Islamistischer Messer-Terror: Die Unsicherheit, die man sich leistet

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Symbolbild. Polizeieinsatz wegen
Symbolbild. Polizeieinsatz wegen "Sonderlage" in Schaffhausen. Foto IMAGO / Andreas Haas
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Die grösste Terror-Gefahr in der Schweiz sind Messerattacken islamistischer Einzeltäter. Breite politische Kreise weigern sich aber, faktenbasiert zu diskutieren, wie man solche Attacken am besten abwehrt. Besonders Akteure, die sich sonst gerne als Freunde der Juden inszenieren, wirken vor diesem Hintergrund befremdlich.

Das wahrscheinlichste Terror-Szenario in der Schweiz sind von islamistisch motivierten Einzeltätern verübte Messerattacken. Dies hält der Nachrichtendienst des Bundes in seinem diesjährigen Lagebericht explizit fest. Zu den Eigenheiten von solchen Attacken gehört, dass sie fast nicht zu vereiteln sind. Auf die besonderen Schwierigkeiten, die entsprechenden Täter noch in der Vorbereitungsphase zu stoppen, wies der NDB schon in früheren Berichten hin.

Flucht oder Gegenwehr?

Beginnt ein Terrorist, auf Leute einzustechen, sollte ihn die Polizei so schnell wie möglich neutralisieren. Das liegt auf der Hand. Weniger offensichtlich ist, was bis zum Eintreffen der Sicherheitskräfte geschehen sollte. Gibt es unter dem Strich weniger Opfer, wenn die Bevölkerung entwaffnet ist und konsequent zu flüchten versucht, oder ist es besser, wenn Zivilisten Waffen mit sich führen und bereits vor dem Eintreffen der Sicherheitskräfte gegen den Täter vorgehen?

Welche Strategie die bessere ist, hängt von den Antworten auf folgende drei Fragen ab:

  1. Hat die Verzögerungsdauer, mit der die Polizei den Täter neutralisiert, einen Einfluss auf die Opferzahl?
  2. Ist Notwehr und Notwehrhilfe mit Waffe effektiver als ohne?
  3. Führt ein Führerausweisprinzip für Waffentragbewilligungen zu höheren Gewaltquoten?

Zu all diesen Fragen gibt es — zweifellos wegen ihrer politischen Brisanz — eine Fülle an wissenschaftlicher Literatur. In den letzten drei Jahrzehnten wurden dutzende, wenn nicht hunderte peer-reviewte Studien zum Thema veröffentlicht. Und wie das bei einer derart intensiven Forschungstätigkeit zu erwarten ist, kommen verschiedene Untersuchungen zu grundsätzlich divergierenden Resultaten.

Dass man diese Studien beachtet, sollte im Rahmen einer Anti-Terror-Strategie eigentlich selbstverständlich sein. Doch genau dazu ist der Bund nicht bereit. Im Gegenteil: Er ignoriert sie vorsätzlich.

Terrorbekämpfung als Stilfrage

Zur Effektivität von Notwehr und Notwehrhilfe mit Waffen haben offizielle Schweizer Stellen eine eindeutige Haltung. Die von den kantonalen Polizeidirektoren getragene Fachstelle für Kriminalitätsprävention rät «dringend» vom Waffenerwerb zum Selbstschutz ab. Ihr Argument: Bewaffnete Notwehr sei für das Opfer gefährlicher als für den Täter. Vergangene Herbstsession forderte der Berner Ständerat Werner Salzmann in einer Interpellation Belege für diese Behauptung. Er begründete seinen Vorstoss mit einer Liste von empirischen Studien, die alle zum gegenteiligen Schluss kommen: Widerstand mit einer Waffe ist die beste Option, um heil aus einer Gewaltattacke herauszukommen.

Der Bundesrat antwortete Salzmann, er unterstütze die Behauptung der Präventionsstelle voll und ganz. Bemerkenswerterweise führte er aber keine der – zugegebenermassen wenig zahlreichen – Studien an, die die Position der Präventionsstelle stützen. Ebenso wenig machte er einen Versuch, darzulegen, warum die von Salzmann zitierten Studien nicht relevant wären. Die empirische Frage, wie sich bewaffneter Widerstand des Opfers auf den Ausgang von Gewaltdelikten auswirkt, schien schlicht ausserhalb seines Interesses zu liegen.

Anschläge in Europa (Schengenraum und Grossbritannien) seit 2021. Foto Screenshot Lagebericht des Nachrichtendienstes des Bundes 2022.

Mit seiner Haltung ist der Bundesrat nicht allein. Die Fachstelle Kriminalitätsprävention ist ausserstande, eine Studie oder auch nur ein einziges Fallbeispiel anzuführen, das ihre eigene Position stützt. Trotzdem besteht sie vehement auf ihr. Und unlängst riet Fredy Fässler, SP-Regierungsrat und oberster Polizeidirektor des Landes, auch während eines Blackouts solle man absolut auf bewaffneten Selbstschutz verzichten. Der Grund: Bei einer Konfrontation mit einem Einbrecher «könne es gefährlich werden». Die entscheidende Frage, für wen es gefährlich würde – für das Opfer oder für den Täter –, liess er wohlweislich offen.

Mit den anderen beiden relevanten Fragen verhält es sich gleich. Evidenz wäre vorhanden, aber sie wird nicht diskutiert. Das blosse Interesse an ihr scheint in breiten politischen Kreisen eine Art Fauxpas zu sein. Man zieht (bewaffnete) zivile Gegenwehr nicht als möglichen Faktor gegen (Terror)-gewalt in Betracht, wie man keine Eiswürfel in seinen Wein gibt.

Scheinheiliger Anti-Antisemitismus

Keine Gruppe wird so gehäuft Opfer von islamistisch motivierter Gewalt wie die der jüdischen Minderheit. Die Abwanderung europäischer Juden nach Israel hat nicht angezogen, weil sich die Europäer zu wenig gegen den Judenhass ihrer Grosseltern engagieren oder an feelgood-Anlässen gegen «Rassismus, Homophobie, Antisemitismus und Islamophobie» zu wenig Gratissympathie für ihre «jüdischen Mitbürger*innen» zeigen. Die Auswanderung hat angezogen, weil in Europa — und auch in der Schweiz — die Gewaltbereitschaft gegen Juden gestiegen ist.

Politiker, die sich gerne als prinzipienfeste Anti-Antisemiten inszenieren, wirken deshalb besonders befremdlich, wenn sie sich weigern, eine faktenbasierte Diskussion über zivile Gegenwehr als Teil einer funktionierenden Anti-Terror-Strategie zu führen. Richtige Anti-Antisemiten sind zuerst jene, die gegen antisemitische Gewalt sind. Und gegen antisemitische Gewalt sind zuerst jene, die sich dafür interessieren, was gegen diese Gewalt nützt und was nicht.

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