Bücherverbrennung vor 90 Jahren: „Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch Menschen“

Sie wurden verbrannt und verbannt: Vor 90 Jahren loderten in Deutschland Scheiterhaufen mit unliebsamen Büchern. Die Nazis griffen dabei auf Jahrhunderte alte Traditionen zurück.

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Bücherverbrennung Mai 1933. Foto IMAGO / Everett Collection
Bücherverbrennung Mai 1933. Foto IMAGO / Everett Collection
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„Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ Die düstere Prognose, die Heinrich Heine 1820 formulierte, wurde mehr als 100 Jahre später grausige Wirklichkeit. Im Frühling 1933, vor 90 Jahren, brannten in Deutschland die Bücher. Die Scheiterhaufen waren ein weiteres Fanal für den Weg in die totalitäre Diktatur und den Holocaust. Bundesweit erinnern in diesen Tagen Städte, Hochschulen und Verlage an diesen Versuch, unliebsames Wissen und Meinungsfreiheit zu vernichten.

von Christoph Arens

Dabei richtet sich der Blick auch in die Gegenwart: Seit rund 40 Jahren gibt es in den USA die „Banned Books Weeks“, in denen die Initiatoren gegen zunehmende Versuche reagieren, unliebsame Bücher aus Schulen, Buchhandlungen und Bibliotheken zu entfernen. Auch Bücher der Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling landeten in den vergangenen Jahren im Feuer – auf Initiative katholischer Priester in Polen und auf Initiative linker Aktivisten, die ihr transphobe Äusserungen vorwarfen. 

Die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 in Berlin war dabei nur der Höhepunkt einer monatelangen Kampagne der Einschüchterung und des Terrors: Die ersten Bücher loderten schon im Februar 1933, als Verlage, Buchhandlungen und Bibliotheken von SPD, KPD und Gewerkschaften geplündert wurden. Auch die Hitlerjugend suchte in Schulbüchereien nach verfemten Schriften und verbrannte sie bei Schulfesten und Gelöbnisfeiern.

Dass die Kampagne solche Wucht erlangte, verdankte sie dem Machtkampf zwischen der Deutschen Studentenschaft (DSt) und dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB) an den Hochschulen. „Der Staat ist erobert. Die Hochschulen noch nicht. Die geistige SA rückt ein. Die Fahne hoch.“ Unter diesem Schlachtruf gingen die Nazis nach der Machtergreifung daran, ihre Herrschaft an den Universitäten auszubauen. Ideologisch gab es dabei zwischen NS-Studentenbund und der Deutschen Studentenschaft kaum Differenzen. Aber es ging darum, wer das Recht der weltanschaulichen Schulung der Studenten durchsetzte. 

Weit mehr als 20.000 Bücher kamen allein in Berlin bei den Sammelaktionen zur Bücherverbrennung zusammen. 5.000 Studenten zogen am Abend des 10. Mai in einem Fackelzug zum Opernplatz, begleitet von geschätzten 80.000 Zuschauern. Gegen Mitternacht hielt Propagandaminister Joseph Goebbels seine Feuerrede: „Das Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus ist nun zu Ende“, lobte er die „starke, grosse symbolische Handlung“. „Wenn Ihr Studenten Euch das Recht nehmt, den geistigen Unflat in die Flammen hineinzuwerfen, dann müsst Ihr auch die Pflicht auf Euch nehmen, an die Stelle dieses Unrates einem wirklichen deutschen Gut die Gasse freizumachen.“

Bis Ende Mai loderten von Königsberg bis Bonn und von Kiel bis München in fast allen Universitätsstädten die Scheiterhaufen. Unter Beteiligung von Rektoren und Professoren verbrannten die Bücher von Erich Kästner, Kurt Tucholsky, Alfred Döblin, Bertolt Brecht, Else Lasker-Schüler, Alfred Kerr, Ernst Ottwalt und vielen anderen.

Mit der Bücherverbrennung konnten die Nationalsozialisten auf eine Jahrhunderte alte Tradition zurückgreifen. Schon der römische Kaiser Diokletian (284-305) liess Schriften der Christen verbrennen. Durch das ganze Mittelalter ordneten Kaiser, Bischöfe oder Konzilien die Vernichtung als häretisch angesehener Schriften an: Etwa bei der Pariser Talmudverbrennung, bei der 1242 auf Anordnung der Kirche jüdische Bücher aus ganz Westeuropa zusammengekarrt und auf einem riesigen Haufen verbrannt wurden. Ebenso der „Scheiterhaufen der Eitelkeiten“ des Busspredigers Girolamo Savonarola, der in Florenz 1497 Künstler wie Sandro Botticelli dazu brachte, ihre „Obszönitäten“ dem Feuer zu übergeben. Eine Hoch-Zeit brennenden Schrifttums in Europa waren Reformation und Religionskriege.

Unmittelbar beriefen sich die Nationalsozialisten auf das Wartburgfest von 1817, auf dem radikale Burschenschafter „reaktionäre“ und „undeutsche“ Schriften verbrannten. Heine befand dazu: „Auf der Wartburg krächzte die Vergangenheit ihren obskuren Rabengesang, und bei Fackellicht wurden Dummheiten gesagt und getan, die des blödsinnigsten Mittelalters würdig waren!“

KNA/cas/jps