Wie «Wokeness» den Juden schadet

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Ein Mann hebt die Black-Power-Faust in
Ein Mann hebt die Black-Power-Faust in "Solidarität mit den Palästinensern". 11. Mai 2021, München. Foto IMAGO / ZUMA Wire
Lesezeit: 4 Minuten

Der linke Pro-Israel-Aktivist David L. Bernstein hat ein Buch verfasst, in dem er den Antisemitismus der «Woken» dokumentiert. Es ist für alle lesenswert, die wissen wollen, wie gefährlich die radikalisierte Linke nicht nur für Juden, sondern auch für Meinungsfreiheit, Pluralismus und den sozialen Frieden geworden ist.

von Lukas Joos

David L. Bernstein ist ein altgedienter, linker Pro-Israel-Aktivist. Als Kader verschiedener jüdischer Lobby-Organisationen verfolgte der US-Amerikaner mit irakischen Vorfahren drei Jahrzehnte lang das Ziel, die jüdische Minderheit in eine Koalition linker «communities» einzubinden. Geleitet wurden seine Bemühungen vom Glauben an gegenseitige Unterstützung. Je mehr sich die Juden für die Belange anderer Minderheiten einsetzten, dachte Bernstein, desto stärker würden sich diese Minderheiten gegen gegen Antisemitismus und Israelhass engagieren.

Endstation Antisemitismus: Die «Wokeisierung» der Linken

Je stärker die «Wokeisierung» der Linken voranschritt, desto unbehaglicher wurde es Bernstein. Während der Corona-Pandemie gestand er sich schliesslich ein, was er eigentlich schon länger wusste: Die Linke ist irreparabel antisemitisch geworden. Er brach mit seinem damaligen Arbeitsumfeld und gründete eine jüdische Organisation, die gegen die Wokeisierung der Gesellschaft kämpft.

In «Woke Antisemitism», das letztes Jahr erschien, rechnet Bernstein nicht nur mit den «Woken» ab. Vielmehr kritisiert er auch jüdische Organisationen, die gute Miene zum bösen Spiel machen. Zudem hält er sich selbst den Spiegel vor. Als Beispiele für naive oder gar feige Reaktionen auf «woke» Angriffe führt er wiederholt eigene Fehlleistungen an.

Sein Buch ist weder analytisch herausragend noch besonders gut strukturiert. Aber die Lektüre lohnt sich trotzdem. Grund dafür sind seine umfangreichen Erfahrungen im Ringen mit «Woke» und seine Ehrlichkeit, mit der er dieses Ringen dokumentiert. Sie machen sein Buch zu einem lesenswerten «Frontbericht» für alle, die wissen wollen, wie gefährlich die radikalisierte Linke für Meinungsfreiheit, Pluralismus und den sozialen Frieden wirklich geworden ist.

«Palästinensische Leben priorisieren»

«Die woke Ideologie», schreibt Bernstein treffend (S. 43), «ist auf die innenpolitische Ebene übertragener Postkolonialismus, der die Menschen sauber in Unterdrücker und Opfer unterteilt.»

Das heisst: Für die «Woken» ist erstens jeder Unterschied zwischen sozialen Gruppen auf eine Diskriminierung zurückzuführen. Und zweitens halten sie das Konzept der Meritokratie für Unsinn, wenn nicht für ein Machtinstrument der Unterdrücker.

Dass eine derartige Weltsicht fast zwangsläufig in antisemitischem Ressentiment endet, liegt auf der Hand: Jewish Americans sind überdurchschnittlich wohlhabend und gutausgebildet — und sie sind grossmehrheitlich weiss und aus dem «kolonialistischen» Europa eingewandert.

Verschärft wird ungünstige Lage der jüdischen Minderheit in der «woken» Opferhierarchie durch ein Element der «woken» Ideologie, das Bernstein «standpoint epistemology» nennt (S. 105). Der Kern der «standpoint epistemology» ist eine Obsession mit Gefühlen und subjektivem Erleben. Diese Obsession führt zu einer Geringschätzung von vernunftbasierten, sich auf eine objektive Realität beziehenden Argumenten.

Für die — weissen, kapitalistischen, mit dem «Unterdrückerstaat» Israel assoziierten — Juden heisst das: Selbst wenn sie gewillt sind, sich bedingungslos auf die Seite der «Unterdrückten» zu schlagen, sollten sie besser schweigen. Denn weil sie ausserstande sind, die Probleme dieser «Unterdrückten» überhaupt zu verstehen, ist ihre Meinung so oder so nichts wert.

Wie sehr diese verquere Weltsicht Antisemitismus fördert, dokumentiert Bernstein mit zahlreichen, erschreckenden Beispielen aus der «woken» Praxis. So waren 2017 an einer Chicagoer LGBT-Veranstaltung Palästinenserfahnen erlaubt. Die Symbole einer jüdischen LGBT-Organisation, Regenbogenflaggen mit Davidstern, waren hingegen explizit verboten. Die Begründung der Veranstalter: «Wir haben uns entschieden, palästinensische Leben und Gerechtigkeit in Palästina zu priorisieren (…). Symbole von Staaten, die Menschenrechtsverletzungen begehen, sind nicht willkommen.» (S. 137.)

Die «Mainstream-Juden», stellt Bernstein vor diesem Hintergrund ernüchtert fest, müssten merken, dass die Woken sie «nicht besonders mögen». Zu versuchen, es ihnen recht zu machen, «lohnt sich deshalb einfach nicht.» (S. 153f.)

Weniger Appeasement und Black Lives Matter, mehr evangelikale Christen

Wie soll der fortschreitenden «Woke-isierung» der Gesellschaft am besten begegnet werden? Und wo soll die jüdische Minderheit politisch Anschluss suchen, wenn ihnen «Woke» nur schadet?

Was den Kampf gegen «Woke» betrifft, ist Bernstein aus eigenen Fehlern klug geworden. Wiederholt und eindringlich rät er: kein Appeasement! «Woke» sei irrational und totalitär. Jede Konzession führe deshalb nur zu mehr Irrationalität und Gefährlichkeit (S. 16). In diesem Zusammenhang warnt er linke jüdische Organisationen explizit davor, sich auf die Anprangerung von rechtem Antisemitismus zu beschränken, um es sich mit der Linken nicht zu verderben. (S. 131f.) Das schütze die jüdische Minderheit nicht, sondern sei im Gegenteil kontraproduktiv.

Ausserdem rät Bernstein den (überwiegend linken) jüdischen «advocacy groups», ihre Ziele zu überdenken. Statt erfolglos zu versuchen, «woke» Antisemiten zu Israelfreunden zu machen, sollten sie sich besser um ihre echten Unterstützer kümmern — und mehr auf gesamtgesellschaftliches Engagement setzen.

Für den — offensichtlich säkularen — Bernstein hat ein solches Engagement keinen Bezug zur Bibel. Den wertvollsten Input, den die jüdische Minderheit der Mehrheitsgesellschaft bieten kann, ist seiner Meinung nach eine Tradition des stringenten, zivilisierten und vernunftbasierten Argumentierens.

Statt vergebens um die Gunst von hysterischen Social-Justice-Warriors zu buhlen, sollten jüdische Organisationen allen den Rücken stärken, die sich für Rationalität und Anstand im politischen und gesellschaftlichen Diskurs einsetzen. Mit anderen Worten: Selbst für prononciert linke Juden sollten Entitäten wie Black Lives Matter kein Ansprechpartner mehr sein, dafür die evangelikalen Christen zu einem werden (S. 198).

Lukas Joos ist Sicherheitsexperte und Kolumnist.

2 Kommentare

  1. Hiffetnlich findet sich bald wer, der das Buch von BERNSTEIN in andere Sprachen übersetzt. Wäre dringend notwendig !

  2. Dem kann ich leider nichts hinzufügen ausser das ist völlig richtig. Die Hemmschwelle als dezidierte linke auf evangelikale zuzugehen ist allerdings immer noch sehr hoch. Seufz.

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