Zum Attentat auf das israelische Olympia-Team vor 50 Jahren

Offene Fragen und Wunden, die nicht verheilen

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Besucher betrachtet die Installation mit Titelseite und Schlagzeile der AZ Abendzeitung über den Mordanschlag am Erinnerungsort an das Olympia Attentat vom 05.September 1972 auf die Olympiamannschaft Israels. Foto IMAGO / Ralph Peters
Besucher betrachtet die Installation mit Titelseite und Schlagzeile der AZ Abendzeitung über den Mordanschlag am Erinnerungsort an das Olympia Attentat vom 05.September 1972 auf die Olympiamannschaft Israels. Foto IMAGO / Ralph Peters
Lesezeit: 4 Minuten

Nun steht alles auf der Kippe. Am 5. September soll in München ein Gedenken an das Olympia-Attentat von 1972 stattfinden. Doch die Hinterbliebenen bleiben wohl fern. 50 Jahre danach schmerzen die Wunden immer noch.

von Joachim Heinz

Am Wochenende meldete sich Ludwig Spaenle zu Wort. Man müsse ernsthaft prüfen, ob die Gedenkfeier zum 50. Jahrestag des Olympia-Attentats von München nach der Absage der Hinterbliebenen noch stattfinden könne. “Sie darf nicht zur Groteske verkommen”, sagte Bayerns Antisemitismusbeauftragter dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Aufarbeitung des Geschehens, das auf immer mit den Olympischen Sommerspielen in München verbunden bleiben wird, ist noch immer nicht abgeschlossen.

Am frühen Morgen des 5. September 1972 hatten sich palästinensische Terroristen Zutritt zum Olympiadorf verschafft und waren in das Quartier der israelischen Mannschaft eingedrungen. Sie töteten zwei Israelis, nahmen neun weitere als Geiseln. Mit der blutigen Aktion wollte die Gruppe “Schwarzer September” Gesinnungsgenossen aus der Haft freipressen. Was dann folgte, war eine Aneinanderreihung von Fehleinschätzungen und Pannen. Sie endete in der Nacht in einem komplett missglückten Befreiungsversuch auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck, bei dem alle Geiseln, ein Polizist und fünf der acht Terroristen getötet wurden.

“Der Anschlag löste einen Schock aus, der bis heute nachwirkt”, schreiben Anna Greithanner und Dominik Aufleger in der “Zeit”. “Elf Israelis, ermordet auf deutschem Boden, vor den Augen der Polizeikräfte: Für das Selbstverständnis der noch jungen Bundesrepublik bedeutete das eine Zäsur.”

Und doch fanden die Angehörigen lange kaum Gehör bei den Verantwortlichen. Behörden gaben Akten nur zögerlich frei. Und von den nun, nach fünf Jahrzehnten, angebotenen zehn Millionen Euro Entschädigung, will Deutschland die 4,6 Millionen Euro abziehen, die die Bundesregierung, der Freistaat Bayern und die Stadt München bereits gezahlt haben.

Für die Sprecherinnen der betroffenen Familien, Ankie Spitzer und Ilana Romano, war das unmittelbar vor der geplanten Gedenkfeier offenbar der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. “50 Jahre Schmähung, Lügen, Erniedrigung und Abweisung durch die deutsche Regierung und insbesondere bayerische Behörden sind mehr als genug für uns”, zitierte die “Bild”-Zeitung aus einem Brief Spitzers und Romanos an Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU).

Gedenktafel für die Opfer des Attentats auf die israelische Olympiamannschaft während der Olympischen Spiele 1972 in München. Foto IMAGO / imagebroker

Während der bayerische Antisemitismusbeauftragte Spaenle den Umgang mit den Familien in der Entschädigungsfrage als “beschämend” bezeichnet, spricht sein Amtskollege auf Bundesebene, Felix Klein, von einem fairen Angebot. “Es ist an der oberen Grenze dessen, was man heute als Opfer einer terroristischen Straftat bekäme.”

IOC brauchte bis 2021 um sich zu einer Schweigeminute durchzuringen

Wie lautet die angemessene Reaktion auf das Attentat? Diese zentrale Frage stand auch 1972 im Raum. Die Spiele wurden am 5. September um 16.30 Uhr unterbrochen – rund 12 Stunden nachdem die Terroristen das nur lax gesicherte Olympiadorf betreten hatten. Das Internationale Olympische Komitee (IOC) verständigte sich angeblich noch am gleichen Abend auf eine Fortsetzung der Wettbewerbe am Folgetag unabhängig vom Ausgang der Geiselnahme.

Am 6. September um 10.00 Uhr versammelte man sich zunächst einmal für eine Trauerfeier im Münchner Olympiastadion. Das ganze Ausmass der Tragödie auf dem Flughafen von Fürstenfeldbruck schien gegen eine Wiederaufnahme der Spiele zu sprechen. Aber nicht nur in München deutete sich der Wunsch nach einer Fortsetzung an. Nahezu zeitgleich zur Trauerfeier beklagte Papst Paul VI. im Vatikan bei seiner Generalaudienz den Anschlag auf ein Ereignis, das die “menschliche Brüderlichkeit” feierte “und das jetzt unterbrochen ist, von dem Wir aber hoffen, dass es wieder aufgenommen werden kann”. 

Im Stadion bekräftigte Bundespräsident Gustav Heinemann unter dem Applaus vieler Anwesender: “Die Olympische Idee ist nicht widerlegt. Wir sind ihr stärker verpflichtet als zuvor.” Dann gab IOC-Präsident Avery Brundage die berühmt-berüchtigte Parole “Die Spiele müssen weitergehen” aus. Es gelte in dem Bemühen fortzufahren, “sie rein und ehrlich zu halten.”

Bittere Ironie der Geschichte: Es war derselbe Brundage, der 1934 seinen US-amerikanischen Landsleuten einen Boykott der Olympischen Spiele 1936 im nationalsozialistischen Deutschland mit der Begründung ausgeredet hatte, die deutschen Juden seien mit ihrer sportlichen Situation zufrieden.

In München ging Olympia einige Stunden nach der Trauerfeier wieder zur Tagesordnung über: um 16.45 Uhr mit dem Handballspiel Rumänien gegen Ungarn. Die israelische Delegation reiste am Folgetag ab. Erst seit den 90er-Jahren erinnern Gedenkstätten in München und Fürstenfeldbruck an das Attentat. Das IOC brauchte bis 2021, um sich zu einer Schweigeminute für die 1972 getöteten Olympioniken durchzuringen.

“Das Leben braucht Versöhnung. Versöhnung darf nicht dem Terror zum Opfer fallen”, mahnte der damalige Bundespräsident Heinemann. Auch 50 Jahre danach bleibt dieser Wunsch beklemmend aktuell. 

KNA/joh/cri

2 Kommentare

  1. Angesichts des kompletten Versagens von Bundesregierung und des Freistaats Bayern, die Weigerung gegenüber den Familien der Opfer Einsicht in Akten über dieses Massaker zu gewähren, mit der Behauptung, es gäbe keine Akten. Um dann genau diese nicht vorhandenen Akten bis 2047 unter Verschluß zu halten.
    Nicht zu vergessen diese unsägliche Arroganz, das Hilfsangebot der Israelis, ein genau für so eine Geiselname ausgebildetes Spezialkommando abzulehnen.
    Die überlebenden 5 Terroristen sind übrigens nicht vor einem deutschen Gericht gelandet und angeklagt worden, sondern nach 3 Monaten abgeschoben worden. So wie heute Asylbewerber, die ohne Reisepass einreisen.
    Jetzt, nach 50 Jahren wird den Angehörigen nochmal 5,4 Millionen angeboten um den schönen Staatsakt am 5.September „würdig“ abschließen zu können.
    Da schmeißt man den Angehörigen ein paar Peanuts hin und selbst diese schäbige Geste wird noch in Frage gestellt.
    Kein Problem hat man in Deutschland damit, die Täter vom Fatah und Schwarzen September seit den 90er Jahren großzügig mit jährlichen Millionenbeträgen zu unterstützen. Allein 2021 hat Deutschland 200 Millionen an „Humanitäre Hilfe“ an die Palestinian Authority überwiesen.
    Jeder der noch über einen halbwegs moralischen Kompass verfügt, wird nicht groß darüber nachdenken müssen was denn nun gerecht ist.

  2. Deutschland hat für sein offenkundiges Versagen bei der Terrorbekämpfung mehr als 900.000 Euro pro israelischem Opfer angeboten. Das ist den Familien der Getöteten zu wenig.
    900.000 Euro für ein Menschenleben ist eine lächerliche Summe, im Vergleich zu den Entschädigungen deutscher Terroropfer aber eine gewaltige, denn so viel wurde noch nie, nicht einmal annähernd gezahlt.
    Was ist nun gerecht?

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