Der Gewinner der fünften Wahl in weniger als vier Jahren heisst Benyamin Netanyahu. Der amtierende Ministerpräsident Yaid Lapid und seine Koalitionäre sind vom Wähler in die Opposition geschickt worden. Die linksliberale Partei „Meretz“ hat keinen Sitz mehr im Parlament. Israel erlebt damit einen deutlichen Rechtsruck.
Der Geduldsfaden des Wählers ist gerissen. Er wollte eine eindeutige Mehrheit, die zukünftige Regierung handlungsfähig machen. Das ist nun geschehen. Klarer als alle Umfragen es vorausgesagt haben. Netanyahu hat 65 von 120 Sitzen auf seiner Seite. 32 Likud, 14 „gläubige Zionisten“, 11 orthodoxe der „Shas“-Partei und weitere acht aus der gleichen politischen Ecke, die „Vereinigte Thora“-Partei. Dieses Ergebnis ist deshalb so klar, weil die linksliberale „Meretz“ an der 3,25-Prozent-Hürde hängengeblieben ist. Dadurch gewinnen die stärkeren Parteien rein rechnerisch dazu.
Der Wähler hat entschieden und das sind in der Mehrheit die Strasse und die Shuks, die stark frequentierten lautstarken Märkte. Israel erlebt seit April fast täglich Terroranschläge, hatte im August einen dreitägigen Raketen-Angriffskrieg aus Gaza abzuwehren. Zwar gelingt der „Israel Defence Forces“, den Sicherheits-Kräften, die Angriffe zu vereiteln, die Oberhand zu behalten. Aber irgendwann ist es genug.
Die überwiegende Mehrheit der heute 9,6 Millionen Israeli – Juden und Araber – will in Ruhe leben und fordert von der politischen Führung endlich aufzuräumen. In Gaza und in der Westbank. Das ist leichter gesagt, als getan. Der Zustand wie es unter den Ministerpräsidenten Naftali Bennett und Yair Lapid in den letzten 18 Monaten war, ist bei allen Leistungen in der Wirtschaft und in der Diplomatie nur schwer zu ertragen. Da ändert auch die Tatsache nichts daran, dass Israel inzwischen zu einem erfolgreichen OECD-Land mit einer Pro-Kopf-Kaufkraft von über 55 000 US-Dollar jährlich gediehen ist. Das ist weit über dem Durchschnitt der reichsten Länder weltweit.
Deshalb ist ein intellektueller Tiefflieger wie der 46jährige Itamar Ben Gvir der neue Star am Polithimmel in Jerusalem. „Wir werden ihnen zeigen, wer der Herr im Haus ist“, war und ist sein Leitspruch. Damit motivierte er nicht nur Wähler in Judäa und Samaria, besser bekannt als Westbank, der umstrittenen Region zwischen Jerusalem und Jordanien. Jetzt zieht er für viele überraschend mit 14 Mandaten – 2021 sechs Sitze – ins Parlament ein und wird wohl Netanyahu entscheidende Ministerien abtrotzen.
Auch die jüdisch-orthodoxen Parteien haben mit jetzt insgesamt 19 Sitzen dazugewonnen. Ursache dafür ist, dass die Orthodoxen über eine zahlreiche und aktive Jugend verfügen, die bestens organisiert sind. Bnei Brak, nahe Tel Aviv, eines der orthodoxen Zentren mit 30 000 Einwohner pro Quadratkilometer dicht besiedelt wie keine andere Stadt weltweit (Zürich 4700) ist nur ein Beispiel dafür. Da kann der Einfluss des übersatten, liberalen Tel Aviv und Haifa, die stolz auf die Leistungen ihrer Universitäten mit ihrer zur Schau getragenen Individualität nicht mithalten.
Schwierige Innenpolitik
Jetzt droht innenpolitisch Gefahr: Ben Gvir und sein aggressiver Mitstreiter Bezalel Smotrich, beide Rechtsanwälte, wollen das Rechtssystem „reformieren“, was nichts anderes bedeutet als aushebeln. Die Mehrheit des Parlaments soll Urteile des Obersten Gerichts aufheben können. Ein unverhohlener Eingriff in die Grundregeln einer Demokratie. Dahinter verbirgt sich auch der Verdacht, dass das seit drei Jahren dahinköchelnde Gerichtsverfahren gegen Netanyahu wegen Vertrauensbruch, Veruntreuung und Bestechung im Amt eingestellt wird.
Die arabischen Parteien haben sich zudem im Vorfeld dieser Wahl selbst einen klassischen, politischen Knieschuss verpasst. Unter Bennett und Lapid noch weitgehend vereint, sassen sie erstmals in einer Regierung in Israel. Aus reinem Egoismus aufgeteilt in drei Parteien, scheiterte eine Partei an der der 3,25-Prozent-Hürde. Die beiden anderen errangen insgesamt wieder zehn Mandate, verloren aber an politischer Bedeutung. Jetzt sitzen sie auf den harten Oppositionsbänken und müssen zusehen wie ihre Gegner Ben Gvir und Smotrich zu bestimmenden Kräften im Parlament aufsteigen.
Eine Stunde nach Schliessung der Wahllokale sendete eine TV-Sender bereits eine komödiantische Satire-Show – „Das wunderbare Land“. Überzeichnend dargestellt sass die Ben Gvir-Figur auf dem Stuhl des Ministerpräsidenten und das Netanyahu-Double auf einem Plastikhocker neben ihm. Witzig, aber eher unrealistisch. Der dienstälteste und erfahrene Ministerpräsident Israels, jetzt wieder auf bestem Weg zur Nr. 1, wird sich – so hoffen Anhänger und Gegner – nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Ein Rechtsruck wird stattfinden, aber hoffentlich nicht in der Dramatik wie es bei der Satire-Show zum Ausdruck kam.
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Mich interessiert viel mehr, ob Netanjahu an der Neutralität festhält und wie er mit den Aktivitäten Jordaniens verfahren wird.
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