Israel gedenkt der sechs Millionen Shoa-Opfer

147'199 leben – der Antisemitismus blüht

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28. April 2022: Israelis stehen feierlich mit gesenktem Kopf und gedenken der sechs Millionen jüdischen Opfer des Holocaust, während das Leben in den Straßen Jerusalems und im ganzen Land ruht. Eine zweiminütige Sirene durchbricht die Stille zum Gedenktag für die Märtyrer und Helden des Holocaust, Jom HaShoah. Foto IMAGO / ZUMA Wire
28. April 2022: Israelis stehen feierlich mit gesenktem Kopf und gedenken der sechs Millionen jüdischen Opfer des Holocaust, während das Leben in den Straßen Jerusalems und im ganzen Land ruht. Eine zweiminütige Sirene durchbricht die Stille zum Gedenktag für die Märtyrer und Helden des Holocaust, Jom HaShoah. Foto IMAGO / ZUMA Wire
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Statistiken und Zahlen sind unpersönlich und kalt. Aber diese aktuelle Zahl aus Israel berührt: 147’199 Menschen, die im Kindesalter Auschwitz, Majdanek, Bergen-Belsen und die vielen anderen Mordlager der Nazis überlebt haben, erfreuen sich der Frühlingssonne 2023 in Tel Aviv, Haifa und Jerusalem. Auf dem Tisch liegen aber auch die Horror-Nachrichten aus Berlin vom April 2023: Araber singen in den Strassen von Neukölln und Kreuzberg: „Tod den Juden, Tod Israel“.

Schon wieder? Hat sich nichts geändert? Nur die Hautfarbe und das Aussehen der potentiellen Täter? Der Tatort ist gleichgeblieben, ein paar Schritte vom ehemaligen Reichssicherheitshauptamt in der Wilhelmstrasse 101 entfernt, wo Reinhard Heydrich und Ernst Kaltenbrunner gewütet haben. Und es sind nur ein paar Autominuten zum Wannsee, wo die „Endlösung der Judenfrage“ bei Cognac und Whisky minutiös geplant wurde. Was nützen 17 Antisemitismus-Beauftragte im Bund und in den Bundesländern, wenn an einem Sonntag im April 2023 hunderte wie am 9. November 1938 Judenhass skandierend durch Berlin ziehen? Bei democ.de heisst es am nächsten Tag: „Die Polizei Berlin war nach eigenen Angaben mit Dolmetschern vor Ort, schritt aber nicht gegen die Parolen ein“.

Die jüdisch-amerikanische Historikerin, Debora Lipstadt, hat in ihrem 2019 erschienenen Buch „Antisemitism: Here and Now“ glasklar entlarvt, was sich hinter dem Wort „Antisemitismus“ versteckt: Judenhass. Der Erfinder des  Antisemitismus, Wilhelm Marr, hat seine Abneigung gegen Juden Ende des 19. Jahrhunderts hinter dem Wort „Anti-Semitismus“ verborgen und es bewusst mit einem Bindestrich geschrieben. Mit dieser durchsichtigen Taktik hat er die politische „Antisemiten-Liga“ gegen „Semiten“ gegründet, einer Vorläuferin der Nazi-Partei.

Deborah Lipstadt fragt: Warum soll Antisemitismus mit einem Bindestrich geschrieben werden? Semitismus oder semitisch weist auf Sprachen hin, die in Nordafrika und im Nahen Osten gesprochen werden: Arabisch, Hebräisch, Aramäisch und andere. Die Menschen, die in diesen Sprachen kommunizieren sind keine Semiten. Eben so wenig werden Menschen, die sich in den romanischen Sprachen Spanisch, Portugiesisch, Französisch oder Italienisch verständigen, romantisch oder Romantiker genannt. Der Bindestrich verändert den dokumentiert ältesten Hass nicht grundsätzlich. Aber er beweist, dass der Hass auf Juden heute und in der Vergangenheit auf einer frei-erfundenen Rassentheorie fusst.

462 Hundertjährige Holocaust-Überlebende

Juden sind seit 2000 Jahren auf allen Kontinenten zu finden ebenso wie in allen Berufen. Nirgendwo ist das heute besser zu beobachten als in den Strassen und Cafés in Israel. Blonde sitzen neben Schwarzhaarigen, Kleinwüchsige arbeiten mit 1,95-Meter-Hünen. Der Judenstaat ist ein erfolgreicher Multi-Kulti-Staat. Wer die grölende Meute in den Strassen Neuköllns sieht, kann nur froh darüber sein, dass es Israel gibt. Wo sonst könnten die 462 Holocaust-Überlebenden, die in den letzten zwölf Monaten ihren hundertsten Geburtstag hatten, diesen in aller Gelassenheit fröhlich feiern?  Wo hätten die 521 jüdischen Ukrainer, Überlebende der Nazi-Zeit, ihr neues Zuhause nach Beginn des russischen Überfalls im Februar 2022 gefunden?

Sie alle stehen am 18. April – so wie jedes Jahr seit 1948 – wenn die Sirenen aufheulen, wo auch immer sie sich in Israel gerade befinden, zwei Minuten still. Überlebende und ihre Nachfahren halten inne zum Gedenken an die sechs Millionen Ermordeten zwischen 1933 und 1945.

Der vierfache Pulitzer-Preisträger Robert Lee Frost hat sicherlich nicht geahnt, dass seine 1965 zu Papier gebrachte Definition von Heimat punktgenau auf Israel zutrifft: wenn Du dorthin gehen musst, wirst Du hereingelassen.

Über Godel Rosenberg

Journalist, Autor, High­techunternehmer. Godel Rosenberg war Pressesprecher der CSU und von Franz Josef Strauß, Fernsehjournalist, TV­-Moderator und Repräsen­tant des Daimler­-Konzerns in Israel. Von 2009 bis 2018 war Godel Rosenberg der Repräsentant Bayerns in Israel.

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