Der Aussenminister der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) Abdullah Bin Zayed Al Nahyan besucht in diesen Tagen die Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem, legt einen Kranz nieder, verneigt sich und sagt: „ich bin hier, um uns an die Lektionen zu erinnern, die uns die Geschichte lehrt“. Kein deutschsprachiger TV-Sender berichtet darüber in den Hauptnachrichten, keine der überregionalen Zeitungen von NZZ, über SZ bis FAZ veröffentlicht das historische Foto. Keiner der besten Freunde in den Parteizentralen in Berlin und Brüssel ist der Vorgang einen tweet wert. Kann es sein, dass es vielleicht Frieden gibt und keiner geht hin?
Anlass des Besuches ist das zweijährige Jubiläum der Unterzeichnung der Abraham Accords im Weissen Haus zu Washington. Initiiert durch den damaligen US-Präsidenten Donald Trump und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu haben die Verträge den Nahen Osten bereits heute grundlegend verändert. Nach Jahrzehnten der religiös motivierten Ablehnung des Judenstaates haben sich vier muslimische Länder aufgemacht, mit Israel den Nahen Osten neu zu gestalten. Alle vier arabischen Länder haben die Zwei-Staaten-Lösung beiseitegeschoben und sehen ihre Zukunft, die Zukunft des Nahen Ostens gemeinsam mit Israel. Saudi-Arabien hat diplomatische Beziehungen mit Israel noch nicht unterzeichnet, unterstützt aber die Zusammenarbeit. Denn Bahrein, eines der Vier, macht keinen aussenpolitischen Schritt ohne Rücksprache mit Riyad, der Führung in Saudi-Arabien.
Überzeugende Leistungsbilanz
Die Leistungsbilanz der Abraham Accords ist überzeugend. Innerhalb eines Jahres haben die VAE und Israel ein Freihandelsabkommen geschlossen. Das erleichtert den Austausch von Waren und Dienstleistungen. Die aktuelle Handelsbilanz zwischen den beiden Ländern für das laufende Jahr liegt bei über zwei Milliarden US-Dollar, fast doppelt so viel wie ein Jahr zuvor. Die Militärs in Marokko und Israel arbeiten bereits eng miteinander, haben jeweils Büros in Rabat und Tel-Aviv eröffnet. Der Tourismus hat Fahrt aufgenommen: allein nach Abu Dhabi und Dubai sind in den ersten zwei Jahren 500 000 Israeli gereist. Auch Orthodoxe, denn koschere Restaurant gehören dort zum Angebot. Eine erste orthodoxe Hochzeit in Abu Dhabi, die gezielt in diese Woche der Feierlichkeiten gelegt wurde, hat weltweit Aufsehen erregt. Allerdings nicht in den deutschsprachigen Medien.
Ministerpräsident Yair Lapid hat am Sonntag bekannt gegeben, dass das erste „Negev Forum“ vom März 2022, ein Treffen der Aussenminister aus Marokko, VAE, Bahrein, Ägypten gemeinsam mit Israel und USA, zweimal jährlich stattfinden wird. Unter Führung der Aussenministerien werden Kooperationen zu den Themen Ernährung und Wasser, Energie, Tourismus und Klimaschutz sowie Gesundheit und Verteidigung planmässig durchgeführt.
Aussenminister Abdullah Bin Zayed ist übers Wochenende in Israel geblieben und hat sich mit Verteidigungsminister Benny Gantz getroffen als wäre das ganz normal im Nahen Osten des 21. Jahrhunderts. In Anwesenheit des Gastes aus VAE verkündet er, dass es eine mit den USA abgesprochene „Middle East Air Defense Alliance“, also eine gemeinsame Luftabwehr im Nahen Osten geben wird, die die Angriffe auf alle Länder in der Region abwehren soll. In einigen Fällen sei diese „Defence Alliance“ bereits aktiv geworden.
Die Abraham Accords haben auch positive Auswirkungen auf Drittländer, insbesondere auf die Beziehungen Israels zum Sub-Kontinent Indien. Daran möchten jetzt auch die VAE teilnehmen. Indien ist einer der grössten Waffenkunden Israels. Russland ist noch immer Indiens Waffenlieferant Nummer 1. Durch den Ukraine-Krieg verlagert sich der Focus Moskaus und Israels Angebote werden attraktiver. In den Auftragsbüchern stehen jährliche Waffenverkäufe nach Indien von geschätzt drei Milliarden US-Dollar.
Das bleibt auch nicht ohne Auswirkungen auf den Handel mit zivilen Produkten. So berichtet die israelische Regierung, dass der Hersteller von Reinigungs-Roboter für Photovoltaic-Module „Eccopia Scientific“ seine Produktion nach Indien verlagert hat. Der indische Partner hat geschäftliche Verbindungen nach London und verkauft von dort nach VAE. Diese Art von Dreiecks-Geschäften unterstreichen das grosse Potential der Abraham Accords, heisst es aus Jerusalem. Wir reden hier von einem zivilen Handel zwischen Indien und Israel im ersten Halbjahr 2022 von immerhin 3,7 Milliarden US-Dollar.
Israels Wirtschafts-Wachstum 6,8 Prozent
Diese Entwicklung trägt auch wesentlich dazu bei, dass Israel im zweiten Quartal 2022 ein Wirtschafts-Wachstum von 6,8 Prozent auf das ganze Jahr gerechnet aufweist. Im Vergleich zu den 13 führenden hochentwickelten Ländern liegt Israel damit an der Spitze, während Deutschland und die USA ein Wachstum von nur 1,7 Prozent erzielen. Bleibt noch zu ergänzen, dass Israels Beschäftigungs-Rate – Stand August 2022 – die höchste seit vier Jahren ist.
Kein Zweifel: der Krieg um die Ukraine, das Ableben der Königin in London und die noch immer schwelende Pandemie überstrahlen alles in den Medien und in der Politik. Aber das totale Verschweigen des Erfolges der Abraham Accords zwei Jahre nach ihrer Unterzeichnung sowie eines mehrtägigen offiziellen Besuches eines arabischen Aussenministers in Israel hinterlässt unbeantwortete Fragen. Und lässt Deutschland und die EU aussen vor der Tür, wenn es um eine Teilnahme an den wirtschaftlichen Vorteilen heute sowie am Potential für die Zukunft geht.
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