Dankbarkeit empfinde ich gegenüber dem Zionismus. Genauer: den Zionisten aller Richtungen. Weltpolitische und leider auch innerjüdische Gründe verhinderten die Gründung des Jüdischen Staates vor 1948.
Ein Kommentar von Michael Wolffsohn zum 125-Jahre-Jubiläum des ersten Zionistenkongresses in Basel
Die Frage „Was wäre gewesen, wenn…“ ist meistens müssig. Nicht in diesem Falle. Stellen wir uns vor, Israel wäre 1897/98, unmittelbar nach dem ersten Kongress in Basel, gegründet worden. Oder 1917 statt der papierener Balfour-Erklärung oder bis 1932, vor dem Beginn der jüdischen Apokalypse. Die Antwort kennt jeder. Von 1897 bis 1917 haben das Osmanische Reich, von 1917/18 bis 1948 das Vereinigte Königreich diese Entwicklung verhindert.
Von Herzl plus Basel 1897 bis 1933 – und teils auch danach – sah die Mehrheit der Juden, in den“ Zionisten eine Gefahr für ihre Diasporazukunft als als „Bürger wie alle Bürger„ ihres jeweiligen Staates. Wer und wo die tatsächliche Gefahr lauerte, erkannten viele sogar noch nach 1933 nicht.
Wie sehr die nichtjüdische Welt Juden „schützte“, zeigte die Konferenz von Evian 1938. Ausser der diktatorisch regierten Dominikanischen Republik war kein Staat bereit, die damals „nur“ in Deutschland und im angeschlossenen Österreich gefährdeten Juden aufzunehmen. Ab 1939 war es zu spät. Danach war der diasporajüdische Megairrtum sechsmillionenfach tödlich.
Nach der sechsmillionenfachen Katastrophe wollte auch so gut wie niemand die Überlebenden der NS-Höllen aufnehmen. Erst 1948 konnten sie nach Israel kommen. Lieber wären sie woanders hingezogen. Ähnliches galt für die Juden der Arabischen Staaten nach 1948. Viele nordafrikanische Juden, besonders die wohlhabenden, wählten Frankreich als neue Heimat. Die armen und weniger gebildeten überliess man Israel. Innerjüdische „Dankbarkeit“. Seit ca. zwanzig Jahren wird es vielen jener französischen Juden in ihrer neuen Heimat sicherheitspolitisch zu „heiss“. Dort ist der Antisemitismus mörderisch. Nicht nur in Frankreich will der Staat die Juden schützen. Doch offenbar kann er es nicht.
Das inzwischen längst nicht mehr arme und provinzlerische nunmehr hochentwickelte Israel, wo man nun sogar gut isst, ist ihnen jetzt gut genug. Das ist die neue Variante jüdischer Desparados. Herzl hatte richtig erkannt, dass nur von der Diaspora enttäuschte oder gar verzweifelte Juden in den Jüdischen Staat einwandern würden.
„Ungemütlich“ wird es inzwischen auch den Juden wieder in Deutschland, wobei die Gefahr nicht nur, wie traditionell, von rechtsaussen, sondern auch von Linksaussen und Islamisten, den „Islamogauchistes“, ausgeht.
Auch wenn wir (noch?) lieber, aus welchen Gründen auch immer, in der selbstgewählten Diaspora bleiben, ist der von den Zionisten seit 1897 allmählich und mühsam erkämpfte Jüdische Staat der einzige Ort in der Welt, wo Juden (wie „Faust“) sagen können: „Hier bin ich Mensch, hier kann ich´s sein.“ In erster Linie ganz einfach Mensch, ich, und nicht „der“ Jude – wobei „Jude“ angesichts der Leistungen von Juden in Geschichte und Gegenwart zwar keine gar göttliche „Auserwähltheit“, sehr wohl aber aber eine Ehrenzugehörigkeit und Verpflichtung ist, sich der Leistungen der Vorfahren würdig zu erweisen. Nicht zuletzt der zionistischen Vorfahren und deren Nachfahren in Israel – trotz ihrer Fehler. Nobody is perfect. Zionisten auch nicht. Aber sie boten und bieten den Juden aller Welt Schutz als Vorbedingung ihres menschlichen Seins. Danke, Zionisten.
Prof. Dr. Michael Wolffsohn ist Historiker und Autor u.a. Von „Eine andere Jüdische Weltgeschichte“ (2022)
Viele deutsche Intellektuelle haben besonderes Mitleid mit den „Verdammten dieser Erde“ (Frantz Fanon). Erfolg, vor allem materieller, steht bei ihnen im Verdacht, auf unrechtmäßige Weise zustande gekommen zu sein. Folglich schätzt man die vermeintlich unterdrückten armen Völker, wie die Palästinenser, und kann sich nicht damit abfinden, dass Israels Erfolg samt und sonders auf Fleiß, Unternehmertum und Intelligenz gründet.
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