Neue Proteste für und gegen Justizreform in Israel – Kompromiss möglich?

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Kundgebung zugunsten des von der Regierung geplanten Gesetzes zur Justizreform. Tel Aviv, 23. Juli 2023. Foto Eytan Schweber/TPS
Kundgebung zugunsten des von der Regierung geplanten Gesetzes zur Justizreform. Tel Aviv, 23. Juli 2023. Foto Eytan Schweber/TPS
Lesezeit: 3 Minuten

Die Proteste in Israel gegen die Justizreform reissen nicht ab. Offenbar sind nun ranghohe Koalitionsmitglieder zu einem Kompromiss bereit. Gibt es keine Einigung, droht ein Generalstreik.

von Andrea Krogmann

 Im anhaltenden Streit um einschneidende Reformen im israelischen Justizsystem haben sich offenbar ranghohe Vertreter der Regierungskoalition kompromissbereit gezeigt. Sie seien bereit zu einer “gewissen Abschwächung” des Entwurfs zur Abschaffung der sogenannten Angemessenheitsklausel, berichteten Medien am Sonntagmittag. Zudem seien sie offen für eine Aussetzung des entsprechenden Verfahrens von sechs Monaten. Die Opposition fordert ein Einfrieren des Vorhabens für mindestens 18 Monate, wenn kein Konsens erzielt werden sollte.

Seit Mittag berät die Knesset in einer Sondersitzung über den umstrittenen Entwurf, der voraussichtlich Montag in zweiter und dritter Lesung vor das Parlament kommen soll. Das Projekt gilt als Kernpunkt einer von der Regierung vorangetriebenen Justizreform. Die Angemessenheitsklausel ermöglicht es dem Obersten Gericht bisher, Regierungsentscheidungen als “unangemessen” abzulehnen. Zuletzt kam sie zur Anwendung, als das Gericht im Januar die Ernennung eines vorbestraften Politikers zum Innen- und Gesundheitsminister untersagte.

Nach der nun abgeschwächten Fassung wäre das Gericht Berichten zufolge weiter in der Lage, “unangemessene” Ministerentscheidungen zu annullieren, nicht jedoch übergeordnete Regierungsentscheidungen und Ernennungen, die der Zustimmung der Knesset bedürfen.

Kurz vor Beginn der abschliessenden Beratungen musste sich der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu (73) einer Herzschrittmacher-Operation unterziehen. Er habe den Eingriff im Scheba-Krankenhaus bei Tel Aviv gut überstanden und werde voraussichtlich am Sonntagabend entlassen, teilte sein Büro mit.

Führende Wirtschaftsvertreter des Landes kündigten unterdessen an, alles zu tun, “um eine einseitige Gesetzgebung zu verhindern, die schwerwiegende Auswirkungen auf die Wirtschaft hat und die Einheit der Nation stört”. Nach Angaben der Zeitung “Haaretz” erklärte das aus 150 Wirtschaftslenkern bestehende israelische Wirtschaftsforum nach einer Dringlichkeitssitzung, sich auf eine Stilllegung der Betriebe vorzubereiten. Der Hauptgewerkschaftsbund stellte der Regierung derweil ein Ultimatum bis Sonntagnachmittag: Sollte kein Kompromiss gefunden werden, werde es Beratungen über einen möglichen Generalstreik geben.

Leitende Fakultätsmitglieder der Hebräischen Universität Jerusalem haben als Reaktion auf die geplante Justizreform bereits mit den Vorbereitungen eines Arbeitskampfes begonnen. Damit könnten Hunderte Angestellte in rund zwei Wochen in den Streik treten. Sie warnen vor negativen Auswirkungen der Regierungspläne etwa bei Arbeitsbedingungen, Spendenwerbung, Forschungsbudgets sowie der akademischen Zusammenarbeit mit ausländischen Institutionen.

In den Reihen der israelischen Armee steigt ebenfalls der Druck auf die Regierung. Zuletzt hatten am Samstag rund 10’000 IDF-Reservisten angekündigt, nicht zum Dienst zu erscheinen. Sie schlossen sich laut Medienberichten knapp 1.200 Luftwaffenreservisten an, die bereits am Freitag Dienstverweigerung angekündigt hatten, sollte die Regierung ihre Pläne durchsetzen. Der Generalstabschef der israelischen Armee, Herzi Halevi, forderte laut der Zeitung “Jerusalem Post” Reservisten zur Rückkehr in die Armee auf, die wegen der Reformpläne bereits ausgeschieden sind.

Auch auf den Strassen des Landes reisst der Protest gegen die Reformpläne nicht ab. In mehreren Städten demonstrierten am Samstagabend erneut Hunderttausende Menschen. Dabei kam es laut Medienberichten vereinzelt zu Zusammenstössen und Ausschreitungen. Friedlich verlief die Ankunft eines mehrtägigen Protestmarsches von Tel Aviv nach Jerusalem. Nach Polizeischätzungen erreichten zwischen 35.000 und 40.000 Teilnehmer am Samstagabend das Zentrum von Jerusalem.

Kundgebung gegen das von der Regierung geplante Gesetz zur Justizreform. Tel Aviv, 22. Juli 2023. Foto IMAGO / Sipa USA

Zahlreiche Demonstranten zelteten in einem Park nahe des Jerusalemer Regierungsviertels und nahmen am Morgen ihre Proteste wieder auf. In den Morgenstunden formten Reformgegner eine Menschenkette von der Klagemauer bis zur Knesset. Mit weiteren Demonstrationen wird am Sonntagabend unter anderem in Tel Aviv und in Jerusalem gerechnet. Auch Anhänger der Reform demonstrierten. Zehntausende von Demonstranten nehmen an der Azrieli-Kreuzung in Tel Aviv an einer Kundgebung zugunsten der vorgeschlagenen Änderungen des Rechtssystems teil. Die Demonstranten forderten, dass die geplante Justizreform fortgesetzt werden soll.

KNA/akr/api/Aud

1 Kommentar

  1. Unsere linken Medien – auffallend vor allen SRF – betreiben seit Monaten zugunsten der meist linken Demonstranten – sprich Wahlverlierer – anwaltschaftlichen Journalismus. Während ohne Ende aufgeregte Leute vom Ende der Demokratie schwatzen und Grossaufnahmen der Demos gesendet werden, erfährt man nie, warum die Justizreform notwendig ist. Dafür wird völlig irreführend von “Schwächung” der Justiz geredet ohne zu erklären, dass sich das oberste Gericht seit 1992 in einem Mass Macht zugeschanzt hat, wie es z.B. bei uns undenkbar wäre. Es ist die heutige Situation, die eine korrekte Gewaltentrennung verunmöglicht. So wird einfach alles verdreht.

    Ein Gericht, dass jederzeit in die Arbeit des Parlaments oder der Regierung eingreifen kann mit dem Argument, etwas sei unpassend – ohne, dass ein Gesetz tangiert würde – gehört nicht in eine Demokratie.

    Eigentlich wollen die Linken Israels einfach die Macht des politisch links tickenden Gerichts erhalten, weil dieses in ihrem Sinn quasi Israel regiert – ohne aber vom Volk gewählt worden zu sein.

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