Aschkelon: Im Barzilai-Krankenhaus kämpft man gegen das Leid des Krieges

"Irgendwann wird auch Zeit sein für Tränen und Wut"

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Das Barzilai Medical Center in der südisraelischen Stadt Ashkelon, 10 Kilometer nördlich des Gazastreifens. Foto IMAGO / Xinhua
Das Barzilai Medical Center in der südisraelischen Stadt Ashkelon, 10 Kilometer nördlich des Gazastreifens. Foto IMAGO / Xinhua
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Im Barzilai-Krankenhaus stehen die Mediziner an der Front. Auch sie kämpfen mit dem Schock, den der Angriff der Terrororganisation Hamas ausgelöst hat. Doch die Gefühle müssen warten. Jetzt steht Professionalität an erster Stelle.

von Andrea Krogmann

Das Barzilai-Krankenhaus in Aschkelon gleicht einer Festung. Wachleute am Eingang der Notaufnahme. Soldaten in der Lobby und auf vielen Stationen. Hinter einer Handvoll Krankenwagen in der Einfahrt haben Sanitäter, Pfleger und Ärzte eine Raucherecke aufgemacht. Alle wirken erschöpft. Keine zehn Kilometer Luftlinie trennt Barzilai von der Grenze zum Gazastreifen, eine Lage, die das Haus zum wichtigsten Erstversorger machte, als am 7. Oktober Raketen und Terror der Hamas in nicht gekanntem Ausmaß über das Land kamen. Hunderte teils schwerstverletzte Opfer wurden hier seit Kriegsbeginn behandelt. Kommt es zur Bodenoffensive, rechnet man mit deutlich höheren Zahlen.

In Barzilai hat man Erfahrung mit Krieg. Aber sowas wie den 7. Oktober hat bisher keiner erlebt. „Das hier ist anders“, sagt Tal Ovadia. Der 42-Jährige aus Aschkelon ist für die 39 Sozialarbeiter der psychiatrischen Abteilung verantwortlich. Jetzt kümmert er sich um Opfer und Angehörige. „Es ist nicht nur die Zahl der Opfer, sondern das Ausmaß der Gewalt. Wir hören viele schreckliche Zeugnisse furchtbarer Gewalt, und es wird lange brauchen, bis wir realisieren, was wir gehört und was die Menschen gesehen haben“, sagt Tal Ovadia. Es sei „wie ein Horrorfilm“, die Menschen seien „im Überlebensmodus“.

Viele der Verletzungen seien nicht mit den klassischen Verletzungen früherer Kriege vergleichbar, beschreiben Chirurgin Ilena Markman und Assistenzarzt Assaf Uzan die Szenen in Notaufnahme und Schockraum. Schwerste Kopf- und Gesichtsverletzungen seien darunter gewesen, auch komplizierte Verletzungen an Lunge, Leber und Darm. Die 35-Jährige spricht von „einem Meer von Verletzten“. Die Menschen hätten stark unter Druck gestanden, und auch das Team habe „Angst wie alle“, sagt Markman.

Gefühle dominieren den Raum. Der Schock über das Erlebte, das Unverständnis, das Nicht-Begreifen können, das Vergessen-Wollen, weil das Gesehene „so unvorstellbar schwer war“, sagt Ilena Markman. Für diese Gefühle ist jetzt keine Zeit. Stattdessen versuchen sie, Fehler und Schwachstellen zu finden, um beim nächsten Mal besser zu sein. „Jede Minute zählt und kann ein Leben retten“, sagt die Medizinerin, zum Beispiel durch eine bessere Triage der Verletzten.

Das Kinderbetreuungszentrum im Barzilai Medical Center in Aschkelon wurde am 1.. Oktober 2023 von einer aus dem Gazastreifen abgefeuerten Rakete direkt getroffen.

Drei Stockwerke des neuen Krankenhausgebäudes sind als Schutzräume gebaut. Unter anderem die Notaufnahme, Dialyse und Operationssäle befinden sich in dieser gesicherten Zone. Andere, ungeschütztere Bereiche des Krankenhauses haben zwei direkte Treffer erlitten. Gleich am ersten Tag traf eine Rakete den Verbindungsgang zwischen dem alten und dem neuen Gebäude, am Mittwoch danach ein Entwicklungszentrum für Kinder, das etwas abseits auf dem weitläufigen Klinikareal liegt. Verletzt wurde niemand, sagt der Sicherheitsbeauftragte des Krankenhauses, Alon Farber – „zum Glück“. Eines seiner Kinder hätte in dieser Woche hier behandelt werden sollen.

Es ist wie ein Alptraum

Mehr als zehn Tage Krieg haben Spuren auf den Gesichtern hinterlassen. Die Menschen im Barzilai sind nicht nur Behandelnde, sondern auch Betroffene. Assistenzarzt Assaf Uzan etwa, der in Sderot wohnt und die Terroristen der Hamas von seinem Fenster aus sah. „Zwei Tage habe ich mit meiner Frau und meinen drei Kindern im Haus verbracht, bevor ich sie zu meinem Vater in Haifa bringen und selbst ins Krankenhaus fahren konnte“, sagt der 36-Jährige. „Ich kann es immer noch nicht glauben, es ist wie ein Alptraum.“ Seine Familie sieht Uzan momentan nur am Schabbat. Ansonsten schläft er im Krankenhaus. Arbeiten zu müssen bei gleichzeitiger Sorge um Freunde und Familie, sei ein belastender Spagat, sagt auch Tal Ovadia.

Das arabisch-jüdische Miteinander am Barzilai habe bisher nicht unter der Lage gelitten, sagt Mohammed Abu Chamad. Der Beduine aus Arad ist Arzt in Ausbildung und hat seinen Urlaub abgesagt, um verfügbar zu sein. Auch er sah in seinen Nachtschichten in der Notaufnahme viel, „Kopfschüsse, amputierte Glieder, Raketenverletzungen“. Auf den knapp 90 Kilometer zwischen seiner Wohnung und der Klinik begleiten ihn Raketenalarme und Angst. „Alle von uns wollen, dass diese Gewalt aufhört, denn es gibt keine Gewinner in einem Krieg. Auch der Gewinner verliert“, sagt er; aber eine Sorge vor einer Veränderung der Stimmung bleibe.

Die unsichtbaren Spuren verdrängen sie am Barzilai im Moment lieber. „Wir arbeiten wie Maschinen. Wir dürfen jetzt nicht schwach werden, sondern müssen jetzt da durch“, sagt die Chirurgin Markman. Zwar stünden dem Team theoretisch jede Menge Psychologen zur Verfügung, „aber wir haben keine Zeit dafür“. Wenn die Zeiten besser werden, werde man sich Zeit nehmen, um sich selbst und umeinander zu kümmern. „Dann wird auch Zeit sein für Tränen und Wut.“

Vorher aber bereitet sich das Krankenhausteam auf eine Bodenoffensive der israelischen Armee in den Gazastreifen vor. Dass sie kommt, scheint den meisten Beobachtern nur eine Frage der Zeit. Dann wird das Barzilai erneut die erste Adresse sein, diesmal für die Versorgung verwundeter Soldaten. Wenn es soweit ist, werde man vorbereitet sein und wissen, was zu tun ist, glaubt Assaf Uzan. Das ungute Gefühl im Team bleibt. „Die Bodenoffensive macht mich nervös“, sagt Tal Ovadia, weil dann viel Arbeit auf Mediziner und Pflegende zu komme. Und weil er viele Menschen kenne, deren Kinder jetzt in der Armee sind. Schon jetzt „kennt jeder von uns jemanden, der einen Menschen verloren hat oder vermisst“.

KNA/akr/sky