Ein neuer Antisemitismus im Zeichen der Menschenrechte

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Eine Pro Palästinensische Demonstration in der Leipziger Innenstadt. 14.05.2022. Foto IMAGO / ZUMA Wire
Eine Pro Palästinensische Demonstration in der Leipziger Innenstadt. 14.05.2022. Foto IMAGO / ZUMA Wire
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Diejenigen, die den kürzlichen Vorfall anprangern, bei dem ein Kippa-tragender jüdischer Junge in Turin, von seinen Klassenkameraden gesagt bekam, dass er in einer früheren Zeit verbrannt worden wäre, sind zweifellos gutmütige Menschen.

von Fiamma Nirenstein

Sie sind mit ziemlicher Sicherheit Anhänger der grossen Religion unserer Zeit: Den Menschenrechten. Sie sind gegen Antisemitismus, weil sie gegen jede Art von Diskriminierung sind. Ausserdem unterstützen sie die Chancengleichheit für die Dritte Welt, LGBT-Menschen und Frauen. Wahrscheinlich unterstützen sie auch die Redefreiheit.

Aber es ist auch sehr wahrscheinlich, dass die Eltern der Jungen, die ihrem jüdischen Klassenkameraden sagten, er wäre verbrannt worden, zum grössten Teil ebenfalls Anhänger der Religion der Menschenrechte waren. Sie haben ihren Kindern wahrscheinlich nichts anderes als die Menschenrechte beigebracht. Es waren keine Kinder, die zu Nazis erzogen oder ausgebildet wurden.

Nichtsdestotrotz sind diese Kinder antisemitisch, weil die Gesellschaft unserer Zeit im Allgemeinen antisemitisch ist. Wir sehen es überall – auf Demonstrationen, in Universitäten, in UN-Erklärungen, in Moscheen, in Schulen, im Fernsehen und in den sozialen Medien. Also hören wir es auch von Kindern.

Dieser neue Antisemitismus äussert sich im Hass auf Israel, vergleicht das Land mit den Nazis und erklärt es für schuldig an den schlimmsten Taten der Menschheit: Apartheid, Völkermord, Kolonialismus, Kindermord, Besatzung und so weiter.

Die heutige Gesellschaft ist von diesem Antisemitismus durchdrungen, so dass die Juden in der “Woke”-Bewegung heute als genauso schlimm oder sogar viel schlimmer als alle anderen “weissen Rassisten” und “Unterdrücker” angesehen werden.

Die Situation in Italien ist nicht anders. Im ganzen Land werden die israelischen Anti-Terror-Operationen als mutwillige Massaker diffamiert und als reine Grausamkeit und Rassismus abgetan, womit die palästinensische Propaganda praktisch nachgeplappert wird.

Hier liegt der Ursprung des antisemitischen Vorfalls gegen das jüdische Kind in Turin. Suchen Sie ihn nicht woanders. Es ist die Atmosphäre der Verachtung für Israel, die man überall atmet, von den Medien bis zu den Dinnerpartys.

Es ist der Hass, der erklärt, warum Zehntausende von Juden Europa in den letzten Jahren verlassen haben. In Nizza, Frankreich, zum Beispiel ist die jüdische Gemeinde von 20.000 auf 7.000 geschrumpft, und dieser Trend setzt sich auf dem ganzen Kontinent fort. Juden tragen in der Öffentlichkeit keine Kippa mehr, und alle 80 Sekunden erscheint ein antisemitischer Beitrag in den sozialen Medien. Ältere jüdische Frauen werden aus Pariser Fenstern geworfen und jüdische Kinder werden vor ihren Schulen ermordet.

Nach dem Holocaust wurde die alte antisemitische Mythologie der Nazis von der sowjetischen Propaganda aufgegriffen, die dem Antisemitismus mit dem Bild der kolonialistischen, kriegslüsternen Juden und der unschuldigen Ureinwohner Palästinas eine kraftvolle neue Form gab.

Weil es von den USA unterstützt wurde, wurde Israel zu einer “imperialistischen” Macht erklärt, die von einer automatischen Mehrheit in der UNO verurteilt wurde, und Schlagworte wie “Besatzung” wurden auf ganz Israel und alle dort lebenden Juden angewandt, wodurch der jüdische Staat grundlegend delegitimiert wurde.

Gleichzeitig gab man den Palästinensern uneingeschränkte Anerkennung, obwohl sie den Terrorismus zur schrecklichsten Waffe unserer Zeit machten, als Beispiel für Terroristen in aller Welt, und dies auch dann noch, als sie Unschuldige abschlachteten, ihr eigenes Volk verfolgten und Friedensangebote konsequent ablehnten. All dies hat die Idee der Menschenrechte selbst korrumpiert, deren Anhänger offenbar regelrechte Antisemiten geworden sind – die schlimmsten Menschenrechtsverletzer von allen. Sie glauben, sie würden die Menschenrechte schützen, indem sie die Juden angreifen. Stattdessen ermöglichen sie den Aufstieg des Antisemitismus als kulturelles Übel, indem sie ihn in den Mantel des Guten hüllen.

Die Journalistin Fiamma Nirenstein war Mitglied des italienischen Parlaments (2008-2013), wo sie als Vizepräsidentin des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten in der Abgeordnetenkammer und im Europarat in Strassburg tätig war und den Ausschuss zur Untersuchung des Antisemitismus gründete und leitete. Sie ist Fellow am Jerusalem Center for Public Affairs (JCPA). Auf Englisch zuerst erschienen bei Jewish News Syndicate. Übersetzung Audiatur-Online.