Der Zionismus ist erfolgreich. Weshalb steht er 125 Jahre nach Basel immer noch unter Beschuss?

Der Jahrestag des von Theodor Herzl einberufenen Ersten Zionistenkongresses ist ein Grund zum Feiern, doch der Kampf um die jüdische Selbstbestimmung ist noch lange nicht vorbei.

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Fahnenmarsch am 15. Juni 2021 anlässlich des Jahrestages der Wiedervereinigung Jerusalems im Sechstagekrieg 1967. Foto IMAGO / ZUMA Wire
Fahnenmarsch am 15. Juni 2021 anlässlich des Jahrestages der Wiedervereinigung Jerusalems im Sechstagekrieg 1967. Foto IMAGO / ZUMA Wire
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Die zionistische Bewegung feierte ein grosses Fest. Diese Woche jährte sich zum 125. Mal die Einberufung des Ersten Zionistischen Kongresses durch Theodor Herzl in Basel, Schweiz. Der Anlass hat in Israel eine gewisse Kontroverse ausgelöst, da einige der Meinung sind, dass der Zionistische Weltkongress verschwenderische Ausgaben für ein Programm getätigt hat, das für die Öffentlichkeit nicht zugänglich war, da die meisten Veranstaltungen nicht live übertragen wurden.

von Jonathan S. Tobin

Unabhängig davon, ob diese Kritik berechtigt ist oder nicht, scheint das Interesse an der Gedenkfeier ausserhalb der organisierten jüdischen Welt minimal zu sein. Abgesehen von der Fotogelegenheit für den israelischen Staatspräsidenten Isaac Herzog, der Herzls berühmte Pose auf dem Balkon des Hotels Les Trois Rois mit Blick auf den Rhein nachstellte, haben nur wenige der Veranstaltung grosse Aufmerksamkeit geschenkt.

Dennoch ist der 125. Jahrestag des modernen Zionismus ein geeigneter Anlass, um darüber nachzudenken, wie weit Herzls Idee inzwischen gediehen ist, seit er sie ins Leben rief. Vor allem aber ist es für diejenigen, denen das Schicksal des jüdischen Volkes am Herzen liegt, von entscheidender Bedeutung, die beunruhigende Problematik zu verstehen, die sowohl auf Herzls Realismus als auch auf seinen Irrtum hinweist.

Der Zionismus feierte mit der Wiederherstellung der jüdischen Souveränität im Land Israel einen beispiellosen Erfolg, und zwar genau nach dem Zeitplan von Herzls prophetischen Tagebuchaufzeichnungen. Der jüdische Staat, den er sowohl in dem kurzen Buch, das er im Jahr vor Basel schrieb – Der Judenstaat -, als auch in einem futuristischen Roman, den er fünf Jahre später verfasste – Altneuland – erdachte, wurde trotz der Skepsis und des oft erbitterten Widerstands der nichtjüdischen und der jüdischen Welt nicht nur einfach ins Leben gerufen. Es gedieh und wuchs zu einer regionalen Supermacht mit einer Wirtschaft der Ersten Welt, in der fast die Hälfte der Juden der Welt lebt und die mit jedem Tag stärker wird.

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Altneuland-Strasse in Herzliya. Foto Ori, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11138157

In der Tat erscheint vielen Israelis die Vorstellung von einer zionistischen Bewegung antiquiert. Sie denken verständlicherweise, dass der Zionismus etwas ist, woran man erinnert wird, wenn man ein Geschichtsmuseum besucht. Für sie ist der Staat, von dem Herzl träumte, eine unumstössliche Realität, und die Konflikte des modernen Nahen Ostens, in dem Israel sowohl Feinde als auch Verbündete hat, sind weit entfernt von den theoretischen Debatten, die Herzl zu führen gezwungen war. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, sind das Fortbestehen einiger der Einrichtungen, die ihre Wurzeln in Basel haben, und sogar die Diskussion über einen jüdischen Staat wie versteinerte Überbleibsel des 19. Jahrhunderts, die in Bernstein stecken.

So weit entfernt uns die Ereignisse vom August 1897 auch erscheinen mögen, die Anwesenheit von mehreren hundert Demonstranten während der Veranstaltung erinnert uns daran, dass die Debatte über den Zionismus nicht beendet ist. Die Israelis mögen die Idee, dass man ihr Land von der Landkarte löschen will, für einen schlechten Scherz halten. Aber für die Palästinenser, deren nationale Identität untrennbar mit ihrem jahrhundertelangen Krieg gegen den Zionismus verbunden ist, sowie für die grosse Zahl von Menschen auf der ganzen Welt, die – sei es aus Solidarität mit muslimischen Mitbürgern oder aus linker Ideologie – gegen den Zionismus sind, ist das Ziel, Herzls Vision zunichte zu machen, etwas, das sie nicht nur begrüssen, sondern von dem sie glauben, dass es erreicht werden kann.

Dass dies so ist, weist direkt auf eine Schwachstelle in Herzls ansonsten vorausschauendem Verständnis der Welt, in der er lebte, hin.

Weder Herzl noch der Basler Kongress haben den Zionismus erfunden

Obwohl zu seiner Zeit viele an die Idee glaubten, dass der Fortschritt die Juden zu grösserer Akzeptanz und Freiheit in der nichtjüdischen Welt führen würde, erkannte Herzl, dass der Bogen der Geschichte in eine ganz andere Richtung spannte. Er erkannte, dass die steigende Flut des Antisemitismus, die in Europa sowohl in aufgeklärten Ländern wie Frankreich als auch in reaktionären autoritären Regimen wie dem Russischen Reich aufkam, weder durch Assimilation noch durch die Kräfte der Moderne aufgehalten werden konnte. Das führte zu seiner Überzeugung, dass die Juden ohne einen eigenen Staat nicht nur weiterhin unter Diskriminierung und Gewalt leiden würden, sondern dass sich ihre Lage noch verschlimmern würde.

Weder Herzl noch der Basler Kongress haben den Zionismus erfunden – das Konzept eines jüdischen Staates oder die Vorstellung von der Unvermeidlichkeit der Rückkehr der Juden in ihr Land. Im Gegensatz zu denjenigen, die fälschlicherweise behaupten, das Judentum sei lediglich eine Religion und die Ablehnung der Existenz Israels habe nichts mit Antisemitismus zu tun, ist die Verbindung zum Land Israel ein integraler Bestandteil des jüdischen Glaubens und Teil der täglichen Rituale. Die Sehnsucht nach Zion ist so alt wie das jüdische Volk, und die Hoffnung, dorthin zurückzukehren, hat die Juden durch die Jahrtausende des Exils getragen. Herzl gelang es, eine Bewegung zu mobilisieren und zu organisieren, die die Verwirklichung dieser Hoffnungen möglich machte.

Tage nach Abschluss des Kongresses schrieb Herzl in sein Tagebuch: „In Basel habe ich den Judenstaat gegründet. Wenn ich das heute laut sagen würde, würde ich mit allgemeinem Gelächter begrüsst werden. In fünf Jahren vielleicht, und sicher in fünfzig Jahren, wird es jeder begreifen.“ In Anbetracht der Tatsache, dass die UN-Teilungsresolution, die die Gründung eines jüdischen Staates anordnete, im November 1947 verabschiedet wurde und nur etwas mehr als 50 Jahre später erfolgte, hat Herzl Recht behalten. Die Resolution kam zu spät, um die 6 Millionen Juden zu retten, die im Holocaust umgekommen waren und die einen Zufluchtsort gehabt hätten, wenn der Zionismus seinen grossen Sieg früher errungen hätte. Doch das bewies, wie richtig Herzls Gefühl der Dringlichkeit gewesen war.

Es gibt jedoch ein Element des Problems, das Herzl nicht verstanden hat. Er hatte Recht, als er Heimatlosigkeit und das Fehlen politischer Macht als Elemente sah, die zu einer Tragödie führen würden. Aber er glaubte auch fälschlicherweise, dass der Antisemitismus verschwinden würde, sobald ein jüdischer Staat gegründet worden war. Der Zionismus gab den Juden zwar einen dringend benötigten Mechanismus an die Hand, mit dem sie sich verteidigen konnten, aber er konnte das Virus des Judenhasses nicht ausrotten.

Der Antisemitismus hat in den letzten 125 Jahren nicht nur überlebt, sondern gedeiht, da er sich wie ein Parasit an eine Vielzahl verschiedener politischer Bewegungen angehängt hat – Faschismus, Nationalsozialismus, Kommunismus und in unseren Tagen Islamismus und woken Neomarxismus -, die alle dazu beigetragen haben, den Hass auf Juden aufrechtzuerhalten. Anstatt die Existenzberechtigung des Antisemitismus zu beseitigen, ist Israel in den Mittelpunkt des Antisemitismus gerückt.

Der Antizionismus tarnt sich nicht nur als etwas anderes als dieser Hass, er ist die Essenz des Antisemitismus des 21. Jahrhunderts. Seine Prämisse ist nicht nur, den Juden Rechte zu verweigern, die man keiner anderen Gruppe verweigern würde. Er ist der Mechanismus, mit dem Einschüchterung, Delegitimierung, Gewalt und Terrorismus gegen Juden rationalisiert und gerechtfertigt werden.

Ziel ist Israel zu beseitigen

Aus diesem Grund demonstrieren Judenhasser gegen eine Gedenkfeier in Basel und fordern die Aufhebung aller Meilensteine auf dem Weg zur jüdischen Staatlichkeit – die Balfour-Erklärung von 1917 und die Teilungsresolution von 1947. Ihre globale antisemitische BDS-Bewegung, die darauf abzielt, die israelische Wirtschaft zu unterdrücken, ist weitgehend gescheitert. Nichtsdestotrotz hat sie einen Rahmen geschaffen, in dem Judenhasser sich nicht nur organisieren können, sondern dies auch tun, indem sie vorgeben, sich für die Menschenrechte der Palästinenser einzusetzen, deren Ziel es ist, Israel zu beseitigen.

Es hat auch dazu geführt, dass dasselbe Weltgremium, das die Gründung Israels genehmigt hat – die Vereinten Nationen – zur Hochburg derjenigen geworden ist, die nicht unrealistischerweise glauben, dass sie den Zionismus als Rassismus verleumden und den jüdischen Staat letztendlich isolieren und zerstören können.

Deshalb ist das Eintreten für den Zionismus – die nationale Befreiungsbewegung des jüdischen Volkes – heute nicht nur relevant, sondern absolut notwendig, um nicht nur das Erbe Herzls zu bewahren, sondern sich gegen eine Bewegung zu wehren, deren Ziele nur durch den Völkermord an den 7 Millionen Juden in Israel erreicht werden könnten.

Herzl irrte sich zwar, als er glaubte, dass ein jüdischer Staat das Problem des Antisemitismus lösen würde, aber er hatte Recht, als er glaubte, dass ein solcher Staat notwendig war und eine gerechte Lösung für die Notlage der Juden in Europa und im Nahen Osten darstellte, wo sie niemals vollständig als gleichberechtigt oder sicher akzeptiert werden würden.

Lange nachdem die Wiedergeburt der jüdischen Souveränität in Israel Wirklichkeit geworden ist, mag es seltsam erscheinen, dass wir weiterhin über das Recht der Juden auf ihren Staat diskutieren müssen. Der Triumph des Zionismus war etwas, das 1897 nur wenige Juden oder Nicht-Juden für möglich hielten. Doch so undenkbar die Zerstörung des jüdischen Staates heute auch ist, die Tatsache, dass Hunderte von Millionen, wenn nicht Milliarden von Menschen seine Zerstörung für eine gute Idee halten, zeigt, dass der Antisemitismus nach wie vor existiert. Ebenso wichtig ist, dass dies alle Menschen guten Willens – Juden und Nicht-Juden gleichermassen – an die Notwendigkeit eines fortgesetzten Engagements für den Zionismus erinnern sollte.

Jonathan S. Tobin ist Chefredakteur von JNS Jewish News Syndicate. Übersetzung Audiatur-Online.