chemi Peres sammelten innerhalb von 24 Stunden rund eine Million US-Dollar, um sowohl die dokumentarische Arbeit der Zivilen Kommission als auch deren Öffentlichkeitsarbeit zu unterstützen. Gedrehte Videos und Zeugenaussagen wurden bislang beispielsweise von CNN für einen Hintergrundbericht benutzt.

Nichts ist gut!

Dass UN-Generalsekretär Guterres Ende November endlich zu einer Untersuchung der sexuellen Gewalt während der Ereignisse vom 7. Oktober aufrief, verstärkt den ohrenbetäubenden Donner, den das UN-Schweigen zum Thema auslöste, nur noch weiter und wetzt die zusätzlichen Kerben nicht aus, die die UN und internationale Frauenorganisationen in die ohnehin gebrochenen Herzen der israelischen Frauen geschlagen haben.

Es bleibt zu hoffen, dass Israels Frauen nicht kleinbeigeben werden, bis ihr Land mit dieser Art der Kriegsverbrechen, die seit der Antike bekannten sind und immer wieder hervorragend kaschierten wurden, vor den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) ziehen wird. Da der IStGH, der nur Gerichtsbarkeit über Staaten hat, eine Klage Palästinas gegen Israel wegen Kriegsverbrechen in den besetzten Gebieten bereits akzeptiert hat, dürften sich die Juristen in Den Haag nicht ganz so einfach aus der Verantwortung stehlen können, wie im Fall der Jesiden.

Nachtrag

Es dauerte, bis auch die israelischen Behörden das Thema aufgriffen. Viele Beweise sind für immer verloren, da die Kibbuzim entlang der Grenze zum Gazastreifen längere Zeit Kampfzone waren. Als endlich Rettungs- und Bergungsmannschaften Zugang hatten, hatte Vorrang, die Leichen zu identifizieren und einer würdigen Bestattung zuzuführen. Die enorme Anzahl der Opfer repräsentierte eine zusätzliche Herausforderung. Eine weitere Hürde stellt dar, dass die überwältigende Mehrheit der vergewaltigten Frauen ermordet wurde. Szenen des Verbrechens wurden kontaminiert und Beweise nicht systematisch gesammelt, der Personalmangel bei der Identifizierung trug weiterführend dazu bei, dass dennoch vorhandenen Hinweisen nicht unbedingt nachgegangen wurde.

Inzwischen hat die Polizei-Einheit für kriminelle Untersuchungen Lahav 433 ihre Arbeit in der Sicherung von Beweisen aufgenommen, die nicht nur aus forensischen Dokumentationen, DNA-Proben, sondern auch Augenzeugenaussagen ebenso wie Statements der Angehörigen der Rettungs- und Bergungsorganisationen bestehen. Wann die überlebenden Opfer sprechen werden, bleibt ein Fragezeichen. Zusammengetragen wurde auch Material, das die Terroristen bei sich hatten und zweifelsfrei auf die Intension der sexuellen Verbrechen deutet. Einige lebend gefasste Terroristen gaben zu, dass sexuelle Verbrechen zum Plan gehörten. Ausserdem waren die Hamas-Terroristen vermessen genug, ihre Taten filmisch zu dokumentieren.

Vor wenigen Tagen fand zum Thema erstmals eine Anhörung vor einem Knesset-Ausschuss statt, die wegen der Details der Aussagen ausnahmsweise nicht im parlamentseigenen TV-Kanal übertragen wurde. Zumindest ein Ausschnitt wurde der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Über Antje C. Naujoks

Antje C. Naujoks lebt seit fast 40 Jahren in Israel, wo sie ihr an der FU Berlin aufgenommenen Studium im Bereich der Politikwissenschaften an der Hebräischen Universität Jerusalem abschloss. Nach langjähriger wissenschaftlicher Tätigkeit ist sie seit Jahrzehnten für die Öffentlichkeitsarbeit einer israelischen NGO verantwortlich, darüber hinaus aber weiterhin auch als Übersetzerin und Autorin tätig.

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2 Kommentare

  1. In Deutschland und großen Teilen der Welt ist ganz klar zu beobachten: doppelte Standards gegenüber Israel, Doppelmoral gegenüber Jüdinnen und Juden.

  2. Auch in Deutschland gab es ein “lautes Schweigen” der “Feministinnen”.
    Kein Wunder, die werden von linken antisemitischen Kräften beherrscht.

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