“Gott spricht Jiddisch” – Neues Buch von Tuvia Tenenbom 

Unterwegs im strengreligiösen Jerusalemer Viertel Mea Schearim

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Buchcover. Foto Suhrkamp Verlag AG
Buchcover. Foto Suhrkamp Verlag AG
Lesezeit: 3 Minuten

Mitten im Krieg zwischen Israel und der Hamas erscheint das neue Buch des Journalisten Tuvia Tenenbom. Darin beschreibt er die Welt von ultraorthodoxen Jüdinnen und Juden, die Aussenstehenden oft sehr fremd vorkommt.

von Leticia Witte

Als der Raketenbeschuss und das Massaker der Hamas im Süden Israels begannen, war Tuvia Tenenbom in Jerusalem. Genauer gesagt: im strengreligiösen Viertel Mea Schearim. Auch dort ertönten am Morgen des 7. Oktober die Alarmsirenen. Tenenbom hatte sich viele Monate in Mea Schearim aufgehalten, für Recherchen zu seinem jetzt im Suhrkamp Verlag erschienenen Buch “Gott spricht Jiddisch. Mein Jahr unter Ultraorthodoxen”. Bekannt wurde der Autor und Journalist mit seinem Bestseller “Allein unter Deutschen” im Jahr 2012.

Mitten in den anhaltenden Schock in den Wochen nach dem 7. Oktober kommt also sein Buch auf den Markt. Darin berichtet Tenenbom über das Leben von Jüdinnen und Juden in dem Viertel: tiefe Religiosität, Ge- und Verbote, Feiertage und Schabbat, Männer, Frauen, Sexualität, Kleidung, Politik, feine Unterschiede, Richtungen und Konkurrenzen innerhalb der Gemeinschaft. Und immer wieder geht es ums Essen. Ein Kugel, ein traditionelles Gericht, ist besser als der nächste.

Tenenbom besucht Religionsschulen und Synagogen, kommt mit Rabbinern in Kontakt, oft über verschlungene Wege, zeigt Ambivalenzen und Veränderungen innerhalb der Gemeinschaft auf und erklärt, was es mit den Charedim, also gottesfürchtigen Jüdinnen und Juden, auf sich hat – und mit ihrem für Aussenstehende oft schwer zu verstehenden und kompliziert anmutenden religiösen Leben. Dieses ist immer wieder auch Kritik ausgesetzt, auch unter religiös liberalen oder säkularen Jüdinnen und Juden in Israel.

Thematisiert wird auch der Antizionismus, der in Mea Schearim durchaus anzutreffen ist, etwa in Form von an Hauswänden gesprühten Graffiti und palästinensischen Fahnen. Erst Anfang November dieses Jahres entfernten Polizisten Medienberichten zufolge solche Fahnen in dem Viertel, und die Stadt Graffiti, die etwa Zionisten mit Nazis verglichen. Im Viertel ist unter anderen die radikal-antizionistische Splittergruppe “Naturei Karta” vertreten. Sie lehnt den säkularen Staat Israel aus religiösen Gründen vehement ab.

Sehr herzliche Gemeinschaft erlebt

Leichtfüssig, mitunter ironisch und mit einem Humor, der gleichwohl vielleicht nicht alle Leserinnen und Leser ansprechen dürfte, führt Tenenbom durch sein Buch. In ihm stecken grosse Warmherzigkeit und Wohlwollen für die Gastfreundschaft und für die Menschen, denen er bei seiner Recherche begegnet ist. Dies alles stellt Tenenbom hier und da gerne dem Leben in New York und Berlin-Prenzlauer Berg gegenüber, das jedenfalls aus seiner Sicht vergleichsweise kalt, reglementiert und wenig gemeinschaftlich im Miteinander ist.

In der “Jüdischen Allgemeinen” (Donnerstag) sagte der Schriftsteller: “Ich habe eine wirklich sehr herzliche Gemeinschaft erlebt. Sie helfen den Schwachen. Sie helfen den Armen.” Zugleich gebe es einige Kritikpunkte, über die er auch geschrieben habe. “Es ist kein Propagandabuch.” Am Ende hätten die Menschen, über die er schreibt, sein Buch geliebt. Tenenbom selbst wuchs in einer charedischen Familie auf: in Bnei Brak bei Tel Aviv und eben Mea Schearim. Seine Herkunft und sein Jiddisch öffneten ihm offenbar Türen, und er schreibt, dass er teils auf der Strasse erkannt worden sei.

Der Terror der Hamas am 7. Oktober fiel auf den fröhlichen jüdischen Feiertag Simchat Tora, der natürlich auch in Mea Schearim begangen wurde. In der “Jüdischen Allgemeinen” beschreibt Tenenbom den Tag, an dem strengreligiöse Jüdinnen und Juden kein Telefon und Internet nutzen. Er habe die Menschen mit Hilfe seines Smartphones informiert, auf dem die schockierenden Informationen eintrafen. Viele hätten Vergleiche zur NS-Zeit gezogen. “Ich meine, der Vergleich war absolut zutreffend”, so Tenenbom.

Nach Simchat Tora sei in Mea Schearim zum Gebet für die Rettung der Nation Israel aufgerufen worden. Antizionismus sei in diesem Moment verschwunden, so der Autor. Insgesamt habe er das Land Israel “noch nie so verzweifelt, so schockiert, so schutzlos gesehen” wie nach dem 7. Oktober.

Tuvia Tenenbom, "Gott spricht Jiddisch. Mein Jahr unter Ultraorthodoxen", 575 S., Suhrkamp, 2023, ISBN: 978-3-518-47335-1, 20 Euro, E-Book 16,99 Euro

KNA/lwi/jps

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