Dokumentarfilm geht antisemitischen Codes auf die Spur

Karikaturen von Minderheiten als Mörder, Teufel oder Ungeziefer: Ein ARD-Dokumentarfilm geht der Frage nach, was hinter solchen Darstellungen steckt - und warum sie als Warnzeichen ernstgenommen werden sollten.

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Antisemitische Zerrbilder fänden sich auch in Harry Potter. Ausschnitt aus
Antisemitische Zerrbilder fänden sich auch in Harry Potter. Ausschnitt aus "Jud Süss 2.0" von Felix Moeller | Foto Arte
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Gibt es einen neuen Antisemitismus, der sich durch die digitalen Medien rasend schnell verbreitet? Oder sind es alte Feindbilder, die in Krisenzeiten heraufbeschworen werden? Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie steigt die Zahl judenfeindlicher Äusserungen in den Medien, zeigt der Historiker, Autor und Regisseur Felix Moeller. In dem Dokumentarfilm “Jud Süss 2.0 – Vom NS- zum Online-Antisemitismus” stellt er alte und neue Feindbilder gegenüber und fragt, wie sie in den Mainstream von heute hineinwirken. Die ARD strahlt den Beitrag am Montag, 11. April ab 23.35 Uhr aus.

von Heide-Marie Göbbel

Antijüdische Feindbilder und Verschwörungsmythen werden derzeit im Internet millionenfach gepostet – und erreichten damit eine völlig neue Zielgruppe, so Moeller. Der Regisseur, der 2008 auch “Harlan – Im Schatten von Jud Süss” inszenierte, untersucht Klischees, Stereotypen und Handlungsabläufe aus vielen bis heute nicht freigegebenen NS-Propagandawerken. Im Fokus steht der Film “Jud Süss”, der zeigt, wie sich die früheren und heutigen Darstellungen gleichen. Veit Harlan inszenierte den nationalsozialistischen Spielfilm 1940 im Auftrag von Joseph Goebbels. Die Hauptrolle des Juden Joseph Süss Oppenheimer spielte der Schauspieler Ferdinand Marian.

Wie die modernen Verschwörungsmythen aussehen, illustrieren zahlreiche Beispiele aus dem Internet. “Die Juden oder die jüdische Mafia sollen angeblich hinter Pädophilie, dem weissen Genozid und der Weltbank stecken. Sie werden mit allem in Verbindung gebracht, auch mit Hollywood, mit den Vereinten Nationen und dem Feminismus”, erläutert die Londoner Extremismusforscherin Julia Ebner. Es gebe Anzeichen, dass judenfeindliche Online-Radikalisierung zu physischer Gewalt führen könne, beispielsweise dem Anschlag auf die Synagoge von Halle im Oktober 2019.

Der Autor untersucht weitere Beispiele: Mit dem Film “Der ewige Jude” von 1940 etwa sollte die Bevölkerung auf die sogenannte Endlösung der Judenfrage vorbereitet werden. Der Film sei der einzige, bei dem sich Adolf Hitler direkt in die Gestaltung eingeschaltet habe. Ausserdem müsse man bedenken, dass alle jüdischen Menschen, die in sogenannten nationalsozialistischen Dokumentarfilmen und Wochenschauen zu sehen sind, zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits todgeweiht waren, mahnt Moeller.

Klischeehafte physiognomische Darstellungen von Juden – mit Hakennase, grossen Ohren, schwarzem krausen Haar und verzerrten Gesichtszügen – dokumentieren die über 8.000 Ausstellungsobjekte aus dem Arthur Langermann Archiv. Dort werden antijüdische Alltagsgegenstände vom Spazierstock bis zur Postkarte verwahrt, erklärt Carl-Eric Linsler, der wissenschaftliche Sammlungsleiter des Archivs für die Erforschung des visuellen Antisemitismus am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin.

Das häufigste Mittel antisemitischer Propagandafilme war demnach, Juden als Börsenspekulanten und Träger eines betrügerischen Finanzwesens darzustellen – wie im Film “Die Rothschilds” von 1940. Der Name der Familie sei inzwischen eines der wichtigsten Codewörter der Online-Antisemiten geworden.

Moeller zeigt zahlreiche weitere Beispiel toxischer Propagandafilme aus der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung in Wiesbaden, in der unter anderem auch 700 NS-Spielfilme verwahrt werden. 44 davon seien sogenannte Vorbehaltsfilme, die nicht ohne Weiteres im Kino oder Fernsehen ausgestrahlt werden könnten.

Auch antisemitische Beispiele aus Frankreich werden beleuchtet. Am Ende steht die Frage, ob “Jud Süss” heute frei gezeigt werden sollte. Der Film sei so hinterhältig, bösartig und erschütternd, weil bekannt sei, dass er KZ-Wachmannschaften begeistert habe für ihr sadistisches Tun, antwortet Christiane von Wahlert vom Vorstand der Murnau-Stiftung.

Insgesamt ein hervorragend gemachter Dokumentarfilm, der viele Zusammenhänge erklärt und dazu beitragen kann, zu erkennen, was hinter heutigen antisemitischen Codes steckt.

“Geschichte im Ersten: Jud Süss 2.0 – Vom NS- zum Online-Antisemitismus”. Dokumentarfilm von Felix Moeller. ARD, Mo 11.4., 23.35 – 0.20 Uhr.

KNA/mit/pko/joh