Verbotener Verein Nuralislam in Deutschland hatte Kontakte zum Islamischen Zentralrat Schweiz

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Nicolas Blancho, genannt Abu Ammar AbdUllah, Präsident des Islamischen Zentralrats Schweiz während einer Veranstaltung "gegen Islamophobie", mit einem an den Judenstern erinnernden Symbol. Bern, 29.10.2011. Foto IMAGO / Manuel Winterberger
Nicolas Blancho, genannt Abu Ammar AbdUllah, Präsident des Islamischen Zentralrats Schweiz während einer Veranstaltung "gegen Islamophobie", mit einem an den Judenstern erinnernden Symbol. Bern, 29.10.2011. Foto IMAGO / Manuel Winterberger
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Am 10. März wurde der „Islamische Kulturverein Nuralislam“ in Dortmund vom NRW-Innenministerium verboten. Bis 2016 nannte sich die als salafistisch eingestufte Gruppierung noch „Takwa-Verein“. In der Vergangenheit trafen sich Funktionäre dieses Vereins mehrfach mit solchen des Islamischen Zentralrat Schweiz (IZRS). Das waren jedoch nicht die einzigen Bezüge des Vereins zu Personen aus der Salafisten-Szene.

von Sigrid Herrmann-Marschall

Der „Islamische Kulturverein Nuralislam“ in Dortmund wurde am 10. März vom nordrhein-westfälischen Innenministerium verboten. Der Verein richte sich gegen die Verfassung und den „Gedanken der Völkerverständigung“, hiess es zur Begründung im Bundesanzeiger. Wie Landesinnenminister Herbert Reul (CDU) Stunden später im Innenausschuss des Landtages mitteilte, stünden die Funktionäre des Vereins der Terror-Organisation Islamischer Staat (IS) nahe und verträten eine salafistische Ideologie. Dabei bezeichnete der CDU-Politiker den Verein auch als „Gewächshaus des Islamismus“, das auch „Rekrutierungsort für das Abu Walaa-Netzwerk“ gewesen sei und die Ausreise von mindestens sieben Männern in das IS-Gebiet organisiert habe. Durchgesetzt wurde das Verbot mit Durchsuchungen in der Vereins-Moschee in der Dortmunder Nordstadt sowie in den Privatwohnungen einzelner Funktionäre. Dabei wurden auch Datenträger sowie Vereinsvermögen beschlagnahmt.

Die Verbotsverfügung umfasst auch Auftritte des Nuralislam-Verein in den sozialen Medien. Mit dem Verbot ist die Bildung von Ersatzorganisationen ebenso untersagt wie mögliche Versuche, bestehende Organisationen so umzugestalten, dass diese als Ersatzorganisationen gelten können. Doch welche Bezüge hatten der Verein sowie dessen Vorstand zu anderen salafistischen Akteuren?

Dortmund hat – wie andere Grossstädte auch – mittlerweile eine diversifizierte salafistische Szene mit einem weiter bestehenden Zulauf. Entsprechend der Vorstellung, dass schon geringe Meinungsunterschiede in der Deutung oder Ausübung der Religion andere Muslime zu irregeleiteten Abtrünnigen machen, spalten sich immer wieder neue Gruppen und Grüppchen ab und suchen an jeweils eigenen Gebetsstätten nach Anhängern.

Vorläuferverein war der bereits 2006 eingetragene Islamische Kulturverein Takwa. Der Takwa-Verein benannte sich Ende 2016 um, möglicherweise als Reaktion auf das kurz zuvor ergangene Verbot der „Lies!“-Kampagne. Offenbar war der Verein schon damals ins Visier der Behörden geraten, denn auch von dem Takwa-Verein gibt es Hinweise auf eine Strassen-Missionierung und Aktivitäten mit anderen, einschlägig bekannten Islamisten. So war etwa der Dortmunder Coskun Gezer von 2011 bis 2013 stellvertretender Vorsitzender des Takwa-Verein. Gezer ist in Deutschland vor allem durch seine Aktivitäten mit Talha Kemiksiz unter dem Label Muslim Media (MM) bekannt geworden. Muslim Media versuchte vor allem im Internet jüngere, männliche Muslime anzusprechen und ist als salafistisch einzustufen.

Akteure dieses Internet-Portals reisten mehrfach in die Schweiz, um sich mit den Funktionären des Islamischen Zentralrats Schweiz (IZRS) auszutauschen. Schon für das Jahrestreffen 2011 des IZRS war Gezer als Gast angekündigt. Auch beim Jahrestreffen des IZRS Ende 2012 war Gezer mit MM vor Ort, interviewte das IZRS-Vorstandsmitglied Qaasim Illi und dokumentierte, dass bei dem Treffen auch die damals als Salafisten bekannten Prediger Abu Jibril alias Mohamed Gintasi sowie Abdul Adhim Kamouss anwesend waren. Qaasim Illi war der Ehemann der 2020 verstorbene Nora Illi. Diese wurde im November 2016 durch einen Auftritt in der TV-Talkshow „Anne Will“ auch in Deutschland bekannt. In dieser Sendung wurden Zitate von ihr gezeigt, die als Kriegspropaganda für den IS gedeutet wurden. Der Auftritt, bei dem sich die „Frauenbeauftragte“ des IZRS vollverschleiert präsentierte, sorgte für kontroverse Diskussionen darüber, ob und wie radikale Meinungen in Talkshows vertreten sein sollten.

Für das Jahrestreffen 2011 des IZRS war Coskun Gezer als Gast angekündigt. Quelle Youtube / IZRS

In einem 2013 veröffentlichten Video von einem weiteren Besuch in der Schweiz ist neben Gezer auch der spätere Vereinsvorsitzende von „Nuralislam“, Bekir Dawi, zu sehen. Im weiteren Verlauf ist auch Naim Cherni zu sehen. In dem Video ist auch die Rede davon, dass „Illi“, also Qaasim Illi, bei dem Treffen anwesend gewesen sein soll. Sowohl Naim Cherni als auch Qaasim Illi sowie Nicolas Blancho vom IZRS wurden in der Schweiz mittlerweile wegen Aufrufen zum Jihad sowie Terror-Unterstützung angeklagt. Cherni soll nach Angaben auf der IZRS-Internetseite wegen einer erfolgten Verurteilung den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angerufen haben. Qaasim Illi und Blancho haben in der Berufungsinstanz eine Herabsetzung ihres Strafmasses erzielen können. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und kann noch vor dem Bundesgericht angefochten werden.

Beim Takwa- und späteren Nuralislam-Verein finden sich auch noch weitere Bezüge zu Personen aus der Salafisten-Szene. So wurde etwa 2016 der Berliner Prediger Abul Baraa in der Nuralislam-Moschee angekündigt. Der derzeitige Imam sowie Vorstandsvorsitzende des Nuralislam-Vereins, Bekir Hashim Ali Dawi, taucht 2013 das erste Mal im Vereinsregister auf. Dawi bezeichnet sich selbst auf einer Vereinsseite, die auch im Webarchiv vorliegt, als Turkmenen und gibt als Herkunftsstadt Kirkuk im Irak an. Trifft das so zu, kommt er aus derselben Geburtsstadt wie Abu Walaa. Schon als der Verein noch unter dem alten Namen bestand, gibt es ein YouTube-Video von einem Auftritt Dawis in der Takwa-Moschee, allerdings unter dem Namen „Sheikh Bakr“. Nach Angaben in einem bei Muslim Media veröffentlichen Video erteilte Dawi einem späteren Mitarbeiter von MM, einem Jussuf K., eine Lehrerlaubnis, was Gezer in dem Video stark hervorhebt. K. habe zum Zweck der Lehrerlaubnis 18 Monate bei Dawi gelernt, bevor ihm dieser die Erlaubnis erteilte, heisst es in dem Video. Auf der Internet-Seite des Vereins waren neben ihm weitere 40 Schüler des Imams verzeichnet, denen er im Laufe der Jahre eine Lehrerlaubnis erteilt hatte, darunter einige Frauen. Unter den Schülern waren irakischstämmige Personen besonders stark vertreten. Allein diese Zahl macht deutlich, dass Dawi auch über Dortmund hinaus Bedeutung hat.

Die Vernetzung zur Salafisten-Szene wurde unter anderem durch den Imam bis in die jüngste Zeit hinein betrieben. So traf Dawi etwa im Juni letzten Jahres Muhammad bin Shams Al-Din. Al-Din ist ein Salafist, der schon vom Middle East Media Research Institute (MEMRI) mit der Aussage zitiert wurde, dass ein Muslim, der Juden und Christen nicht zu Ungläubigen erklärt, selber ein Ungläubiger ist.

Trotz des Verbotes bleiben die Funktionäre des Vereins in der Stadt. Sie werden sich andere Betätigungsfelder suchen, denn für Personen wie Dawi ist die Religion das Zentrum ihres Lebens. Die Verlegung solcher Aktivitäten ins Internet wird möglicherweise noch wichtiger. Wohin sich die nicht unerhebliche Anzahl der Besucher der Nuralislam-Moschee orientieren wird, ist noch nicht abzusehen. Die Schwierigkeit ist, dass eine Stadt wie Dortmund für Personen, die den Islam fundamentalistisch leben wollen, hinreichende Möglichkeiten bietet.

Sigrid Herrmann-Marschall ist Islamismus-Expertin. Auf Deutsch zuerst erschienen bei Islamismus und Gesellschaft.