Seit Jahren wimmelt es im Internet von Warnungen der radikalen Linken, dass Israel im Begriff sei, ein nazistischer, nordkoreanischer, chinesischer, faschistischer Staat oder eine Diktatur zu werden. Dem ist nicht so.
von Ariel Kahana
„Befreit euch von der Diktatur von [Premierminister] Benjamin Netanjahu“, titelte die Zeitung Walla! 2014 kühn. „Israel beginnt, wie Nordkorea auszusehen, aber die Menschen gehen nicht auf die Strasse“, behauptete ein Ha’aretz-Podcast im Jahr 2019. 2016 stellte der damalige stellvertretende Stabschef der IDF, Yair Golan, in Israel „Prozesse fest, wie sie in Deutschland in den 1930er Jahren stattfanden.“ Er war nicht der erste, der diese Behauptung aufstellte; bereits in den 1980er Jahren warnte uns Professor Yeshayahu Leibowitz vor den „Juden-Nazis“.
Im Jahr 2020 behauptete der angesagte Historiker Yuval Noah Harari, dass „die israelische Demokratie tot ist“. Ben Caspit, ein weiterer bekannter Journalist, stellte die gleiche Behauptung im selben Jahr, im Jahr davor und im Jahr vor dem Jahr davor auf. Auch andere haben die gleiche Behauptung aufgestellt. Kurz gesagt, seit Jahren ist das Internet voll von Warnungen der radikalen Linken, dass Israel im Begriff sei, ein nazistischer, nordkoreanischer, chinesischer, faschistischer Staat oder eine Diktatur zu werden.
Dieser Unsinn hat sich in der breiten Öffentlichkeit nie durchgesetzt. Die Menschen waren klug genug, dies als das zu erkennen, was es ist – Propaganda. Bis jetzt. Als die Regierung in der aktuellen Runde eine Reihe von Gesetzen vorlegte, die ihre Beziehungen zu den Gerichten regeln sollten, begannen viele Menschen wirklich zu glauben, dass die israelische Demokratie nun eindeutig in Gefahr sei.
Erst kürzlich habe ich mit eigenen Augen gesehen, wie ältere Jerusalemer auf einer Bank sassen und ein Schild mit der folgenden handgeschriebenen Botschaft hielten: „Saving Democracy“ (Rettet die Demokratie). Sie setzten sich, um an einem improvisierten Protest teilzunehmen, denn auch sie waren davon überzeugt, dass die Justizreform eine echte Gefahr für die Demokratie darstellt. Ist ihre Sorge berechtigt? Besteht eine echte Gefahr für unsere Freiheiten? Für unsere Demokratie? Für die Unabhängigkeit unserer Gerichte?
Die Antwort auf diese Frage könnte nicht klarer sein: Nein, nein und nochmals nein. Auch wenn Justizminister Yariv Levin, der Vorsitzende des Ausschusses für Verfassung, Recht und Justiz Simcha Rothman, und die gesamte Regierung in dieser Angelegenheit keine positiven Signale ausgesendet haben, so ist die Realität doch so, dass es keine Gefahr für die israelische Demokratie gibt. Punkt.
Die Arbeitsweise des Gerichts könnte sich ändern, genau wie bei der ersten Justizreform, die vom ehemaligen Richter Aharon Barak in den 1990er Jahren initiiert wurde.
„Wenn die Reform so verabschiedet wird, wie sie ist, wird Israel eine Demokratie bleiben“. Dieses Zitat kann Natan Sharansky zugeschrieben werden, der als einer der wichtigsten Freiheitskämpfer überhaupt gilt, der es mit dem mächtigen kommunistischen Regime der Sowjetunion aufnahm, das Buch „The Case for Democracy“ schrieb und von US-Präsident George W. Bush mit der Presidential Medal of Freedom ausgezeichnet wurde. Diese Aussage machte er letzte Woche in einem Interview mit dem Israel Hayom-Podcast „Roim Rachok“ (In die Ferne sehen), und übrigens hat er nicht mehr das herzliche Verhältnis, das er in der Vergangenheit zum israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu hatte.
Warum besteht keine wirkliche Gefahr für die Demokratie? Weil die Gerichte auch nach dieser Reform extrem stark bleiben werden; denn seit der Gründung des Staates bis heute und selbst wenn alle Vorschläge von Levin und Rothman wortwörtlich angenommen werden, werden die Gerichte die gleichen mächtigen Instrumente behalten, die sie in die Lage versetzen, Unrecht durch die Behörden oder die Verletzung von Rechten zu verhindern. Nichts in den neuen Vorschlägen beeinträchtigt diese Instrumente auch nur annähernd.
Welches sind diese Instrumente? An erster Stelle steht die gerichtliche Kontrolle. Auf dieser Grundlage hat der Oberste Gerichtshof seit den 1950er Jahren eine Reihe historischer Entscheidungen getroffen, die die Macht der Regierung und der Knesset beschränken und die Verletzung von Rechten verhindern. Niemand wird die Befugnis der Gerichte zur Auslegung des Rechts ändern oder einschränken.
Zweitens wird die Verwaltungsaufsicht des Gerichts über die Regierung und ihre Ministerien unverändert bleiben. Sollte eine Entscheidung ohne ausreichende Faktengrundlage, aufgrund eines Interessenkonflikts, aus Eigeninteresse, aufgrund von Vorurteilen oder Ungleichbehandlung, willkürlich, ohne ausdrückliche Zustimmung oder abweichend vom Gesetz getroffen werden, wird sie vom Gericht aufgehoben. So wie es heute der Fall ist und so wie es bis zu Baraks Reform im Jahr 1992 der Fall war.
Mit diesen Instrumenten verankerte der Oberste Gerichtshof den Grundsatz der Meinungsfreiheit in dem berühmten Fall von 1953, in dem die Zeitung Kol Ha’Am (Stimme des Volkes) gegen ihre Suspendierung durch die Regierung klagte. Mit diesen Instrumenten haben konservative Richter wie Menachem Elon und Moshe Landau, lautstarke und unverblümte Kritiker von Barak, bereits 1969 Änderungen der Knesset am Gesetz zur Finanzierung politischer Parteien disqualifiziert und taten dies 1989 noch einmal – ohne den berühmten richterlichen Aktivismus. Auch hier hat sich nichts geändert, und das Gericht wird nicht geschwächt werden.
Ein weiterer Bestandteil der Reform ist die sogenannte Überstimmungsklausel. Wie in Israel Hayom veröffentlicht wurde, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Überstimmungsklausel es nicht einmal bis zur dritten Lesung des Gesetzentwurfs schaffen wird. Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte, wird die erforderliche Anzahl von Richtern, um ein Gesetz zu kippen, nicht 15 von 15 sein. Was die Befugnis der Knesset anbelangt, ein Gerichtsurteil „ausser Kraft zu setzen“ und aufzuheben, so wird sie wahrscheinlich auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt sein oder die Zustimmung von zwei getrennten Legislaturperioden der Knesset erfordern, mit anderen Worten, eine erhebliche Verschiebung der Umsetzung.
Ein noch wichtigeres Detail, das in den meisten Berichten und Kommentaren merkwürdigerweise nicht erwähnt wird, ist die tatsächliche Befugnis, die diese Reform dem Gericht – zum ersten Mal – einräumt, Gesetze zu kippen. Natürlich nicht als alltägliches Ereignis und nicht mit Leichtigkeit, aber immerhin. Anstelle des jahrzehntelangen Justizdschungels, in dem das Gericht Gesetze ausser Kraft setzen kann, ohne dafür zuständig zu sein, wird nun alles geordnet – und die Richter erhalten diese Befugnis von niemand anderem als Justizminister Yariv Levin und dem Vorsitzenden des Ausschusses für Verfassung, Recht und Justiz Simcha Rothman.
Und was ist mit dem Richterwahlausschuss? Wird Netanjahu über Levin die Richter des Obersten Gerichtshofs ernennen, die ihn dann irgendwann in der Zukunft freisprechen werden, wenn seine laufenden Strafverfahren den Obersten Gerichtshof erreichen? Führt dies zu einer Politisierung des Gerichts?
Es ist sehr einfach, die Menschen zu ängstigen und in Panik zu versetzen, aber im Grunde ist diese Theorie völlig realitätsfern, ebenso wie die Behauptung, der israelische Geheimdienst stecke hinter der Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin.
Warum? Denn auch nach der Reform und selbst wenn die Regierung die absolute Kontrolle über den Ausschuss hat – was nicht der Fall sein wird – werden die Richter bis zu ihrer Pensionierung im Alter von 70 Jahren gewählt. Dies steht im Gegensatz zu der Situation in der Schweiz, wo die Richter Parteimitglieder sind und nur für eine sechsjährige Amtszeit gewählt werden. Auf jeden Fall weiss niemand, welche Urteile er fällen wird, sobald ein Richter ausgewählt wurde. Fragen Sie den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump, der die gegen ihn erhobenen Klagen an die von ihm persönlich ernannten Richter weiterleitete und dafür eine schallende Ohrfeige erhielt.
Es gibt genügend Beweise dafür, dass Netanjahus Beauftragte, genau wie viele andere Verantwortliche in Israel im Allgemeinen, eher nach professionellen als nach politischen Regeln handeln. Nehmen wir ein Beispiel aus dem vergangenen Jahrzehnt. Im Jahr 2011 spielte Netanjahus Rechtskoalition mit dem Dienstalter und wollte erreichen, dass der Richter Asher Grunis zum Obersten Richter ernannt wird. Grunis wurde in der Tat als Präsident ausgewählt, aber er hat sicherlich keine besondere Rücksicht auf die Regierung genommen.
Genau das Gleiche geschah mit dem ehemaligen Generalstaatsanwalt Avichai Mandelblit, dem ehemaligen Staatsanwalt Shai Nitzan und dem ehemaligen israelischen Polizeipräsidenten Roni Alsheikh, die alle von Netanjahu ernannt wurden und die sich alle entschieden gegen ihn stellten, als sie es für angebracht hielten und als sie noch unter ihm dienten.
Die gleiche professionelle Herangehensweise gilt umso mehr für einen Richter. Wir brauchen nicht weit zu suchen, um einen klaren Beweis dafür zu finden. Tatsächlich haben gerade jetzt konservative Richter des Obersten Gerichtshofs wie David Mintz, Yosef Elron, Alex Stein und Noam Sohlberg wiederholt gegen die Koalition geurteilt, auch im jüngsten Fall der Ernennung von Aryeh Deri zum Kabinettsminister. Dementsprechend ist die Annahme, dass irgendein Richter Entscheidungen aufgrund politischer Erwägungen treffen würde, beschämend und dient vor allem dazu, die Richter selbst zu besudeln. Die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs hätte die erste sein müssen, die sich gegen diese Beleidigung ausspricht. Aber, wie wir alle wissen, hat sie sich auf eine Seite gestellt.
In jedem Fall ist das Tempo der Neubesetzung des Obersten Gerichtshofs quälend langsam. Selbst wenn Netanjahus Gerichtsverfahren in fünf Jahren vor den Obersten Gerichtshof kommen, werden mindestens 10 der derzeit amtierenden Richter übrig bleiben. Es ist absolut unmöglich, dass Netanjahu freigesprochen wird, wenn er einen Freispruch nicht verdient hat.
All diese und viele andere Fragen hätte die Regierung im letzten Monat dem Volk und der Welt klar und deutlich erklären müssen. Aber die Regierung hat geschwiegen, und die Opposition hat vor einem offenen Tor gespielt und damit das Spiel gewonnen. Zumindest für den Moment. Vielleicht macht sich jetzt, da die Gesetzentwürfe die erste Lesung durchlaufen haben, wenigstens einer der 31 Minister und fünf stellvertretenden Minister die Mühe, aufzustehen und alle zu beruhigen und den Geist, der die Strassen in Aufruhr gebracht hat, wieder in seine Flasche zu stecken.
Ariel Kahana ist diplomatischer Korrespondent für Israel Hayom. Dieser Artikel erschien zuerst in Israel Hayom. Übersetzung Audiatur-Online.
Ein hervorragender Artikel, der wichtige Klarstellungen zu dem hysterischen Geschrei einer angeblich drohenden „Entdemokratisierung“ Israels enthält.
Die Gegner der Justizreform machen immer deutlicher, warum diese gerade notwendig ist. Sie erklären die parlamentarische Demokratie für ausgesetzt, weil diese ihren ebenso kompromisslosen wie elitären Vorstellungen zuwiderläuft. Demokratie ist nur das, was ausschließlich sie als solche akzeptieren.
Plakate mit dem Text „Arabs & Jews: Against Fascism“ machen deutlich, wie es in diesen Wirrköpfen aussieht. Die „Arabs“ würden ihnen überdies schon nach der ersten gewonnenen Schlacht deutlich machen, was sie unter einem Kampf gegen „Fascism“ verstehen.
Die israelische Linke ist genauso reaktionär wie die Linke in anderen Ländern. Es bleibt nur die vage Hoffnung, dass Erstere wenigstens nicht mehrheitlich ihrer eigenen Vernichtung zustimmen würde.
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