Der Tages-Anzeiger und die Juden

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Medienhaus Tamedia / Tages Anzeiger. Foto IMAGO / Geisser
Medienhaus Tamedia / Tages Anzeiger. Foto IMAGO / Geisser
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Seit Jahren ist der Tages-Anzeiger negativ gegenüber Israel eingestellt. Das ist das Recht einer freien Presse. Allerdings scheint mir, dass dieses Blatt seit der Zusammenarbeit mit der Süddeutschen Zeitung zunehmend die Kontrolle über die Berichterstattung aus dem Ausland im Generellen und aus Israel im Speziellen verliert.

Ein Kommentar von Alfred Heer

So beschreibt der Korrespondent Peter Münch die dunklen Seiten eines bekannten israelischen Kinderbuchautors. Dieser Autor ist orthodoxen Glaubens und soll Frauen sexuell genötigt haben. Eine Untersuchung wurde durch die zuständigen Rabbiner eingeleitet, und der beschuldigte Autor hat sich im Lauf dieser Untersuchung das Leben genommen. Es handelt sich um eine tragische Geschichte, welche die Menschen in Israel bewegt. Der Journalist Peter Münch wärmt diese Geschichte auf, die in der Tageszeitung Haaretz mehrfach beschrieben wurde, und hetzt anschliessend gegen die angebliche Parallelwelt der Orthodoxie in Israel. Nun muss man sich fragen, wen dies in der Schweiz eigentlich interessiert.

Einfluss der Deutschen

Würde die Jerusalem Post eine Geschichte über einen mutmasslichen Missbrauch eines reformierten oder katholischen Schriftstellers in der Schweiz bringen? Insbesondere dann, wenn dieser nicht unter den Teppich gekehrt, sondern untersucht wird? Hätten wir etwas gehört, wenn sich die Sache in einer muslimischen Gemeinde in Nigeria zugetragen hätte? Die Antwort auf diese Frage gab mir Chefredaktor Arthur Rutishauser vom Tages-Anzeiger wie folgt: «Haaretz ist ein israelisches Blatt, das darf man doch schon noch zitieren.» Nur wurde nicht bloss zitiert, sondern aufgrund eines Einzelfalls gegen eine Minderheit polemisiert.

Thomas Kirchner, auch Journalist der Süddeutschen Zeitung, veröffentlichte letzte Woche den Artikel «Jüdischer Notar soll Anne Frank verraten haben». Man beschuldigt einen längst verstorbenen Mann, der sich nicht mehr zur Wehr setzen kann, dieses Verrats. Immerhin wurde im Tages-Anzeiger eine Replik auf diesen ungeheuerlichen Beitrag zugelassen, indem der Präsident des Anne-Frank-Fonds sowie Historiker ihre fundierte Meinung dazu äussern konnten. Doch wer Artikel wie jenen von Thomas Kirchner zulässt, handelt verantwortungslos, verleumderisch, bösartig und perfid.

Beim Tages-Anzeiger hat man aber offensichtlich auch Mühe, wenn in Zürich eine bürgerliche Politikerin jüdischen Glaubens ist. Die FDP-Stadtratskandidatin Sonja Rueff-Frenkel ist eine langjährige, bewährte Politikerin von enormer Schaffenskraft. Dazu ist sie als Juristin und Rechtsanwältin auch beruflich erfolgreich. Sie wäre ein Gewinn für die Zürcher Stadtregierung. Gerne und mit Überzeugung gebe ich bekannt, dass ich in ihrem Unterstützungskomitee bin.

Was sich nun der Tages-Anzeiger im Porträt und in der anschliessenden Befragung leistet, ist skandalös. Sonja Rueff-Frenkel wird im gedruckten Artikel als Sparkassen-Kundenberaterin dargestellt, bei der man «einen vernünftigen Zins erhält». Im Online-Beitrag wurde diese Passage gestrichen. Nichtsdestotrotz geht es dann weiter mit der für Stadtratswahlen offenbar zentralen Frage, wieso Frauen, die menstruieren, alttestamentarisch als unrein gelten. Wie tickt eigentlich das Hirn eines solchen Fragestellers? Was genau hat das Thema mit den Qualifikationen für ein Stadtratsamt zu tun? Würde der Fragesteller einen katholischen Kandidaten nach dem Sinn des Zölibats befragen? Oder die Frage aufwerfen, wieso in seiner Kirche Frauen kein Priesteramt ausüben können?

«Fremdenfeindliche Partei»

Als SVP-Gemeinderat der Stadt Zürich habe ich mich in den neunziger Jahren erfolgreich dafür eingesetzt, dass das Männerbad Schanzengraben und das Frauenbad Enge nicht geschlossen wurden, weil mich orthodoxe Juden darum gebeten hatten. Als Nicht-Jude wurde ich von Journalisten zwar nicht mit alttestamentarischen Fragen konfrontiert. Vielmehr hörte ich die Platte, wieso ich als «Mitglied einer fremdenfeindlichen Partei» eine Minderheit unterstütze. Damit entlarvten sich die Fragesteller selbst: Sie bezeichneten Menschen, die seit Jahrzehnten hier leben, meistens das Schweizer Bürgerrecht besitzen und meine unmittelbaren Nachbarn waren, als «Fremde».

Jetzt also macht der linke Tages-Anzeiger die Religionszugehörigkeit einer Stadtratskandidatin zum Hauptthema, selbstverständlich in der Hoffnung, dass ihr dies schaden könnte. Ich unterstütze Sonja Rueff-Frenkel wegen ihrer Qualifikationen, ihres Engagements und ihres Willens, Positives für alle Stadtbewohner zu erreichen.

Vielleicht sollte sich der Tages-Anzeiger gelegentlich ein paar Gedanken dazu machen, was seine deutschen Korrespondenten und sein Schweizer Lokaljournalist so zusammenschreiben. Eine gute Gelegenheit dazu bietet der Internationale Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust am 27. Januar.

Alfred Heer ist SVP-Nationalrat und Stiftungsrat der Audiatur-Stiftung. Zuerst erschienen in der Weltwoche vom 27. Januar 2022.

2 Kommentare

  1. Vielleicht ist man nur wütend, dass man nicht alle erwischt hat oder man kann sich von qualvoller Schuld entlasten, wenn man Israel dämonisieren und delegetimieren kann.
    In den späten 70er bzw. frühen 80er jahren war ich mit meinem Vater in Wolfenbüttel, und bei einem Besuch brach ein etwa 40jähriger deutscher Nichtjude in Tränen wegen des Holocausts aus.
    Als Kind habe ich gedacht und denke immer noch, “was für ein unsäglicher sich selbst bemitleidender Jammerlappen”.

  2. Shalom,wie ich schon einige Male geschrieben habe hier,ist die Schweiz noch vor DE antisemitisch eingestellt.Habe dies selber erlebt da ich dort aufwuchs und bis zu meinem Wegzug nach Israel da gelebt habe. Heut lebe ich in Bayern und erlebe hier in DE den Antisemitismus.In DE ist Antisemitismus ein Sport.und eine Krankheit die man nie heilen kann!!! Leider!!! AM ISRAEL CHAI

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