Israel verabschiedet Teile der Justizreform in erster Lesung

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Demonstranten protestieren am 20. Februar 2023 vor dem israelischen Parlament, der Knesset, in Jerusalem gegen die Gesetzesentwürfe der israelischen Regierung zur Überarbeitung der Justiz. Foto IMAGO / NurPhoto
Demonstranten protestieren am 20. Februar 2023 vor dem israelischen Parlament, der Knesset, in Jerusalem gegen die Gesetzesentwürfe der israelischen Regierung zur Überarbeitung der Justiz. Foto IMAGO / NurPhoto
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Teile der geplanten Justizreform haben die erste Hürde im israelischen Parlament genommen. Mit 63 zu 47 Stimmen verabschiedete die Knesset in der Nacht zu Dienstag einen Gesetzentwurf, der Israels Regierung grössere Einflussnahme bei der Ernennung von Richtern ermöglichen würde, wie israelische Medien berichteten. Zur endgültigen Annahme muss der Entwurf zwei weitere Lesungen im Parlament passieren. Ebenfalls in erster Lesung angenommen wurde demnach ein Gesetzentwurf, der dem obersten Gericht die Kontrolle über die verfassungsähnlichen Grundgesetze Israels entzöge.

Beobachter sehen in der Abstimmung einen möglichen Wendepunkt im politischen Diskurs über den umstrittenen Regierungsplan. Führende Stimmen der Opposition hatten vor der Abstimmung gewarnt, dass die Durchführung der ersten Lesung jedwede Chancen auf den von Israels Präsident Isaac Herzog dringend geforderten Dialog über die Justizreform zunichtemache.

Den Abstimmungen ging eine mehrstündige Debatte voraus, bei der es zu heftigen Schlagabtauschen kam. Der Jesch-Atid Abgeordnete Ram Ben Barak erklärte vor dem Parlament, dass “die Nazis auch in Deutschland auf demokratische Weise an die Macht gekommen sind”. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verurteilte die Worte Ben Baraks als skandalös und warf der Opposition auf Twitter vor, den Verstand verloren zu haben.

Vor dem Parlamentsgebäude demonstrierten am Montag Zehntausende Israelis gegen die Regierungspläne. Eine Gruppe Demonstranten wurde laut Berichten von der Polizei am Abend daran gehindert, in die Knesset einzudringen. Sicherheitskräfte entfernten zudem Demonstranten gewaltsam von der Zuschauertribüne des Parlaments, nachdem sie diese illegal betreten und gegen die Glaswände geschlagen hätten, die sie vom Plenarbereich trennten.

Mitglieder der Gruppe Ahim L’Neshek blockierten das Auto des Vorsitzenden des Ausschusses für Verfassung, Recht und Gerechtigkeit, Simcha Rothman (Religiöse Zionistische Partei), in der Stadt Pnei Kedem in der Region Gush Etzion, südlich von Jerusalem.

Gleichzeitig umstellten Demonstranten der Organisation Block the Revolution die Wohnung von Tally Gotliv (Likud) in Givat Shmuel und hinderten sie ihre Wohnung zu verlassen.

Die Polizei wurde an den Ort des Geschehens gerufen und vertrieb die Randalierer.

“Das sind Verbrecher”, sagte Gotliv, nachdem sie endlich im Parlament angekommen war. “Man kann nicht in die Wohnung eines Menschen kommen und ihm sagen, dass er sie nicht verlassen kann – das ist Anarchie. Man kann nicht im Namen einer Demonstration das Recht auf Privatsphäre verletzen”, sagte sie und fügte hinzu: “Wenn es zu Gewalt kommt, kann ich mich nicht verteidigen.”

Die Demonstranten umstellten auch das Haus von Landwirtschaftsminister Avi Dichter (Likud) in Aschkelon und das Haus von Bildungsminister Yoav Kisch (Likud) in Ramat Gan.

Acht Personen wurden wegen Bedrohung von Gotliv und Kisch festgenommen.

Teil der Reformpläne der Regierung ist auch die Verabschiedung einer sogenannten Ausserkraftsetzungsklausel, die es dem Parlament ermöglichen würde, gegen das Grundgesetz verstossende Gesetze zu erlassen. Demnach könnte eine einfache Mehrheit von 61 Parlamentariern Entscheidungen des obersten israelischen Gerichts überstimmen.

Die Regierung betonte wiederholt, die geplante Justizreform sei Ausdruck des Wählerwillens. Eine am Dienstag veröffentlichte Umfrage des Jerusalemer Think Tanks “Israel Democracy Institute” (IDI) zeigte hingegen laut israelischen Medienberichten wachsenden Widerstand gegen die Reformpläne. Mehr als die Hälfte der Befragten lehnte alle wichtigen Punkte der geplanten Reform ab. 70 Prozent sprachen sich demnach dafür aus, dass Koalition und Opposition via Dialog einen Kompromiss finden sollen.

66 Prozent der Israelis sind demnach der Meinung, das oberste Gericht solle die Befugnis behalten, Gesetze zu kippen, wenn diese mit den Grundgesetzen des Landes kollidieren, darunter 47 Prozent der Befragten, die in den letzten Parlamentswahlen für die Likud-Partei von Ministerpräsident Netanjahu gestimmt hatten. 63 Prozent der Befragten gaben an, eine Beibehaltung der bisher geltenden Methode der Richterernennung zu befürworten. Bei einer vergleichbaren Umfrage im November lag die Zustimmung bei 54 Prozent.

Premierminister Benjamin Netanjahu hat die Behauptungen von Kritikern, die Reformen würden das Ende der Demokratie im Land bedeuten, als “unbegründet” zurückgewiesen und versprochen, sie “verantwortungsvoll” umzusetzen.

“Die Wahrheit ist, dass das Gleichgewicht zwischen den Staatsgewalten in den letzten zwei Jahrzehnten beschädigt worden ist. Dieses ungewöhnliche Phänomen gibt es nirgendwo sonst auf der Welt – nicht in den Vereinigten Staaten, nicht in Westeuropa und nicht in den ersten 50 Jahren des Bestehens Israels”, sagte Netanjahu.

KNA/akr/sky/Aud