Der Krieg mit der Hamas: Rechtliche Grundlagen

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Israelische Panzer und Truppen an der Nordfront Israels zum Libanon, 15. Oktober 2023. Foto Eytan Schweber/TPS
Israelische Panzer und Truppen an der Nordfront Israels zum Libanon, 15. Oktober 2023. Foto Eytan Schweber/TPS
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Oberst (a.D.) Pnina Sharvit Baruch beschreibt die rechtlichen Aspekte, die für Israels Kampfhandlungen im Gazastreifen gelten.

Der brutale Angriff der Hamas, der sich gezielt gegen israelische Bürger, Zivilisten sowie Soldaten richtete, und die von der Hamas und anderen Terroristen begangenen Gräueltaten – darunter Mord, Folter, Vergewaltigung, Entführung, Plünderung und viele andere Verbrechen – stellen grobe Verstösse gegen das Völkerrecht und insbesondere gegen das internationale Strafrecht dar. Diese schrecklichen Taten stellen die schwersten Verbrechen des Völkerrechts dar, die als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert sind und den Tatbestand des Völkermords erfüllen. Die Hamas ist absolut verpflichtet, alle in den Gazastreifen entführten Personen, deren fortgesetzte Inhaftierung ein schweres und andauerndes Kriegsverbrechen darstellt, unverzüglich freizulassen.

Trotz der schrecklichen Verbrechen der Hamas ist Israel verpflichtet, die Gesetze für bewaffnete Konflikte (LOAC, Law of Armed Conflict, Kriegsvölkerrecht) einzuhalten. In diesen Gesetzen gibt es keinen Grundsatz der Gegenseitigkeit.

Nach dem Kriegsvölkerrecht sind direkte Angriffe auf militärische Ziele zulässig, während direkte Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Objekte verboten sind und als Kriegsverbrechen gelten. Die Definition von “militärischen Zielen” umfasst zivile Objekte, die aufgrund ihrer Beschaffenheit, ihres Zwecks, ihres Standorts oder ihrer Verwendung einen wirksamen Beitrag zur militärischen Aktion leisten und deren Zerstörung einen eindeutigen militärischen Vorteil bietet (Art. 52(2) des Zusatzprotokolls I von 1977). Da die Hamas ihre militärische Infrastruktur im Herzen der Zivilbevölkerung des Gazastreifens untergebracht hat, unter anderem in Wohnhäusern, Schulen, Moscheen und Geschäften, ist es zulässig, Angriffe auf diese Orte zu richten, da sie ihren zivilen Charakter verloren haben und durch diese Nutzung zu legitimen militärischen Zielen geworden sind.

Nach dem Kriegsvölkerrecht ist es selbst bei einem Angriff auf ein militärisches Ziel verboten anzugreifen, wenn die zu erwartenden Kollateralschäden an Zivilisten und zivilen Objekten im Verhältnis zum erwarteten militärischen Vorteil des Angriffs übermässig sind. In Anbetracht der enormen Bedrohung, die die Hamas derzeit für Israel darstellt, wird erwartet, dass die Zerstörung der militärischen Fähigkeiten der Hamas Israel einen grossen Sicherheitsvorteil verschafft. Wird dieses Ziel nicht erreicht, wird es der Hamas gelingen, Israel de facto die Ausübung seiner Souveränität in den Gebieten an der Grenze zum Gazastreifen unmöglich zu machen. Selbst wenn bei den Angriffen zahlreiche Zivilisten im Gazastreifen zu Schaden kommen, handelt es sich in Anbetracht dieses bedeutenden militärischen Vorteils nicht notwendigerweise um übermässige zufällige Schäden und somit nicht um unverhältnismässige Angriffe, die illegal sind.

Vorsichtsmassnahme zugunsten der Zivilbevölkerung

Nach dem Kriegsrecht besteht die Verpflichtung, bei Angriffen auf militärische Ziele alle möglichen Vorkehrungen zu treffen, um den Schaden für die Zivilbevölkerung möglichst gering zu halten. Es gibt jedoch keine rechtliche Verpflichtung, eine Person vor einem Angriff zu warnen. Unter den gegebenen Umständen kann eine allgemeine Warnung an die Zivilbevölkerung, Gebiete zu verlassen, die von den israelischen Verteidigungsstreitkräften angegriffen werden sollen, sicherlich als ausreichende Vorsichtsmassnahme angesehen werden. Es handelt sich dabei nicht um eine Zwangsumsiedlung von Zivilisten oder eine ethnische Säuberung. Vielmehr handelt es sich um eine Vorsichtsmassnahme zugunsten der Zivilbevölkerung, um deren Leben zu schonen.

Palästinenser fliehen aus Gaza-Stadt, nachdem Israel die Zivilbevölkerung aufgerufen hat, das Gebiet zu ihrem eigenen Schutz zu verlassen , 13. Oktober 2023. Foto Majdi Fathi/TPS

Dass die Hamas die Bewohner des Gazastreifens als menschliche Schutzschilde für ihre militärischen Aktivitäten benutzt, ist ein Kriegsverbrechen. Gleiches gilt für ihre Massnahmen, die Zivilisten daran hindern, sich aus den Gefahrenzonen zu entfernen.

Der Gazastreifen steht nicht unter israelischer Besatzung. Israel hat sich 2005 vollständig aus dem Gazastreifen zurückgezogen und hat keine effektive Kontrolle über das Gebiet. Die Fähigkeit der Hamas, den ausgeklügelten Angriff auszuführen und Israel zu überraschen, zeigt dies deutlich. Israel ist nicht verpflichtet, dem feindlichen Gebiet Mittel zur Verfügung zu stellen, einschliesslich Strom und Wasser.

Es ist zulässig, eine Blockade, einschliesslich einer Seeblockade, über feindliches Gebiet zu verhängen. Wenn ein schwerer humanitärer Mangel besteht, können Hilfsorganisationen beantragen, den Transfer von Hilfsgütern zuzulassen, und es wird Gründe geben, dies zu berücksichtigen.

Oberst a.D. Pnina Sharvit Baruch kam 2012 als Senior Researcher zum  Institute for National Security Studies (INSS) und leitet das Programm für Recht und nationale Sicherheit. Sie schied 2009 aus der israelischen Armee aus, nachdem sie zwanzig Jahre lang in der Abteilung für internationales Recht des Militärischen Generalanwalts (MAG) gedient hatte, davon fünf Jahre (2003 – 2009) als Leiterin der Abteilung. Übersetzung Audiatur-Online.

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