Ist Israel die neue Schweiz?

Viel Lob für den Vermittler Bennett

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Der israelische Premierminister Naftali Bennett bei einer Pressekonferenz in Tel Aviv am 11. Januar 2022. Foto IMAGO / Xinhua
Der israelische Premierminister Naftali Bennett bei einer Pressekonferenz in Tel Aviv am 11. Januar 2022. Foto IMAGO / Xinhua
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Israel wird von den USA und der EU für seine versuchte Vermittlerrolle zwischen Russland und Ukraine rundum gelobt. Aber die Frage, ob Israel die neue Schweiz werden kann, muss mit einem klaren Nein beantwortet werden. Israel spielt in dem europäischen Konflikt, der ausufern könnte, keine neutrale Rolle. Jerusalems Haltung und Vorgehen wird von allen Seiten respektiert. Die Schweiz und Deutschland stehen auf Putins „Liste der Feindes-Staaten“. Israel nicht. Das hat seine Gründe.

Wer hätte das noch vor wenigen Monaten von Naftali Bennett geglaubt? Er begann seine politische Karriere als Büroleiter Benyamin Netanyahus, der bis Juni vorigen Jahres dienstältester Ministerpräsident Israels war. Davor hat der heute 49jährige Bennett in der boomenden High-Tech-Welt durch mehrere Exits viel Geld verdient, sich finanziell unabhängig gemacht. Er hätte sich cocktail-trinkend mit seiner jungen Frau Gilat und ihren vier Kindern zurückziehen können, erzählt er gerne. Aber er wollte Verantwortung übernehmen. Für diese Lebenshaltung, die in Israels Nachwuchs weit verbreitet ist, sorgt die Israelische Verteidigungs-Armee (IDF). Bennett hat seine Militärzeit als Major beendet.

Israel ist im andauernden Krieg um die Ukraine Partei. Russland spielt eine nicht unerhebliche Rolle im syrischen Bürgerkrieg, der über ein Jahrzehnt lodert. Putin hilft dem Diktator in Damaskus Bashir Al-Assad und hat im Gegenzug einen alten russischen Traum von einem militärischen Stützpunkt an einem warmen Meer verwirklicht. Im Mittelmeerhafen von Latakia liegen mehrere russische Kriegsschiffe mit tausenden von Soldaten vor Anker. Ausserdem unterstützt der Kriegstreiber aus Moskau die Mullahs in Teheran, die seit langem mit Milizen versuchen, eine Ausgangsbasis für ihr Hauptziel aufzubauen: Israel von der Landkarte zu tilgen.

Dagegen hat Jerusalem verständlicher Weise etwas einzuwenden und zerstört mit seiner überlegenen Luftwaffe nahezu im Wochenrhythmus iranische Stellungen bevor sie sich stabil einnisten. Möglich ist die israelische Lufthoheit über Syrien aber nur in Absprache mit Putin, der Stärke seinerseits respektiert. Es geht um nicht weniger als Israels Überleben. In diesem Kräftespiel kennt der Alleinherrscher in Moskau die Fakten. Russland ist flächenmässig über 700-mal grösser als das jüdische Kernland. Aber wenn ein führender Repräsentant aus dem nahöstlichen Winzigland in Moskau anruft besteht immer Bereitschaft zum Gespräch. Das Gleiche gilt für Washington und Peking.

Putin mag ein schräg-abstruses Weltbild von einer „Atommacht Ukraine“ haben, die „entnazifiziert werden muss“, aber Israels eindrucksvolle Entwicklung – wirtschaftlich und militärisch – überzeugen ihn, eine Delegation aus Jerusalem in Moskau zu empfangen. Israel verfügt mit „Iron Dome“ über ein bewährtes, wirkungsvolles Anti-Raketen-System, das – sollten es an die Ukraine oder andere an Russland angrenzende Länder geliefert werden – dem angreifenden Militär aus Moskau grössere Probleme bereiten könnte. Israel ist eine Weltmacht auf dem Cyber-Security-Markt. Der Judenstaat wehrt seit Jahren täglich erfolgreich Millionen von Angriffen auf seine Infrastruktur ab und kann seinerseits den Datenfluss vor allem in die extremistisch muslimisch-arabische Welt rund um Teheran kontrollieren. Früher führte man Krieg zu Wasser, zu Land und in der Luft. Jetzt ist eine vierte Dimension hinzugekommen, die alles überlagert. Nicht ohne Grund fliessen deshalb weltweit 40 Prozent aller Investitionen in den Cyber-Security-Markt in israelische Firmen.

Und auch die Wirtschaftszahlen Israels der letzten Jahre müssen nicht nur Putin beeindrucken. Nominal erwirtschaftet jeder Israeli mit über 40 000 US-Dollar jährlich, fast viermal so viel wie ein Bewohner des rohstoffreichen Russlands. Im Pandemiejahr 2021 beträgt das israelische Wirtschaftswachstum 8,1 Prozent. Davon kann nicht nur der Despot im Kreml träumen.

Und seit kurzem redet Israel auch auf dem weltweit umkämpften Energiemarkt mit. Mit seinen Off-Shore-Gasvorkommen produziert es täglich ausbaufähige 1,7 Milliarden Kubik-Fuss Gas, das 70 Prozent des eigenen Energie-Bedarfs deckt und zusätzlich Ägypten und Jordanien zumindest teilweise versorgt. Die Menge entspricht ungefähr einem Drittel der Nordstream-1-Pipeline, die aus Russland über die Ostsee in Deutschland ankommt. Die bereits unterzeichneten Gas-Explorations-Verträge mit Zypern und Griechenland machen die östliche Mittelmeer-Region zu einem Big-Player in der nahen Zukunft. Niemand weiss das besser als Putin, der seine Konkurrenten auf allen Ebenen stets im Auge haben muss.

Es wird lange dauern bis zuverlässige Details aus dem Treffen Putin-Bennett vom vergangenen Samstag bekannt werden. Aber der Gast aus Jerusalem wird seinem Gastgeber in Moskau sicherlich auf die Gefahr aus Teheran für Israel und die ganze Welt angesprochen haben. Derzeit wird ein neues Abkommen mit dem Iran verhandelt, das die Nuklear-Fähigkeit der Mullahs verhindern soll. Am Verhandlungstisch mit Teheran sitzt auch ein Vertreter Moskaus, der von Bennett erneut nachdrücklich erfahren hat, dass kein Vertragsergebnis für Israel bindend ist. Jerusalem wird einen nuklearfähigen Iran niemals zulassen. Eine Sprache, die Putin wie immer er eingeschätzt werden mag, versteht.

Ukrainische Flüchtlinge bei der Ankunft am internationalen Flughafen Ben Gurion am 6. März 2022. Foto: Gideon Markowicz/TPS

Apropos Sprache: in Israel leben rund zwei Millionen russische Muttersprachler, die Putins Einflussbereich, sein Denkschema und die Kultur der Region gut kennen. Einer von ihnen, Bauminister Seev Elkin, gebürtiger Ukrainer, begleitete Bennett bei seiner heiklen Friedensmission. In den Medien wird er lapidar als „Übersetzer“ bezeichnet. Tatsächlich dürfte er – wenn das möglich ist – der beste Putin-Versteher sein. Er hat bereits als Netanyahu-Vertrauter an zahlreichen Treffen in Moskau in der letzten Dekade teilgenommen und bringt auch die richtigen Emotionen ein. Er ist in der umkämpften ost-ukrainischen Millionen-Stadt Charkov geboren, ein Bruder mit Familie lebt dort noch heute.

Das Treffen fand an einem Samstag statt, dem jüdischen Shabbat. Für einen Kippa-Träger wie Bennett ein von Gott gewollter arbeitsfreier Tag, an dem laut jüdischer Bibel nichts Kreatives geleistet werden darf. Einzige Ausnahme: wenn Menschenleben gerettet werden soll und muss. Ob der Shabbat-Flug nach Moskau erfolgreich war, wird sich erweisen. Ein indirektes Ergebnis hat es bereits gebracht:  Die ersten 2000 jüdischen Flüchtlinge aus der Ukraine sind sicher in Israel gelandet. Bis Ende des Monats werden weitere 13 000 erwartet. In Israel ist die Aufnahme jüdischer Ukrainer und auch Russen nicht nur eine soziale Frage. Sie haben nach geltendem Recht Anspruch auf Staatsbürgerschaft.

Über Godel Rosenberg

Journalist, Autor, High­techunternehmer. Godel Rosenberg war Pressesprecher der CSU und von Franz Josef Strauß, Fernsehjournalist, TV­-Moderator und Repräsen­tant des Daimler­-Konzerns in Israel. Von 2009 bis 2018 war Godel Rosenberg der Repräsentant Bayerns in Israel.

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