Neben Goethes früherer Männer-WG versteckte sich ein Jude vor den Nazis

0
Das Casa di Goethe in Rom, das einzige deutsche Museum im Ausland, erinnert an den Dichter Johann Wolfgang von Goethe, der wie kein anderer die Italien-Sehnsucht symbolisiert. (Foto vom 06.10.2017: li. das Casa in der Via del Corso) Foto IMAGO / epd
Das Casa di Goethe in Rom, das einzige deutsche Museum im Ausland, erinnert an den Dichter Johann Wolfgang von Goethe, der wie kein anderer die Italien-Sehnsucht symbolisiert. (Foto vom 06.10.2017: li. das Casa in der Via del Corso) Foto IMAGO / epd
Lesezeit: 3 Minuten

Den Grossteil seiner berühmten Italienreise verbrachte Johann Wolfgang von Goethe in Rom. Später sollte sich im dortigen Wohnhaus ein Jude vor den Nazis verstecken. Die Geschichte wird nun in einer Ausstellung erzählt.

von Anita Hirschbeck

Zwei-, dreimal tippt Museumsdirektor Gregor Lersch mit dem Fuss auf den rot gefliesten Boden. „Etwa hier muss sich die Falltür befunden haben“, sagt der Leiter der Casa di Goethe in Rom. In dem Palazzo an der Via del Corso verbrachte Schriftsteller Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) einen grossen Teil seiner fast zweijährigen Italienreise zwischen 1786 und 1788. In einer fröhlichen Männer-WG verlebte der damals schon bekannte Dichter zufriedene Tage. Das Haus war allerdings auch Schauplatz weitaus dunklerer historischer Begebenheiten: 1943/44 versteckte sich der Jude Guido Zabban im Zwischengeschoss unter der Falltür vor den Nazis.

Zabbans Geschichte hat die Casa di Goethe – das einzige von öffentlichem Geld finanzierte Museum ausserhalb Deutschlands – nun aufgegriffen und in ihre Dauerausstellung integriert. Gleich am Anfang des Rundgangs, in unmittelbarer Nähe der früheren Falltür, ist auf einem pink umrandeten Bildschirm ein Video zu sehen, in dem Guido Zabbans Sohn Fausto die Geschichte seiner Familie erzählt.

Sein Vater habe in einem Teil der jetzigen Museumsräume das römische Büro einer Mailänder Kohleimportfirma geleitet, sagt der heute Über-80-Jährige. Während des Zweiten Weltkriegs stand Italien zunächst an der Seite Deutschlands. 1943 schloss die Regierung jedoch einen Waffenstillstand mit den Alliierten, woraufhin die Deutschen Rom besetzen. In der Nacht zum 16. Oktober befahl Sicherheitspolizei-Chef Herbert Kappler eine Razzia im jüdischen Wohnviertel. Familie Zabban wurde rechtzeitig gewarnt und konnte untertauchen. Anderen gelang das nicht mehr: Die Nazis schafften mehr als 1.000 Menschen in Konzentrationslager.

„Wir zerstreuten uns in Rom“, erzählt Fausto Zabban in dem Video. Die Mutter kam unter einem Pseudonym als Angestellte in einem Privathaushalt unter; die beiden Söhne tauchten ebenfalls unter falschen Namen in einem katholischen Internat ab. Vater Guido floh an seinen Arbeitsplatz in der Via del Corso. Dort versteckte ihn die Portiersfrau Autorina Severini neun Monate lang im Zwischengeschoss unter der Falltür und versorgte ihn mit Essen.

Die gesamte Familie überlebte und fand wieder zusammen, nachdem die Alliierten Rom im Juni 1944 befreit hatten. Der 1979 gestorbenen Portiersfrau Severini wird auf Betreiben der Zabban-Söhne seit 2008 als „Gerechte unter den Völkern“ in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem gedacht. „Wir wollten an ihren Einsatz, an ihren Wert erinnern“, sagt Fausto Zabban.

Der neue Einstieg in den Rundgang der Ausstellung sei vielleicht etwas verstörend für Menschen, die sich einfach über Goethes Zeit in Rom informieren wollten, räumt Museumsdirektor Lersch ein. „Aber es geht um dieses Haus und um diesen Ort, der eine vielschichtige Geschichte hat. Und das gehört dazu.“

Das Video ist nicht die einzige Veränderung. Studierende der Weissensee Kunsthochschule in Berlin haben sich Raum für Raum vorgenommen – und zunächst die Richtung des Rundgangs verändert. Nun landen Besuchende nicht direkt in Goethes früherem Schlafzimmer, sondern können sich zunächst an einer Italien-Landkarte über die Stationen seiner italienischen Reise informieren. In der Bibliothek haben die Studierenden Werke des Dichters in unterschiedlichen Sprachen ausgestellt. Das Publikum hat damit etwas zum Anfassen.

Der Mitmach-Gedanke spielt auch an der neuen Tast-Station eine Rolle, wo zum Beispiel Lavastein vom Vesuv angefasst werden darf. Auch in Neapel hat Goethe einen Teil seiner Reise verbracht. Touristinnen und Touristen können zudem Postkarten mit historischen Motiven beschriften und sich in Goethes Schlafzimmer über die Frauen in seinem Leben informieren.

Die Ideen der Studierenden – „intervenzioni“ genannt – sind noch bis zum Jahresende in der Casa di Goethe zu sehen. Lersch plant allerdings langfristige Eingriffe an der Dauerausstellung. Die „intervenzioni“ sieht er als Schritt hin zu einer Neukonzeptionierung, die nach 20 Jahren „einfach ansteht“. Die Geschichte der Familie Zabban wird dann sicher eine Rolle spielen.

Ausstellung "Casa di Goethe intervenzioni", 24. März bis 31. Dezember, Casa di Goethe, Via del Corso 18, 00186 Rom, Italien, geöffnet von Dienstag bis Sonntag zwischen 10.00 und 18.00 Uhr, Eintritt 6 Euro (ermässigt 5 Euro).

KNA/ahi/sba/sky