Israel: Präsident Herzog als Vermittler in der Justizreform

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Staatspräsident Isaac Herzog hält in seinem Büro in Jerusalem eine Ansprache an die Nation, 12. Februar 2023. Foto Haim Zach/GPO
Staatspräsident Isaac Herzog hält in seinem Büro in Jerusalem eine Ansprache an die Nation, 12. Februar 2023. Foto Haim Zach/GPO
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Der israelische Präsident Isaac Herzog traf am Dienstagabend in seinem Privathaus in Tel Aviv mit führenden Vertretern der Opposition und einem der Hauptbefürworter der vorgeschlagenen Reformen zusammen.

Zunächst sprach er mit dem Oppositionsführer Yair Lapid. Nach dem Treffen dankte Lapid dem Präsidenten für seine Bemühungen und betonte, “wie wichtig es ist, einen breiten Konsens zu erreichen und eine Spaltung des Volkes zu verhindern”.

Anschliessend traf er mit dem Abgeordneten Simcha Rothman, dem Vorsitzenden des Ausschusses für Verfassung, Recht und Justiz, zusammen. Auch er dankte dem Präsidenten für “seine Bereitschaft, Tag und Nacht zu arbeiten, um einen breiten Konsens zur Reform des Justizsystems zu erreichen”.

Das letzte Treffen gestern Abend fand mit dem Vorsitzenden der Partei der Nationalen Einheit, Benny Gantz, statt. Dieser sagte anschliessend: “Ich habe dem Präsidenten die zentralen Punkte der notwendigen Reform dargelegt. Das Justizsystem darf nicht politisiert werden.”

Anfang der Woche traf Premierminister Netanjahu bis spät in die Nacht hinein vier Stunden lang mit Justizminister Levin zusammen. Netanjahu gab jedoch keine Erklärung ab, da er sich aufgrund eines Interessenkonflikts offiziell nicht an der Justizreform beteiligen darf.  

Beide Konfliktparteien haben sich auf ein Treffen mit dem Präsidenten geeinigt, aber noch nicht auf direkte Gespräche. Die Opposition fordert, den Gesetzgebungsprozess einzufrieren, um Gespräche zu ermöglichen, während die Regierung zu Gesprächen ohne Vorbedingungen aufgerufen hat.   

Die Gespräche folgten auf eine grosse Protestkundgebung vor der Knesset am Montag, bei der laut israelischen Medien schätzungsweise 100.000 Israelis gegen die vorgeschlagenen Änderungen protestierten. 

Das höchste Gericht Israels – woher stammt die Problematik in Sachen Gewaltentrennung?

Die Geschichte des israelischen Obersten Gerichtshofs (High Court of Justice [HCJ]) ist eine komplexe Angelegenheit. Hier eine kurze Zusammenfassung von Prof. Abraham Sion, Rechtsprofessor an der Universität Ariel:

Das Gerichtssystem Israels wurde ursprünglich von der britischen Verwaltung in Palästina während der Mandatszeit eingerichtet. Die Struktur der Gerichte bestand aus Magistratsgerichten, Bezirksgerichten und dem Obersten Gerichtshof. Berufungen waren von den Magistratsgerichten an die Bezirksgerichte und von den Bezirksgerichten an den Obersten Gerichtshof zulässig. Gegen den Obersten Gerichtshof von Palästina konnte beim Privy Council in London Berufung eingelegt werden. Der Supreme Court erhielt die Befugnis, bei Petitionen gegen Regierungsstellen als High Court of Justice zu handeln, und wenn er in dieser Eigenschaft handelte, konnten Petitionen direkt eingereicht werden, ohne den Umweg über die unteren Gerichte gehen zu müssen. Diese Befugnis wurde von den High Courts of Justice in England übernommen. Die High Courts in England waren jedoch nicht so hoch, da es zwei Berufungsinstanzen über ihnen gab: den Court of Appeal und das House of Lords. In Palästina beschlossen die Briten, diese Befugnis nur dem Obersten Gerichtshof zu übertragen, da die Richter des Obersten Gerichtshofs hauptsächlich Briten waren, während in den unteren Instanzen Araber und Juden als Richter sassen. Im Jahr 1948, als Israel gegründet wurde, wurde der Weg zum Privy Council in London abgeschnitten, aber Petitionen an den Obersten Gerichtshof konnten direkt eingereicht werden, ohne dass sie wie zuvor die unteren Gerichte passieren mussten. Auf diese Weise konnte und kann man in Israel direkt zum Obersten Gerichtshof gelangen, und gegen dessen Entscheidung gibt es keine Möglichkeit der Berufung. Dies war die erste Anomalie. Zum Beispiel können Palästinenser in jeder Angelegenheit direkt beim Obersten Gerichtshof Israels Petitionen einreichenund in vielen Fällen ist der Oberste Gerichtshof für diese empfänglich.

Eine zweite Anomalie ist die Tatsache, dass vor 40 Jahren eine grosse Veränderung in der Rechtsprechung vorgenommen wurde. Der Oberste Gerichtshof entschied, dass es keinen Locus Standi (Klagebefugnis) mehr braucht, um eine Petition beim Obersten Gerichtshof einzureichen, und beschloss ausserdem, dass jede Angelegenheit justiziabel ist. Damit erhielt der Oberste Gerichtshof enorme Befugnisse durch richterliche Gesetzgebung und nicht durch parlamentarische Gesetzgebung. Im Jahr 1992 entschied der Oberste Gerichtshof ausserdem, dass er befugt ist, in die parlamentarische Gesetzgebung einzugreifen und sie aufzuheben. So mischt sich der Oberste Gerichtshofständig in die Gesetzgebung des Parlaments und die Entscheidungen der Regierung ein, und zwar in einem Masse, dass in Israel nichts entschieden werden kann, wenn der Oberste Gerichtshof es nicht annimmt. Heute wird das Land tatsächlich von 14 Richtern des Obersten Gerichtshofs und nicht von der israelischen Regierung regiert. Die derzeitige Knesset (Parlament) versucht, wieder eine stabile Situation zu schaffen. Dabei geht es nicht darum, in die Unabhängigkeit der Gerichte einzugreifen, sondern die Gewaltenteilung im Lande wiederherzustellen.

1 Kommentar

  1. Treffender und aufschlussreicher Artikel der Audiatur Redaktion über die Zuständigkeiten und Allmacht des Obersten Gerichts in Israel. Seit Wochen veranstaltet die linke Opposition, sowie die linken Mainstream-Medien lautstarke Demonstrationen landesweit und jammern von Demokratieabbau und einer kommenden Diktatur. Bewusst streuen die linken Medien und die Opposition die vorgängig erwähnten Schlagworte, um Angst und Zwietracht unter der Bevölkerung zu verbreiten. Zweifellos ist es leicht nachvollziehbar und durchschaubar, weshalb die Opposition und Medien keinen Aufwand scheuen um gegen diese Justizreform zu demonstrieren. Bei einer Annahme dieser Justizreform würde ein beträchtlicher Teil, hauptsächlich linker Privilegien und Vorteile, wie sie bei der jetzigen Zusammenstellung des Obersten Gerichts vorhanden waren, wegfallen.

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