Während die Türkei an der Verbesserung der Beziehungen zu Israel arbeitet, ist das Land noch nicht bereit, die Unterstützung der Hamas einzustellen. Die Türkei beherbergt weiterhin Vertreter der Hamas in ihrem Hoheitsgebiet und weigert sich, die Bewegung als Terrororganisation einzustufen.
von Ioannis E. Kotoulas
Gegen drei israelische Araber aus dem Norden Israels wurde Ende Oktober Anklage erhoben, weil sie mitgeholfen haben, die Kommunikationsinfrastruktur der israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) in erheblichem Masse zu gefährden. Ausserdem werden sie beschuldigt, sensible israelische Sicherheitsinformationen an Hamas-Terroristen in der Türkei weitergegeben zu haben. Im Wesentlichen waren die drei in der Lage, die Kommunikation der IDF und der israelischen Polizei zu stören, indem sie das Mobilfunksystem in Zeiten von Unruhen oder Krieg lahmlegten.
Der Hauptverdächtige, der nur durch seine Initialen als R.A. beschrieben wird, ist ein Software-Ingenieur bei dem israelischen Telekommunikationsunternehmen Cellcom, das Dienstleistungen sowohl für die IDF als auch für die israelische Polizei erbringt. Er hatte weitreichende Zugangsrechte zu den Datenbanken und Informationssystemen von Cellcom. Im Jahr 2017 traf er sich laut israelischen Ermittlern mit Hamas-Aktivisten in der Türkei.
Das Treffen wurde von Ashraf Hassan arrangiert, einem ehemaligen israelischen Staatsbürger und Hamas-Mitglied. Hassan ist ein gefährlicher Terrorist. Im Jahr 2004 wurde er zu neun Jahren Gefängnis verurteilt, weil er die Entführung und Tötung eines israelischen Soldaten geplant hatte. Hassan verliess Israel im Jahr 2016 und zog in die Türkei. Im Jahr 2021 entzog ihm das israelische Innenministerium die israelische Staatsbürgerschaft, um ihn an der Rückkehr in das Land zu hindern.
R.A. hat sich auch mit einem anderen militärischen Hamas-Funktionär in der Türkei, Azzam Akra, getroffen. Sowohl Hassan als auch Akra unterstehen Saleh al-Arouri, einem hochrangigen Offiziellen der Hamas, der für die terroristischen Operationen im Westjordanland zuständig ist. Al-Arouri, ein Mitbegründer der Izz ad-Din al-Qassam-Brigaden der Hamas, ist von den USA als Terrorist eingestuft und im Rahmen des Programms „Rewards for Justice“ mit einer Belohnung von 5 Mio. USD bedacht worden.
Al-Arouri war mindestens bis 2016 in Istanbul, Türkei, ansässig und nutzte die Stadt als Hauptquartier, um die terroristischen Operationen der Hamas im Westjordanland zu leiten. Er pendelte zwischen Libanon und Katar, doch 2020 berichteten Hamas-Mitglieder, dass er in die Türkei zurückgekehrt sei.
R.A. soll der Hamas sensible Informationen über die israelische Kommunikationsinfrastruktur gegeben haben, die der Terrororganisation helfen könnten, die Systeme während eines Konflikts zu stören.
„Cellcom verurteilt den schwerwiegenden Vorfall aufs Schärfste und hat eng mit den Sicherheitsbehörden zusammengearbeitet, um möglichen Schaden abzuwenden und die Ermittlungen zu unterstützen“, heisst es in einer Erklärung des Unternehmens. „Der Mitarbeiter, der der schwerwiegenden Handlungen beschuldigt wird, sowie der externe Berater wurden mit sofortiger Wirkung von Celcom entlassen.“
R.A. rekrutierte einen Cellcom-Kollegen, bekannt unter seinen Initialen S.A., um Wege zur Umgehung der Informationssicherheitssysteme von Cellcom zu finden. S.A. handelte „in voller Kenntnis der Tatsache, dass RA beabsichtigte, die entsprechenden Informationen an die Hamas-Mitglieder in der Türkei weiterzugeben“, so die Anklageschrift. Der dritte Angeklagte, Z.A., ist der Bruder von R.A.. Er traf sich mindestens dreimal mit Ashraf in der Türkei. Die drei israelischen Araber hatten seit 2015 mit der Hamas zusammengearbeitet, „aus dem Wunsch heraus, den palästinensischen militärischen Kampf gegen Israel zu unterstützen, indem sie eine zentrale Kommunikationsinfrastruktur in Israel (das Unternehmen Cellcom) und seine Nutzer schädigten und die Sicherheit des Staates beeinträchtigten“, so die Anklageschrift.
Verteidigung der Hamas
Die Hamas richtete 2012 ein Hauptquartier in Istanbul ein, das Hunderte von Terroranschlägen in Israel und im Westjordanland leitete und Millionen von Dollar wusch. Die Verbindungen der Türkei zu Hamas-Terroristen sind ausführlich belegt. Die Hamas nutzt die Türkei weiterhin als wichtige Finanzdrehscheibe, um die von den USA und der Europäischen Union verhängten internationalen Sanktionen zu umgehen.
Am 8. November erklärte Aussenminister Mevlüt Çavuşoğlu, dass die Türkei ein israelisches Ersuchen um Ausweisung von Hamas-Führern abgelehnt habe. „Wir sind keinem [israelischen] Ersuchen bezüglich der Hamas nachgekommen, weil wir die Hamas nicht als Terrorgruppe betrachten“, sagte Çavuşoğlu.
„Wir sind stets bemüht, Hamas mit der Fatah zu vereinen“, fügte er hinzu und bezog sich dabei auf die politische Fraktion, welche die Palästinensische Autonomiebehörde kontrolliert.
Die türkische Regierung scheint eine ambivalente Politik zu verfolgen. Einerseits half sie kürzlich, ein iranisches Attentat auf israelische Bürger in der Türkei zu vereiteln. Andererseits weigert sich die Türkei, sich von der Hamas zu distanzieren, selbst nachdem zahlreiche tödliche Anschläge von Terroristen in der Türkei verübt wurden. Ausserdem unterstützt die Türkei weiterhin die Mitglieder der ägyptischen Muslimbruderschaft und gewährt ihnen Zuflucht.
In den letzten zwölf Jahren waren die israelisch-türkischen Beziehungen angespannt, doch in letzter Zeit gab es aufgrund des unbeständigen geopolitischen Umfelds in der Grossregion einen Versuch, die Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu verbessern. Im August nahmen die beiden Länder nach einer langen Zeit der Spannungen wieder volle diplomatische Beziehungen auf, indem sie sich gegenseitig Botschafter zuteilten. Die israelische Seite hat vor der Aufnahme ernsthafter bilateraler Gespräche konkrete Initiativen der türkischen Seite gefordert, wie etwa die Beendigung der Präsenz der Hamas-Führung in der Türkei. Die Türkei hat sich stets geweigert, die Hamas-Mitarbeiter auszuweisen. Es scheint, dass die Türkei noch nicht bereit ist, bei ihrem Vorgehen im Nahen Osten auf die islamistische Karte zu verzichten. Die Türkei hofft, ihren Einfluss in der Region geltend machen zu können, wie sie es in der Vergangenheit durch die Islamisten in Syrien und das Morsi-Regime in Ägypten getan hat. Deshalb lässt die Türkei die Aktivitäten der Hamas in ihrem Hoheitsgebiet zu.
Ioannis E. Kotoulas (Ph.D. in Geschichte, Ph.D. in Geopolitik) ist Lehrbeauftragter für Geopolitik an der Universität von Athen, Griechenland. Sein neuestes Buch ist „Geopolitics of the War in Ukraine“. Auf Englisch zuerst erschienen bei The Investigative Project on Terrorism (IPT). Übersetzung Audiatur-Online.