Erdogan besucht Deutschland – Proteste gegen den Hamas-Freund

Schwieriger Gast in schwierigen Zeiten

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Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan spricht an der Palästina-Kundgebung auf dem Atatürk-Flughafen in Istanbul am 28. Oktober 2023. Foto IMAGO / ZUMA Wire
Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan spricht an der Palästina-Kundgebung auf dem Atatürk-Flughafen in Istanbul am 28. Oktober 2023. Foto IMAGO / ZUMA Wire
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Der Staatsbesuch des türkischen Präsidenten am Freitag wird heikel. Mit radikalen Tiraden verteidigte Erdogan den Hamas-Terror. Allerdings braucht Berlin die Türkei in wichtigen Fragen. Obendrein droht ein Fussballspiel.

von Christoph Schmidt

Der Begriff “schwieriger Partner” umschreibt die Rolle des türkischen Präsidenten aus deutscher Sicht derzeit beinahe freundlich. Im Nahostkrieg zeigt sich, dass Berlin und Ankara kaum weiter voneinander entfernt sein könnten. Mit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel brachen bei Recep Tayyip Erdogan alle rhetorischen Dämme.

Als “Befreiungsorganisation” pries er die Mörder und warf Israel “Faschismus” und “Verbrechen gegen die Menschlichkeit” vor. Zuletzt zweifelte er mit sehr eigenen historischen Betrachtungen das Existenzrecht Israels an. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, stellte daraufhin den Besuch in Frage. Ein aktiver Gegner Israels dürfe “kein Partner für die deutsche Politik sein”, sagte er der “Neuen Zürcher Zeitung”.

Doch Forderungen nach einer Ausladung des Gastes, der am Freitag zur Visite in Berlin eintrifft, standen nicht ernsthaft zur Debatte. Für Empörungsgesten ist Erdogan, sind die traditionell engen Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei gerade in einer Zeit der Krisen schlicht zu wichtig. Zudem könne gerade Erdogan mit seiner Nähe zur Hamas womöglich bei der Befreiung der israelischen Geiseln vermitteln, meinen Beobachter. Geplant seien Gespräche zur “gesamten Bandbreite politischer Themen”, teilte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann mit.

Die Lage im Gazastreifen ist nur eins davon. Für das Problem der illegalen Migration nach Deutschland spielt die Türkei weiter eine Schlüsselrolle – noch am Mittwoch wurde bekannt, dass türkische Behörden offenbar viele Migranten per Linienflug über Serbien nach Europa lassen. Fast 2.000 solcher Schleusungen habe die Bundespolizei in diesem Jahr allein bis September festgestellt, berichtet die “Bild”-Zeitung.

Palästinensische Bräutigame küssen während einer Massenhochzeitszeremonie in Gaza-Stadt Plakate mit dem Konterfei des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Foto IMAGO / UPI Photo
Palästinensische Bräutigame küssen während einer Massenhochzeitszeremonie in Gaza-Stadt Plakate mit dem Konterfei des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Foto IMAGO / UPI Photo

Auch die Frage eines türkischen EU-Beitritts schwelt weiter, wenn auch angesichts der Menschenrechtslage im autoritären Erdogan-Staat auf niedriger Flamme; als Nato-Partner am Schwarzen Meer agiert die Türkei überdies in Sichtweite des Ukrainekriegs und pflegt zugleich ein pragmatisches Verhältnis zu Russland. Bei seinen Treffen mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier dürfte Erdogan das Gewicht seines Landes für die deutschen und westlichen Belange einmal mehr auf die Waage legen.

Dazu kommen die spezifisch bilateralen Themen der beiden Länder: Die Bundesrepublik ist für Ankara der wichtigste Wirtschaftspartner und einer der grössten Investoren. 2022 stieg das Handelsvolumen zwischen Deutschland und der Türkei laut Auswärtigem Amt mit insgesamt 51,6 Milliarden Euro auf einen neuen Rekordwert – wobei Russland und China aufholen.

Tiraden gegen Israel

Auch das Thema Integration und Islam in Deutschland könnte zur Sprache kommen. Die Ditib, der mächtigste Moscheeverband in Deutschland und aus Ankara gesteuert, sorgte in den vergangenen Wochen für scharfe Kritik deutscher Politiker wegen mangelnder Verurteilung des Hamas-Terrors. Verwunderlich ist das nicht: Ali Erbas, Chef der türkischen Religionsbehörde und damit der direkte Vorgesetzte von rund 1.000 Ditib-Imamen, sekundierte Erdogan mit Tiraden gegen Israel, das er als Völkermörder und “rostigen Dolch im Herzen der islamischen Welt” beschimpfte.

Die Frage ist, wie unverblümt Scholz den dünnhäutigen türkischen Machthaber wegen seiner Pro-Hamas-Linie angehen wird. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) und ein kurdisches Netzwerk kündigten derweil Protest vor dem Bundeskanzleramt und Schloss Bellevue an – wegen der illegalen Besetzung der syrischen Region Afrin.

Die türkische Armee sei dort im Bündnis mit islamistischen Gruppen für Menschenrechtsverbrechen verantwortlich. Als einer der wichtigsten Unterstützer des radikalen Islamismus gehöre Erdogan “nicht auf den roten Teppich des Kanzleramtes, sondern vor den Internationalen Strafgerichtshof”, hiess es von der GfbV. Eine Strafanzeige sei eingereicht.

Für Spannung sorgt obendrein ein merkwürdiger Zufall: Ob Erdogan das Fussball-Länderspiel Deutschland-Türkei – just einen Tag nach seinem Besuch – im ausverkauften Berliner Olympiastadion besucht, war zuletzt laut DFB noch offen. Seine Vorliebe für den Jubel seiner Anhänger hierzulande ist bekannt. Der Wert einer solchen Propagandavorlage hinge dann auch von der deutschen Abwehr ab.

KNA/cdt/lwi

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