Was Israel aus dem Krieg in der Ukraine lernen kann

Die Israelis sind sich bewusst, dass keine externe Macht, nicht einmal die USA, das Überleben im Angesicht einer mächtigen Bedrohung garantieren kann.

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Symbolbild, IDF Soldatin. Foto IMAGO / ZUMA Wire
Symbolbild, IDF Soldatin. Foto IMAGO / ZUMA Wire
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Die erste Lektion, die wir aus dem Einmarsch Russlands in die Ukraine lernen (oder neu lernen) müssen, ist, dass das Fehlen von Abschreckung für jede Nation fatal sein kann. Der Mut und die Entschlossenheit der ukrainischen Führung und der Bürger der Ukraine sind zwar beeindruckend, haben aber Putins Angriff nicht verhindern können. Im Westen – vor allem in den USA und der NATO – war das Fehlen eines glaubwürdigen Abschreckungsmittels, das Putin hätte abschrecken können, trotz guter Absichten und starker Worte der Unterstützung klar erkennbar, auch für den Kreml.

Die Abschreckung eines mächtigen und entschlossenen Gegners ist von Natur aus schwierig und unsicher. Während des Kalten Krieges zerbrachen sich die Strategen den Kopf darüber, wie man Moskau am besten daran hindern könnte, die amerikanische Macht und das NATO-Bündnis herauszufordern und zu schwächen, einschliesslich der MAD-Doktrin (Mutual Assured Destruction, Gleichgewicht des Schreckens). Doch als der sowjetische Staat zusammenbrach und das Ende seiner Geschichte verkündet wurde, geriet die Abschreckung weitgehend in Vergessenheit, so dass Putin seine Streitkräfte ungehindert aufstellen konnte. Als die Vereinigten Staaten und die NATO auf die Bedrohung aufmerksam wurden, hatte Russland bereits die volle Kontrolle.

Für Israel sind die Ereignisse in der Ukraine ein wichtiger Realitäts-Check. Die Israelis sind sich bewusst, dass man sich auf keine externe Macht, nicht einmal auf die Vereinigten Staaten, verlassen kann, um das Überleben angesichts einer mächtigen Bedrohung zu garantieren. Nachdem David Ben-Gurion 1948 den kombinierten arabischen Angriff unter hohen Kosten zurückgeschlagen hatte, erkannte er, dass der winzige jüdische Staat in der Lage sein musste, sich gegen künftige Bedrohungen zu verteidigen, was 1967 unter Beweis gestellt wurde. Später trug Amerika als Verbündeter zur israelischen Sicherheit bei, ersetzte aber nicht die zentrale Bedeutung der Eigenständigkeit.

Aus diesem Grund haben Ben-Gurion, seine Nachfolger und der israelische Sicherheitsapparat 74 Jahre lang der strategischen Abschreckung Vorrang eingeräumt. Das beste Mittel zur Verhinderung eines Angriffs besteht darin, die Feinde davon zu überzeugen, dass die Reaktion schnell und unerträglich sein wird und dass sie, wenn sie Israels Überleben bedrohen, ihre eigene Existenz aufs Spiel setzen würden.

In den letzten Jahren haben sich jedoch Schwächen in der Abschreckung gezeigt, die Anlass zur Besorgnis geben und eine Verbesserung und Verstärkung erfordern. Insbesondere angesichts der anhaltenden Bedrohungen durch das iranische Regime und dessen Stellvertreter sowie gegen die Hamas in Gaza sind die israelischen Reaktionen unzureichend. Angesichts der Drohungen, „das zionistische Gebilde“ von der Landkarte zu tilgen, haben eine Reihe gezielter und anonymer Angriffe, die dem Mossad zugeschrieben werden, die Bemühungen Teherans um den Erwerb von Atomwaffen nicht gestoppt. Und im Libanon hat die Hisbollah unter den Augen der Vereinten Nationen und der so genannten internationalen Gemeinschaft Zehntausende von Raketen und Flugkörpern erworben und stationiert, die in zivilen Gebieten gelagert werden und auf die israelische Bevölkerung gerichtet sind. Diese Streitmacht ist der verlängerte Arm der iranischen Bedrohung.

Vor sechzehn Jahren, im Jahr 2006, leisteten die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) gute Arbeit bei der Wiederherstellung der Abschreckung, nachdem die Hisbollah eine Reihe von Soldaten getötet und zwei Leichen entführt hatte, um Lösegeld zu fordern. Die IDF startete eine als „unverhältnismässig“ bezeichnete Reaktion, die fünf Wochen lang andauerte und intensive Bombardierungen der Hisbollah-Hochburg im Untergrund von Beirut einschloss, aber ohne einen entscheidenden Knockout endete. Seitdem hat Israel der Terrororganisation erlaubt, ihr Arsenal an tödlichen Raketen wieder aufzubauen und zu erweitern, was zu einer instabilen Situation gegenseitiger Abschreckung geführt hat, die von den Führern des Iran und der Hisbollah jederzeit aufgehoben werden könnte. Und wenn der Iran die nukleare Ziellinie überschreitet, wird es für Israel noch schwieriger sein, diese tödliche Bedrohung zu neutralisieren.

Auch im Gazastreifen hat Israel der Hamas erlaubt, Tausende von Raketen herzustellen und einzuschmuggeln. In den Kriegen von 2008/9, 2014 und 2021 wurde die Terrorinfrastruktur erheblich beschädigt, wobei versucht wurde, die Tötung von zivilen „menschlichen Schutzschilden“ zu vermeiden, die zum Schutz dieser Waffen und ihrer Betreiber eingesetzt werden. Doch die Terrorgruppen produzierten schnell mehr Raketen und reparierten die kilometerlangen Tunnel, durch die sie transportiert und kontrolliert werden.

Ein wichtiger Grund dafür, dass Israel nicht in der Lage war, die Hisbollah und die Hamas abzuschrecken oder sie daran zu hindern, sich schnell zu erholen, ist die Angst vor internationaler Verurteilung. In den Vereinten Nationen und über einflussreiche NGOs (Nichtregierungsorganisationen), die behaupten sich für Menschenrechte und internationales Recht einsetzen, wurden Israelis boykottiert, als „Kriegsverbrecher“ bezeichnet und mit Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs bedroht. Während der Gaza-Kriege beauftragte die IDF Anwälte mit der Überwachung von Kampfhandlungen und schränkte Gegenangriffe ein, in der Hoffnung, die Anklage des Internationalen Strafgerichtshofs dazu zu bewegen, politisch motivierte Aktionen fallen zu lassen. Diese Bemühungen schlugen fehl und schwächten vor allem auch die Abschreckung.

Beide Situationen zeigen, wie schwierig sich die Abschreckung von Terrororganisationen im Gegensatz zu etablierten Staaten mit Institutionen und Vermögenswerten gestaltet, welche die Führung nicht verlieren möchte. Dies macht die Abschreckung jedoch nicht weniger notwendig. Verurteilungen durch die Vereinten Nationen, Boykotte und Pseudo-Untersuchungen sind zwar psychologisch schmerzhaft, aber weitaus weniger kostspielig als Tod und Zerstörung durch kriegerische Auseinandersetzungen. In dieser Hinsicht sind die Ereignisse in der Ukraine ein wichtiger Weckruf.

ger

Über Gerald Steinberg

Gerald M. Steinberg ist ein israelischer Politologe und Hochschullehrer. Er ist Lehrstuhlinhaber für Politikwissenschaften an der Bar-Ilan-Universität sowie Gründer der Organisation NGO Monitor.

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3 Kommentare

  1. Der Zentralrat der Juden in Deutschland nennt unter Berufung auf Statistiken des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge die Zahl von rund 200.000 Menschen jüdischer Abstammung, die seit 1989 aus der Ex-Sowjetunion nach Deutschland eingewandert sind.
    Das ist Richtig:
    Von 1989 0,9% Juden in Ukraine
    Ab 2001 0,2% Juden in Ukraine warum?
    Lesen Sie bitte nach über Bandera bitte ganz lesen Danke.
    Aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Stepan_Bandera
    Lesen Sie bitte Lemberg
    Kreishauptmann und damit oberster ziviler Herrscher in Lemberg war anschließend der Krefelder Joachim Freiherr von der Leyen. Fast alle jüdischen Lemberger wurden in der Folgezeit ermordet, unter anderem im von den Nationalsozialisten eingerichteten Ghetto Lemberg, im städtischen Zwangsarbeitslager Lemberg-Janowska und im Vernichtungslager Belzec.[19] Nahezu alle Synagogen wurden zerstört. Lediglich zwei Gebäude existieren noch heute. Insgesamt wurden in Lemberg und der Lemberger Umgebung während der Zeit des Nationalsozialismus ca. 540.000 Menschen in Konzentrations- und Gefangenenlagern umgebracht, davon 400.000 Juden, darunter etwa 130.000 Lemberger. Die restlichen 140.000 Opfer waren russische Gefangene.
    Aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Lwiw
    Ich danke Putin und hoffe dass die Entnazifizierung rasch und gründlich durchgeführt wird.

  2. Die Situation beider Länder ist doch grundlegend verschieden. Die Regierung der Ukraine hat das Abkommen von Minsk nicht geachtet, es gab keine versprochene Autonomie im Donbass. Statt dessen gab es Krieg gegen Russen im donbass. Dieser Krieg wurde mit dem ohne Frage völkerrechtswidrig Einmarsch Russland ausgeweitet. Wer den Preis für Russland hoch setzt, erhöht ihn für die Bevölkerung.
    Israel dagegen hat die Autonomie seiner arabischen Bevölkerung immer akzeptiert obwohl sowohl vom Gaza streifen als auch Westjordanland Terrorangriffe ausgehen.
    Seit 2004 sind rechtsextreme Kräfte in der Ukraine erstarkt, die Stefan Banderas verehren. Banderas war ein Faschist, der in der Tradition von Russenhass und Judenhass steht.
    Putin hat das Recht gebrochen. Genau wie die Nato das auch unzählige Male getan hat. Und die Bundesrepublik. Sonst wäre die Bundesrepublik nicht der wichtigste Handelspartner des Terrorregime Iran.

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