Die Diskriminierung von Juden auf dem Tempelberg muss aufhören

Die heiligste Stätte des Judentums muss für alle Religionen offen sein.

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Juden auf dem Tempelberg am dritten Tag des Pessachfestes. Jerusalem, 18. April 2022. Foto Shalev Shalom/TPS
Juden auf dem Tempelberg am dritten Tag des Pessachfestes. Jerusalem, 18. April 2022. Foto Shalev Shalom/TPS
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Die anhaltende Diskriminierung von Juden auf dem Tempelberg muss aufhören. Gegenwärtig dürfen Juden weder Gebetsbücher noch eine Tora mit auf den Tempelberg bringen und auch keine Tefillin (Gebetsriemen, Anm. d. Red) tragen. Erst seit kurzem können kleine Gruppen von Juden während der fünf Stunden am Tag, in denen der Berg für sie geöffnet ist, schweigend beten.

von Farley Weiss

Trotz dieser Einschränkungen besuchten im vergangenen Jahr 50.000 Juden den Tempelberg, etwa doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Es wird angenommen, dass dies die höchste Zahl von Juden ist, die den Berg seit dem Bar-Kochba-Aufstand vor fast 2.000 Jahren besucht haben. Der Anstieg ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass immer mehr Rabbiner Besuche auf dem Berg zulassen, sofern die Besucher vorher eine Mikwe (rituelles Tauchbad , Anm. d. Red.) aufsuchen, keine Lederschuhe tragen und Bereiche des Berges besichtigen, die der verstorbene Oberrabbiner Shlomo Goren für zulässig hielt.

Die heutige Situation auf dem Tempelberg ähnelt auf unheimliche Weise derjenigen in der Antike. Im Talmud wird die Zerstörung des Zweiten Tempels auf die Handlungen von Rabbi Zechariah Ben Avkulas zurückgeführt. Avkulas wurde kritisiert, weil er sich nicht zu Wort meldete, als er Zeuge wurde, wie ein Mann namens Bar Kamtza von einer Feier hinausgeworfen wurde. Aus Rache für seine Demütigung ging Bar Kamtza zum römischen Kaiser und sagte ihm, dass die Juden das Schaf des Kaisers nicht als Opfer annehmen würden. Daraufhin versah Bar Kamtza das Opfer mit einem Makel, der es nach der Tora unannehmbar machte.

Die Rabbiner wollten die Opferung zulassen, um den Kaiser nicht zu verärgern, was sie für akzeptabel hielten, weil ein Verbot der Tora übertreten werden kann, um ein Leben zu retten. Sie befürchteten zu Recht, dass der Kaiser Juden ermorden würde, wenn sie das Opfer nicht erlaubten. Doch dieses Mal ergriff Avkulas das Wort. Er sprach sich gegen die Opferung aus und setzte sich durch. Das brachte den Kaiser in Rage und führte dazu, dass er den Zweiten Tempel zerstörte, viele Juden ermordete und damit alle Opfer einstellte.

Viele Rabbiner sind der Meinung, dass alle Juden heute als rituell unrein gelten und deshalb nicht auf den Tempelberg gehen dürfen, weil dies die Heiligkeit der Stätte verletzen könnte. Dabei übersehen sie jedoch, dass diese Entscheidung zu einer weitaus grösseren Entweihung des Berges geführt hat: Die Zerstörung jüdischer Artefakte durch die muslimische Waqf-Stiftung, der Israel nach dem Sechstagekrieg 1967 leider die Kontrolle über den Tempelberg überliess.

Rabbi Berel Wein sagte, dass G-tt anhand der vielen Wunder, die zur Gründung und zum Überleben Israels geführt haben, gezeigt hat, welche Rabbiner Recht hatten, ob der Zionismus erfolgreich sein würde. Die Hand G-ttes ist auch in Bezug auf den Tempelberg offensichtlich. Die berühmteste Begehung des Berges seit 1967 war die des damaligen Likud-Führers Ariel Sharon. Er besuchte die Stätte am 28. September 2000, um seinen Widerstand gegen das Angebot des damaligen Premierministers Ehud Barak zu bekunden, die Souveränität über den Berg an die Palästinensische Autonomiebehörde abzugeben. Nur sechs Monate nach diesem Besuch, im März 2001, wurde Scharon Premierminister. Sein Freund, der Journalist Uri Dan, schrieb, es sei Scharons Besuch auf dem Berg gewesen, der ihn an die Spitze der Regierung katapultiert habe.

In den aktuellen Wahlumfragen ist ein unglaublicher Anstieg der Unterstützung für die Partei des religiösen Zionismus zu verzeichnen, die von sechs auf 12 Sitze gestiegen ist. Dies ist vor allem auf die Popularität von Itamar Ben Gvir zurückzuführen, der vor allem für seine häufigen öffentlichen Besuche auf dem Tempelberg bekannt ist.

Der ehemalige Rechtsberater und stellvertretende Generaldirektor des israelischen Aussenministeriums, Alan Baker, forderte Israel kürzlich auf, seine diskriminierenden Praktiken auf dem Tempelberg zu beenden. Die Religionsfreiheit der Juden sollte an der heiligsten Stätte des Judentums geschützt werden. Gleichzeitig muss die Entweihung des Berges durch die muslimische Waqf und die Zerstörung jüdischer Kulturgüter beendet werden.

Am Ende von Jom Kippur sagen wir „nächstes Jahr in Jerusalem“. Auf dass wir auch ein Jahr der Religionsfreiheit auf dem Tempelberg erleben.

Farley Weiss ist Vorsitzender der Israel Heritage Foundation (IHF) und ehemaliger Präsident des National Council of Young Israel sowie Anwalt für geistiges Eigentum bei der Anwaltskanzlei Weiss & Moy. Auf Englisch zuerst erschienen bei Jewish News Syndicate. Übersetzung Audiatur-Online.

1 Kommentar

  1. Die Glorifizierung des Tempelberges als ‚heilige Stätte‘ ist einerseits ein Politikum von hohem Gewicht, andererseits auch geeignet dafür, den grundsätzlich möglichen Wandel von religiösen Ansichten auch im Judentum „zu beweisen“. Dazu taugt für mich Psalm 139. Er stammt von David. Also aus der Zeit vor dem ersten Tempel. Für David war es klar, er konnte beten, wo immer er war.
    Wenn man zusätzlich bedenkt, dass gemäß Lukas 12,49-53 eine der Ansagen vom Juden Jesus lautet, dass er nicht Frieden, sondern Spaltung bringt, dann birgt die im Psalm 139 ausgedrückte Hoffnung geradezu schöpferische Heilkraft, indem sie –über jeden Zweifel erhaben – auf Gottes Allgegenwart hinweist.
    Das heutige Judentum geht davon aus, dass (nur) Rabbiner genau wissen, was gottgefällig ist. So „hat es quasi seine Schularbeiten nicht gemacht“.

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