Methoden und Strategien des palästinensischen Terrorismus gegen Israel im Jahr 2022

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Die Qassam-Brigaden, der sogenannte
Die Qassam-Brigaden, der sogenannte "bewaffnete Flügel der palästinensischen islamistischen Terrororganisation Hamas, nehmen am 14. Dezember 2022 in Gaza-Stadt an einer Kundgebung zum 35-jährigen Bestehen der Hamas teil. Foto IMAGO / NurPhoto
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Im Jahr 2022 kam es zu einer erheblichen Zunahme dessen, was die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) als «friedlichen Volkswiderstand» (Volksterrorismus) bezeichnet. Die meisten Anschläge wurden von Einzeltätern oder lokalen Netzwerken verübt. Die Anschläge umfassten unter anderem Steinwürfe und Molotowcocktails, Schussattacken, Messerangriffe, Rammattacken mit Fahrzeugen und Kombinationen von zwei oder mehr der oben genannten Methoden. Die palästinensische Führung mit Mahmoud Abbas an der Spitze ermutigte den «Volkswiderstand», verurteilte oder kritisierte ihn nicht und lobte vielmehr die Terroristen, auch wenn dabei israelische Zivilisten getötet oder verwundet wurden.

Beitrag vom Meir Amit Intelligence and Terrorism Information Center (ITIC)

Die derzeitige Terrorwelle begann im März 2022 mit einer Reihe von Anschlägen innerhalb Israels (zwei davon wurden von IS nahen Akteuren verübt) und setzte sich nach der israelischen Operation «Wellenbrecher» fort. Ziel der Operation, die sich auf Dschenin und Nablus in Nordsamaria konzentrierte, war und ist es, die militärisch-terroristischen Strukturen zu zerstören und weitere Anschläge zu verhindern. Dutzende von Terroristen wurden getötet oder festgenommen, die Anzahl der Anschläge in Judäa und Samaria hat trotzdem zugenommen und es wird befürchtet, dass es weitere Anschläge geben wird, auch innerhalb Israels.

Im Jahr 2022 traten mehrere neue Aspekte terroristischer Aktivitäten in Judäa und Samaria zutage:

Die Terrorwelle und die Anti-Terror-Aktivitäten der israelischen Sicherheitskräfte haben zur Entstehung eines neuen Typs lokaler Netzwerke geführt, die aus bewaffneten palästinensischen Terroristen bestehen, die entweder unabhängig oder Mitglieder von Organisationen sind. Sie erhalten weder von den bestehenden Terrororganisationen noch von den Sicherheitsdiensten der Palästinensischen Autonomiebehörde Befehle. Dazu gehören das Netzwerk Löwengrube, das Nablus-Bataillon sowie das Jenin-Bataillon, das sich ursprünglich aus Mitgliedern des militärisch-terroristischen Flügels des Palästinensischen Islamischen Dschihad zusammensetzt. Darüber hinaus wurden Netzwerke reaktiviert, die in den letzten Jahren praktisch inaktiv waren. Das bekannteste ist die al-Aqsa-Märtyrerbrigade, die bis vor kurzem der Fatah angehörte. Sie hat zwar auch Fatah-Mitglieder, aber ihre neue Identität ist nicht eindeutig, und sie besteht grösstenteils aus bewaffneten Gruppen, die unabhängig voneinander operieren und keine zentrale Führung oder Hierarchie haben.

Im Gegensatz zu den Vorjahren, in denen die meisten Terroristen Einzelkämpfer ohne organisatorische Zugehörigkeit waren, haben sich in diesem Jahr viele den neuen Netzwerken angeschlossen, was sich in den von den verschiedenen Organisationen und Gruppierungen abgegebenen Bekennerschreiben zeigt. In einer Reihe von Fällen hat mehr als eine Organisation die Verantwortung für den gleichen Anschlag übernommen.

Eine Untersuchung der Terroristen in den neuen Netzwerken ergab, dass viele von ihnen Nachkommen von Mitarbeitern des Sicherheitsdienstes der Palästinensischen Autonomiebehörde sind, darunter hochrangige Offiziere, oder Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes. Darüber hinaus sind viele Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes der PA ehemalige Terroristen, die auf verschiedene Weise in die Dienste integriert wurden.

Auch die Arten und Methoden der Terroranschläge änderten sich. Die Zahl der Messerattacken, die in den Vorjahren die häufigste Art von Anschlägen waren und von einzelnen Terroristen verübt wurden, ging zurück. Deutlich zugenommen hat die Zahl der Anschläge mit Schusswaffen, die mehr als die Hälfte der Anschläge im Jahr 2022 ausmachten: Insgesamt wurden 46 Anschläge mit Schusswaffen verübt, was 54 % der gesamten Terroranschläge entspricht, gegenüber 12 Anschlägen im Jahr 2021, als sie 22 % ausmachten. Diese Veränderung ist offensichtlich eine direkte Folge der Bildung etablierter und quasi etablierter Netzwerke, die den terroristischen Akteuren einen Rahmen bieten und es ihnen ermöglichen, ziemlich komplexe Anschläge zu verüben, die Vorbereitung und den Erwerb von Waffen erfordern.

Auch die Zahl der Anschläge und Anschlagsversuche innerhalb Israels ist deutlich gestiegen. Im vergangenen Jahr wurden 16 Terroranschläge innerhalb des israelischen Staatsgebiets verübt, vier davon in Jerusalem, verglichen mit einem im Jahr 2021 und drei im Jahr 2020.

Drei Terroranschläge wurden im Namen globaler Dschihad-Organisationen verübt, jeweils einer in Beersheba, Hadera und Jerusalem. Der Anschlag in Hadera wurde von zwei Mitgliedern des Islamischen Staates IS durchgeführt, zu dem sich dieser auch bekannte und in seiner jährlichen Zusammenfassung der Anschläge aufgeführt hat. Die beiden anderen Anschläge wurden offenbar von der Ideologie des IS inspiriert. Alle Terroristen hatten israelische Ausweise.

Die Terroranschläge waren auch tödlicher als in den Vorjahren. Im Jahr 2022 wurden 30 Israelis getötet (24 Zivilisten und sechs Angehörige von Sicherheitskräften), gegenüber vier im Jahr 2021 und drei im Jahr 2020.

Im vergangenen Jahr hat die Palästinensische Autonomiebehörde ihre Unterstützung für Terroristen fortgesetzt und sogar noch ausgeweitet, unter anderem für Anschläge, bei denen Israelis getötet wurden. Die PA unterstützte den Volksterrorismus politisch und medial, Mitglieder der palästinensischen Führung richteten Beileidsbekundungen an die Familien getöteter Terroristen, die Palästinensische Autonomiebehörde zahlte weiterhin grosszügige Gehälter an in Israel inhaftierte Terroristen und an die Familien von Märtyrern und Gefangenen. Die PA zahlte auch für den Wiederaufbau der Häuser von Terroristen, die von den israelischen Sicherheitskräften zerstört worden waren, sie verherrlichte die Terroristen und ihre Anschläge, auch im palästinensischen Bildungssystem, sie überreichte Auszeichnungen und Gedenktafeln, usw. Die Palästinensische Autonomiebehörde ignorierte völlig, dass ihr Sicherheitspersonal oder deren Söhne zu den Terroristen gehörten. Es wurden keine Massnahmen gegen sie ergriffen, und es wurde nichts gesagt, als ihre Eltern die Anschläge offen unterstützten. Vielmehr rief Mahmoud Abbas die Familien an, um ihnen sein Beileid auszusprechen, und Mitglieder der palästinensischen Führung besuchten die sogenannten Trauerzelte. Gelegentlich wurden auch formelle Militärbegräbnisse für Terroristen abgehalten.

Eines der neu aufgetauchten Terror-Netzwerke. Das Balata-Bataillon von Nablus. Foto zVg

In den sozialen Netzwerken der Palästinenser wird weiterhin zu Angriffen auf Israel aufgerufen, was einen starken Einfluss auf die junge Generation hat. Junge und heranwachsende Palästinenser werden mit Posts und Bildern konfrontiert, die zu Gewalt aufrufen, Terroranschläge rechtfertigen und diejenigen feiern, die sie verüben. Die beliebtesten Plattformen sind WhatsApp und Telegram, während Videos auf Instagram und TikTok hochgeladen werden, die besonders bei der jüngeren Generation beliebt sind und für viele fast die einzige Informationsquelle darstellen. Ein deutlicher Beleg für den Trend zur zunehmenden Aufwiegelung ist eine vom Palestinian Center for Policy and Survey Research durchgeführte Meinungsumfrage, bei der im Dezember 2022 55 % der Befragten antworteten, dass eine Rückkehr zum “bewaffneten Kampf” (Terroranschläge) notwendig sei, und 72 % die Gründung der verschiedenen lokalen bewaffneten Gruppen unterstützten.

Der Gazastreifen

Im Jahr 2022 wurde Israel von 959 Raketen- und Mörsergranaten getroffen, die aus dem Gazastreifen abgefeuert wurden, davon allein 946 im August während der Operation «Morgendämmerung». Die Offensive war relativ kurz und richtete sich gegen den Palästinensischen Islamischen Dschihad im Gazastreifen, der aufgrund der Ereignisse in Judäa und Samaria einen Angriff auf Israel plante.

Abgesehen von den Raketen und Mörsergranaten, die während der Operation abgefeuert wurden, gab es im Laufe des Jahres 13 Raketenbeschüsse, 11 vor und zwei nach der Operation. Die meisten dieser Raketen wurden von Gruppen abgefeuert, die als «abtrünnige Organisationen» bekannt sind und für die niemand die Verantwortung übernahm.

Entlang der Grenze kam es nur zu vereinzelten Zusammenstössen mit IDF-Kräften.

Es gab keine Aktivitäten im Bereich des Volksterrorismus, keine Rückkehrmärsche, Ballonabschüsse oder nächtliche Aktionen.

Die Hamas, der Palästinensische Islamische Dschihad und andere Terrororganisationen schürten weiterhin Unruhen in Judäa und Samaria und ermutigten die Einwohner, Terroranschläge zu verüben.

Der Rückgang der terroristischen Aktivitäten im Gazastreifen war höchstwahrscheinlich das Ergebnis einer Politik der Hamas, die darauf abzielte, die wirtschaftliche Situation vor Ort zu verbessern – natürlich nicht auf Kosten ihrer militärischen Aufrüstung – und so weit wie möglich, eine weitere Auseinandersetzung mit Israel zu vermeiden. Yahya al-Sinwar, Leiter des «politischen Büros» der Hamas im Gazastreifen, erklärte, die Prioritäten der Bewegung konzentrierten sich auf die Verbesserung der zivilen Lage und den Ausbau des Militärs zur Vorbereitung auf eine künftige Runde von Kämpfen mit Israel.

Die relative Ruhe im Gazastreifen ist jedoch fragil, da die Hamas und der Palästinensische Islamische Dschihad wiederholt damit drohen, dass «ungewöhnliche Ereignisse» in Judäa und Samaria, insbesondere in Jerusalem, Schwierigkeiten bei der Überweisung von Hilfsgeldern in den Gazastreifen oder die Verschlechterung der Bedingungen für die Sicherheitsgefangenen in israelischen Gefängnissen, Anlass für eine Wiederaufnahme und/oder Eskalation des Raketenbeschusses und anderer terroristischer Aktivitäten sein könnten.