Quer durch Europa werden in diesen Tagen Strassenproteste organisiert, vorgeblich für die Belange von Palästinensern, jedoch häufig mit klarer Unterstützung für den Terror gegen Israelis. In diesem Zusammenhang fällt immer wieder das Netzwerk Samidoun auf, das die Proteste selbst organisiert oder dazu aufruft, an ihnen teilzunehmen. Doch Samidouns Aktivitäten erstrecken sich auf weit mehr als Kundgebungen. Das erschreckende Ausmass an Radikalisierung in Europa, das bei den aktuell deutlich wird, kommt nicht aus dem luftleeren Raum. Es beruht in Europa auch auf der jahrelangen Arbeit dieser säkularen, aus dem linksextremen Spektrum stammenden Vorfeldorganisation der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP), die von der Europäischen Union als Terrororganisation eingestuft wird.
Von der ursprünglichen marxistisch-leninistischen, antiimperialistischen Ausrichtung wandelte sich in den letzten Jahren die öffentliche Rhetorik hin zur Anschlussfähigkeit an legitime, meist der Linken zugerechnete Ziele: Klimaschutz, Frauenrechte und Anti-Rassismus.
So gelang es dem Netzwerk von Samidoun beispielsweise, unter dem Deckmantel von Anti-Rassismus Gruppen von jungen migrantischen und nicht-migrantischen Mitgliedern zu erreichen und ihnen die Diffamierung von Israel als Apartheidstaat als verbindendes Element zu ihrer Rassismus Erfahrung zu präsentieren. Gleichzeitig wurde damit eine Brücke zum akademischen Diskurs über Dekolonialisierung geschlagen. Auf diese Erzählungen wird dann unter anderem an Universitäten zurückgegriffen, zum Beispiel bei einer Veranstaltung der „Studis gegen rechte Hetze“ mit Samidoun zum Thema „The Importance of the Student Movement in Confronting Colonialism“ 2020, aber auch in der Jugendarbeit in Workshops der Migrantifa-Gruppen und auf Konferenzen in linken Kreisen.
So besteht das Netzwerk Samidoun nicht mehr nur aus Gruppierungen, die sich ihm unmittelbar zuordnen, sondern auch aus vielen kleinen Gruppen und Initiativen, grösseren Vereinen und sogar Stiftungen, die jeweils scheinbar unabhängig voneinander die gleichen Ziele wie Samidoun vertreten, während sie die Methoden variieren.
Die Radikalisierungsarbeit dieser verschiedenen, auf den ersten Blick unabhängigen Gruppen wird flankiert von einer politischen Strategie, die sich um „strategic litigation“ (strategischer Prozessführung) aufbaut. Bekommt eine der anti-israelischen Gruppen aus dem Netzwerk rund um Samidoun auf Grund ihrer antisemitischen Aktivitäten Schwierigkeiten, werden diese strategisch von einer niederländischen Stiftung genutzt, um die anti-israelische Agenda voranzubringen. Das „European Legal Support Center (ELSC)“ finanziert entweder direkt die Rechtsstreitigkeiten von Anti-Israel-Aktivisten wie beispielsweise die einer Aktivistin gegen die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (RIAS) von 2020 bis 2022, oder die Stiftung ruft in anderen Fällen im Netzwerk zu Spenden auf, wie beispielsweise dem des „Palästinakomitee Stuttgart“gegen eine Bank, die dem Verein das Konto gekündigt hatte sowie gegen die Stadt Stuttgart, die den Verein nicht mehr auf der Website der Stadt führen wollte. Die Anti-Israel-Aktivisten gewannen mit Hilfe des ELSC alle drei Prozesse und errangen so auf lokaler Ebene Siege für das gesamte Netzwerk.
Gegründet wurde das niederländische ELSC 2019 von zwei weiteren Organisationen, dem „Palestinian NGO Network“, das in der Vergangenheit zeitweise Fördergelder aus der EU und auch der Schweiz erhielt, und dem „The Rights Forum“ des ehemaligen niederländischen Premierminister Andreas van Agt (Christdemokraten), der nach seiner Amtszeit mit stark einseitigen, anti-israelischen Äusserungen zum Nahostkonflikt auffiel.
„Anti-palästinensischer Rassismus“
Das „European Legal Support Center“ geht auch gegen die Untersagung von Demonstrationen in Europa vor, unter anderem von Samidoun geplante Kundgebungen. Dabei umfasst die Strategie nicht nur juristische Komponenten, sondern auch politische. Der Programmdirektor des ELSC, Giovanni Fassina, verfasste bereits 2022 einen Brief an den UN-Sonderberichterstatter für Rassismus, in dem er die Untersagung einer Kundgebung als „anti-palästinensischen Rassismus“ brandmarkte.
Als „Anti-palästinensischen Rassismus“ bezeichnet auch Samidoun selbst jede Kritik an dem Ziel, Israel von der Landkarte zu radieren. Während Samidoun auf den eigenen Kanälen eine aktivistische Sprache wählt, drückt das ELCS die gleichen Ziele lediglich auf eine für Nichtregierungsorganisationen typischere Weise aus, mit der Verteidigung der Menschenrechte von Palästinensern, der Dokumentation der Einschränkung dieser Rechte in Europa und dem „Empowerment der Communities“.
Zum Empowerment der Stiftung gehört es, detaillierte juristische Anweisungen für die Organisatoren und Teilnehmer der Pro-Terror-Demonstrationen zu liefern, nach Ländern unterteilt – wie das Vorgehen der Polizei zu dokumentieren sei und welche Massnahmen bei einer Festnahme zu ergreifen seien – für Deutschland, in den letzten Jahren das Hauptzielland von Samidoun, beispielsweise den „Street Action Guide for Germany“.
Samidoun entsandte 2015 ihre oberste Führung, die internationale Koordinatorin Charlotte Kates, und ihren Ehemann Khaled Barakat, der der PFLP-Führungsriege angehört, nach Deutschland. Sie zogen 2016 nach Berlin, wo es ihnen gelang, Anschluss durch die oben beschriebene Methode an antirassistische und andere zivilgesellschaftliche Gruppen zu finden. Ihre Arbeit war so erfolgreich, dass Charlotte Kates 2018 bei der bis dato grössten deutschen Demonstration gegen Rassismus auftreten konnte. Die #Unteilbar-Aktion wurde von bekannten Prominenten wie dem Schauspieler Benno Fürmann und NGOs wie Amnesty ins Leben gerufen, auch Parteien wie Bündnis 90/Die Grünen und SPD Berlin nahmen zusammen mit über 100.000 Menschen an der Demonstration teil. Charlotte Kates durfte von einem Wagen herab ihre antisemitischen Botschaften verkünden, was ihr und ihrer Organisationen erhebliche Legitimation verschaffte.
Aufenthaltsgenehmigung entzogen – Neues Ziel Schweiz
Die Aktivitäten weckten jedoch auch das Interesse der deutschen Sicherheitsbehörden, die das Paar 2019 nach Untersuchungen des Landesamts für Einwanderung Berlin mit einem Betätigungsverbot belegten und ihnen schliesslich die Aufenthaltsgenehmigung entzogen. Nachdem sie den Einspruch gegen die Massnahme verloren, reisten Kates und Barakat 2020 nach Kanada aus (Barakat hat die kanadische, Kates die US-Staatsbürgerschaft) und wurden danach mit einem Einreisebann belegt, der im Fall von Kates 2023 auslief, für Barakat jedoch nach Angabe von Kates durch die deutschen Behörden um zwei Jahre verlängert wurde.
Die Aufhebung des Banns erlaubte Kates nun die Wiedereinreise in den Schengenraum. Sie wählte als erstes öffentliches Ziel die Schweiz. Zusammen mit Samidouns Koordinator für Europa, Mohammed Khatib, trat sie am 24. Oktober 2023 in einer Szene-Kneipe in Genf auf, während Khaled Barakat online per Screen zugeschaltet wurde.
Trotz des Massakers der Hamas am 7. Oktober erklärten alle drei dort öffentlich, dass sie Hamas als legitimen Teil der palästinensischen Widerstandsbewegung betrachten. Barakat wies darauf hin, dass er die Friedensabkommen zwischen arabischen Staaten und Israel als Kriegserklärung betrachtet, denn die Konsequenz dieser Normalisierung sei aus seiner Sicht immer ein Massaker an Palästinensern. Diese und die weitere „Vorgeschichte“ müsse betrachtet werden, um die Taten der Hamas richtig einzuordnen. Kates wiederum erläuterte, dass die Hamas erst dann ein Teil der Widerstandsbewegung wurde, als sie eindeutig die Zwei-Staaten-Lösung ablehnte und aktiv gegen diese vorging. Khatib antwortete auf die Frage einer Zuhörerin, ob Widerstandsformen wie Tanzen, Schreiben und andere künstlerische Aktivitäten nicht auch wichtig seien, dass zwar alle Formen des Widerstandes wichtig seien, aber die höchste Form der bewaffnete Widerstand bliebe. („So yes, completely, all forms of resistance are very important, all forms of struggle is very important but the highest level of sacrifice for sure armed resistance that is led by the Palestinian movement.“)
Auch sonst klang das Vorgetragene wenig friedfertig.
Khaled Barakat merkte an, hätte er die Macht dazu, würde er die tödlichste Waffe gegen Israel einsetzen („If I was the leader of the Palestinian resistance in Gaza and I have the ability to decide as head of you, as a person, of what kind of missiles we should be using, I would use the most effective lethal weapon against Israel. Not because I’m angry I’m saying this, but because we have to inflict pain on Israel and the Zionist regime in order for this Zionist regime to understand that there will be a, of course, when you do these massacres against our people, that there will a consequences and repercussion.”). Kates gab Tipps für den aktiven Widerstand in der Schweiz. Man könne sich ein Beispiel an der Gruppe „Palestine Action“ in Grossbritannien nehmen, die erheblichen materiellen Schaden an den Fabriken der Firma Elbit Systems angerichtet habe, unter anderem durch Blockaden der Eingänge, durch Zerschlagen von Fenstern und Computerausrüstung und anderen Aktionen. Zumindest aber könne man Mitglied bei Samidoun Genf oder der sie am 24. Oktober einladenden Organisation Secours Rouge (im deutschsprachigen Raum „Rote Hilfe“) werden, um die lokalen Aktionen zu unterstützen. Die Schweiz, so betonten ihre Mitstreiter, sei das Mutterland des Zionismus, es wäre gut, hier gegen den Zionismus vorzugehen.
Tipps für „aktiven Widerstand“ in der Schweiz
Ob die Aufmerksamkeit Samidouns langfristig auf die Schweiz gerichtet bleibt, nachdem der deutsche Bundeskanzler ein Verbot der Organisation angekündigt hat, oder die Tipps nur der Höflichkeit den Gastgebern gegenüber geschuldet waren, wird sich in nächster Zeit zeigen. Der jetzige Koordinator von Samidoun für Deutschland, Said Abdulnasser, erklärte die ursprüngliche Fokussierung auf Deutschland im September 2023 mit zwei Faktoren: Die Zahl der in Deutschland lebenden Palästinenser, die „palästinensische Masse“, könne den deutschen Staat in seinen imperialistischen Grundfesten erschüttern. Ausserdem sei Deutschland Hochburg der zionistischen Bewegung und jeder Erfolg des palästinensischen Kampfes hätte einen grossen Effekt auf die gesamte Bewegung.
Bereits vor dem Massaker der Hamas und den darauffolgenden Ausschreitungen in Deutschland wurde auch der Aufenthaltsstatus von Abdulnasser und mindestens einem weiteren Samidoun-Aktivisten durch die deutschen Behörden geprüft. Aber erst nach dem 7. Oktober, nachdem allzu deutlich wurde, wohin solche „Widerstandsbewegungen“ auch auf deutschen Strassen führen, kündigte Olaf Scholz ein Verbot von Samidoun an.
Schweizer Behörden sind gefragt
Die Ankündigung reichte, um einen Teil der Arbeit für Samidoun zu unterbinden. Die vom Verfassungsschutz als linksextrem eingestufte „Rote Hilfe“, die zuvor die Spendensammlung zugunsten Abdulnassers in Deutschland geleitet hatte, kündigte in Deutschland öffentlich die Zusammenarbeit mit Samidoun auf. Bislang ist kein geplanter Auftritt Kates in Deutschland bekannt, obwohl sie zurzeit vermutlich legal einreisen könnte. Stattdessen lud die Rote Hilfe, Secours Rouge, Genf die Führungsriege eben in die Schweiz ein, in den Augen Samidouns zwar nicht die Hochburg des Zionismus, aber dessen Geburtsort, um sich einmal unbehelligt über möglichen „Widerstand“ in Europa zu unterhalten. Denn sowohl die Schweiz als auch Deutschland sind in Augen der Führung von Samidoun zugleich Ursache wie Garant für das „zionistische Gebilde“, dessen Vernichtung ihr Ziel ist.
Nun sind die Schweizer Behörden gefragt, um zu überprüfen, ob die innere Sicherheit und der öffentliche Frieden der Schweiz gewährleistet werden können, wenn Samidoun und die das Netzwerk unterstützenden Gruppen wie Secours Rouge hier weiterhin die gleiche Radikalisierungsfreiheit geniessen, von der sie jahrelang in Deutschland profitieren konnten.
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