Hamas-Terror – Einen Monat danach sucht man in Kfar Azza noch immer Leichen

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Eine israelische Soldatin durchschreitet die Zerstörung in der Gemeinde Kfar Azza. Foto IMAGO / UPI Photo
Eine israelische Soldatin durchschreitet die Zerstörung in der Gemeinde Kfar Azza. Foto IMAGO / UPI Photo
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Mehr als 60 Leichen und knapp 20 Vermisste: Im Kibbuz Kfar Azza ist vier Wochen nach dem brutalen Hamas-Angriff immer noch nicht klar, wie die Opferbilanz am Ende aussehen wird – und ob das Paradies je wieder ganz wird.

von Andrea Krogmann

Kfar Azza ist auf der interaktiven Karte zu den Massakern der Hamas vom 7. Oktober ein dicker roter Fleck. Je weiter man in die Karte zoomt, desto deutlicher werden die vielen roten Pixel: Je roter Punkt ein Getöteter, je schwarzer ein Mensch, der vermisst wird. 61 Menschen wurden hier am sogenannten Schwarzen Schabbat ermordet; 18 werden vermisst. Die rund 700 Überlebenden wurden evakuiert. An ihrer Stelle kamen Soldaten, Bergungsteams und jene, die sich vor Ort ihr eigenes Bild machen wollen: ausländische Politiker, Diplomaten, Journalistinnen.

Ein Kibbuz ist eine geschlossene Gesellschaft, erklärt Maor Moravia. “Wer hier nichts zu tun hat, kommt nicht hierher.” All die Fremden in seinem Ort zu sehen und manche von ihnen durch die Trümmer zu führen, fühle sich komisch an. “Unser Kibbuz wurde an diesem einen Schabbat geschändet, und seither jeden Tag”, sagt Maor. Vier Wochen sind vergangen, seit er mit seiner Frau, dem zwölfjährigen Sohn und der achtjährigen Tochter mehr als 20 Stunden im Schutzraum ausharrte, während draussen “das Vergewaltigen, das Morden, die Folter” andauerte. “Dies war unser kleines Paradies, unser sicherer Ort. Jetzt liegt er in Ruinen.”

“Die Leute im Kibbuz sagen, hier ist 95 Prozent Paradies und 5 Prozent Hölle”, sagt Schachar Etinger. Der 25-Jährige mit deutschem Pass lebt heute in Tel Aviv. In Kfar Azza wurde er geboren. Hier hat er seine Kindheit verbracht, Tage, die er “mit nichts in der Welt tauschen” möchte. Als am 7. Oktober die Hölle über dem Kibbuz ausbrach, war Schachar hier, um mit seiner Familie den Feiertag zu verbringen.

Vor zwei Monaten waren sie in Rottweil, “auf den Spuren meines Grossvaters, der Deutschland verliess, als Hitler an die Macht kam. Das hier fühlt sich an wie ein Holocaust”. Einen Monat lang kam er nicht zurück nach Kfar Azza, bis jetzt. Jetzt steht Schachar zwischen verbrannten Häusern; in vielen davon ist Blut auf dem Boden, an den Wänden. “Ich hatte mich vorbereitet – und trotzdem habe ich keine Worte, das zu beschreiben. Es ist tough; es ist surreal. Ich kann es nicht begreifen.”

“Ausgerechnet Simchat Torah haben sie gewählt”, sagt Simcha Greineman; “das Fest, mit dem wir das Ende und zugleich den Anfang des Torah-Lesejahres markieren”. Greineman ist orthodoxer Jude und Freiwilliger des jüdischen Bergungsdienstes “Zaka”. Leichen ist er gewohnt; auch solche, die schlimm zugerichtet sind, nach Verkehrsunfällen etwa. Vor einem Monat brach er die Feiertagsruhe und birgt seitdem Opfer des schlimmsten islamistischen Terrors in der Geschichte Israels.

Greineman erzählt. Von den mehr als 70 Leichen, die er allein am Schwarzen Schabbat in seinen Lastwagen geladen hat. Von der Frau, die sie halbnackt über ihr Bett gebeugt fanden, getötet mit einem Kopfschuss, in der Hand eine ungesicherte Granate; “wir hätten alle dabei draufgehen können”. Und von dem Baby mit einem Messer im Kopf, “von hier bis da”. Greinemans Hände deuten den Umfang des ganzen Kopfes an.

Fussboden schwarz von getrocknetem Blut

Er erzählt von dem Geburtstagskuchen auf dem Wohnzimmertisch eines Hauses und dem beissenden Gestank aus dem Nebenzimmer. “Dort haben wir sie gefunden; fünf Menschen, ineinander gehakt zu einem Kreis des Lebens, die letzten Minuten ihres Lebens, bevor sie verbrannt sind.” Greineman weint. Im Tod musste er die verkohlten Leichen voneinander lösen, um sie getrennt voneinander in Leichensäcke zu verpacken.

“Sicherstellen, dass jeder ordnungsgemäss bestattet wird”; das ist die Mission, die Simcha Greineman auf sich genommen hat, freiwillig. Im normalen Leben ist er Schreiner. Aber seine Werkstatt hat er geschlossen, seine Familie zurückgelassen, um weiter nach Spuren der Vermissten zu suchen.

“Weil es so viele Menschen gibt, von denen wir nicht wissen, ob sie in den Gazastreifen entführt wurden oder nicht, müssen wir jedes abgebrannte Haus, jede Ecke und jeden Knochen überprüfen, den wir finden, und auf DNA überprüfen.” Selbst die getöteten Terroristen werden bestattet, “weil wir menschlich sind und die Menschenrechte in richtiger Weise verstehen”, so der Bergungsdienstler.

Es ist das Ausmass der Gewalt, das es für Retter wie Überlebende gleichermassen unerträglich macht. In seinen schlimmsten Träumen hätte er sich solche Szenen nicht im Entferntesten vorstellen können, sagt Schachar Etinger. In jedem Haus, das man hier betritt, sei der Fussboden schwarz von getrocknetem Blut, sagt Greineman.

Alle hier, Maor Moravia, Schachar Etinger und Simcha Greineman, bekommen psychologische Hilfe. “Anders könnten wir nicht weitermachen. Menschen, die sehen, was wir sehen, werden verrückt”, formuliert Greineman. “Wir wollen die Gemeinschaft wieder aufbauen”, sagt Maor. Ob es so weit kommt, werde sehr vom Ausgang des Krieges abhängen; “von der Sicherheit, die hier künftig herrscht”, pflichtet Schachar ihm bei.

Es gebe eine “grosse Kluft zwischen dem, was an diesem Tag passiert ist, und was hätte passieren sollen”, sagt Roni Kaplan, ein Sprecher der israelischen Armee, und gesteht damit das enorme Versagen im Sicherheitsapparat ein. Klarheit darüber werde eine künftige Untersuchungskommission bringen. Jetzt gehe es darum, die Hamas, ihr Regime und ihre Infrastruktur zu zerschlagen. “Mit Hamas in Gaza werden wir nicht zum Frieden kommen. Wir müssen die palästinensische Bevölkerung in Gaza von Hamas befreien, das wird auch der israelischen Bevölkerung Sicherheit bringen und verhindern, dass dieser dschihadistische Terror des Heiligen Kriegs von Hamas sich über die ganze Welt zieht.”

KNA/akr/brg

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