Vorsicht, die Welt macht sich Sorgen um Israel

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Wahlplakat in Jerusalem. Foto IMAGO / UPI Photo
Wahlplakat in Jerusalem. Foto IMAGO / UPI Photo
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Die Welt macht sich Sorgen um Israel, um Israels Demokratie. Da muss nicht nur der Israeli hellhörig und vorsichtig werden. Die New York Times sieht im Wochenend-Kommentar „Israels Demokratie in Gefahr“ und die ZEIT in Hamburg stellt fest: die „Demokratie wählt sich ab“. Zuallererst: Israel hat schon Schlimmeres überlebt.

Kein Zweifel: Jerusalem hat bereits aufmunterndere Regierungen gesehen als das Quartett Netanyahu-Deri-Ben Gvir-Smotrich. Noch ist nicht aller Tage Abend. Netanyahu hatte zunächst um zehn Tage Aufschub gebeten, vermutlich dauert es aber noch bis in das neue Jahr hinein bis die Koalitions-Regierung im Parlament vereidigt wird. Denn, wenn trotz eine für israelische Verhältnisse satte Mehrheit von 64 von 120 Stimmen fast zwei Monate braucht bis die politischen Ziele abgestimmt und Posten sowie Pöstchen verteilt sind, dann kann von Zuversicht und grossem Vertrauen unter den Partnern nicht wirklich die Rede sein.

Den Bereich der Wirtschaft scheint das alles nicht besonders zu stören. Der arabische ADQ-Fund aus Abu Dhabi ist trotz der dunklen Wolken über Jerusalem drauf und dran 20-30 Prozent der grössten Versicherung Israels, Phoenix, für 650 Millionen Euro zu kaufen. Geld ist bekanntlich scheu wie ein Reh. Dennoch glaubt der ehemalige Feind und neue Partner vom Golf gerade jetzt an die Zukunft in Israel.

Die ZEIT beginnt ihren Beitrag mit den Worten: Israel steht vor einem Abgrund… nur zur Beruhigung: Israel steht seit fast 75 Jahren vor vielen Abgründen und hat diese Zeit ganz gut überstanden. Zur Erinnerung: Israel ist der einzige Staat auf diesem Planeten, der von einem anderen Staat lautstark und zielstrebig mit der Vernichtung bedroht wird. Die tatkräftige Abwehr der iranischen Bemühungen und ihrer Komplizen ist nicht immer mit den alleinigen Mitteln einer vorbildlichen liberalen Demokratie zu meistern.

Aber noch immer ist Israel die einzige Demokratie, der einzige Rechts- und Sozialstaat im Nahen Osten. Ziemlich robust. Die Bevölkerung demonstriert rund um die Uhr, auch deshalb, weil hier alles doppelt so teuer ist wie in Europa, von der Milchtüte bis zur Golfplatz-Gebühr. Dennoch wächst die Bevölkerung rapider als in jedem Land der EU. Und in der regelmässig abgefragten Wohlfühl-Statistik (World-Happiness-Report) der UN gehört der Israeli stets zur Spitzengruppe.

Ein israelischer Oberprotestierer hat in Facebook aktuell eine Anti-Netanyahu Gruppe gebildet, mit der Aufforderung: „Wir verlassen das Land – gemeinsam“. Er hoffte auf zehntausende Anhänger. Wieviel hat er bis heute? 494. Die älteren Semester erinnern sich wie oft Israels Demokratie schon gefährdet war. Menachem Begin wurde in und ausserhalb Israels oft als „Terrorist“ bezeichnet, weil er im Unabhängigkeitskrieg 1947/48 mit Israel und gegen Israel bombte. Als er 1977 Ministerpräsident wurde war alles schnell vergessen. Er war es, gerade zwei Jahre im Amt, der mit Ägypten Frieden schloss und einen der blutigsten Feinde Israels, Anwar Al-Sadat, nach Jerusalem einlud und ihn vor dem Parlament reden liess. Der wenn auch kalte Friede mit Ägypten ist für Israel bis heute von existenzieller Bedeutung.

Als Arik Sharon, der erfolgreiche General und militärische Haudegen 2001 Ministerpräsident wurde, ging für Teile Israels fast die Welt unter. Es war Arik Sharon, der sich aus Gaza 2005 einseitig zurückzog. Niemand konnte es damals glauben. Der israelische Alltag fördert heute Lernprozesse, die gestern undenkbar waren. In der Regierung Netanyahu des ausklingenden Jahres 2022 gibt es natürlich keinen Begin und keinen Sharon. Jede Zeit hat seine Charaktere und seine Lernprozesse.

Dan Meridor, einer der engen Wegbegleiter Begins, erzählt in seinen Erinnerungen, wie sehr Begin die Justiz Israels schätzte und pflegte. Er, der so oft dagegen entschied, sich dagegen entscheiden musste, weil es immer um die Existenz des Judenstaates ging. Begin befahl 1981, gegen den Rat führender Kabinettsmittglieder, die Nuklear-Einrichtungen des Iraks anzugreifen und zu zerstören. Die Welt heulte auf. Zehn Jahre später erkannten die USA und Grossbritannien als sie gegen Saddam Hussein kämpften, wie richtig die Entscheidung Begins war. Was wäre gewesen, wenn Saddam Hussein über Nuklear-Waffen verfügt hätte?

Die Autoren aus dem Elfenbein-Turm in New York und Hamburg leben nicht mit ihren Familien in Jerusalem, Tel Aviv oder Haifa. Das tägliche Leben mit Messerangriffen, willkürlichen Schiessereien und Auto-Ramm-Attacken auf unschuldige Strassenpassanten ist eine schwer zu verkraftende Belastung. Allein in diesem Jahr beklagt Israel über 30 Tote, Soldaten und Zivilisten, Frauen und Kinder. Es gab ungezählte Versuche mit den Anführern der Palästinenser ins Gespräch zu kommen. Nichts fruchtete wirklich. Die Zwei-Staaten-Lösung, von der halben Welt hochgehalten und mit Milliarden finanziert ist längst tot. Wen kann ein Rechtsruck bei den letzten Wahlen überraschen? Jetzt will es die Regierung Netanyahu mit sonderbar wirkenden Plus-40jährigen versuchen, die in Judäa und Samaria, besser bekannt als Westbank, aufgewachsen sind und dort auch ihre Nachkommen grossziehen wollen. Sie sprechen die gleiche Sprache, leben aber in einer anderen Kultur als die oft übersatten Grossstädter.

Die Netanyahu-Koalition ist für vier Jahre demokratisch gewählt, im Durchschnitt hält eine Regierung in Israel nicht länger als 24 Monate. Auch wenn es schmerzt, eine Chance haben sie verdient. Wir hören uns wieder – spätestens Ende 2024.

PorträtGodelsommer20

Über Godel Rosenberg

Journalist, Autor, High­techunternehmer. Godel Rosenberg war Pressesprecher der CSU und von Franz Josef Strauß, Fernsehjournalist, TV­-Moderator und Repräsen­tant des Daimler­-Konzerns in Israel. Von 2009 bis 2018 war Godel Rosenberg der Repräsentant Bayerns in Israel.

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1 Kommentar

  1. Sehr guter Bericht. Ja, ich erinnere mich selber an viele der genannten Ereignisse. – Und Nein, ich mache mir keine Sorgen um Israel. Da ist nämlich niemand Geringeres als Jahwe besorgt um sein Volk. Das stimmt mich mehr als zuversichtlich.

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