Historiker Wolffsohn gegen Umbenennung von Berliner Strassennamen

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Richard Wagner Platz in Berlin. Foto IMAGO / STPP
Richard Wagner Platz in Berlin. Foto IMAGO / STPP
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In der Debatte um Berliner Strassennamen mit möglichem antisemitischen Bezug hat sich der Historiker Michael Wolffsohn gegen Umbenennungen ausgesprochen. “Wer Strassennamen umbenennt oder Denkmale stürzt, gibt vor, Geschehenes wäre nicht geschehen – und fördert, gewollt oder nicht, das Vergessen”, schreibt er in einem Gastbeitrag in der “Berliner Morgenpost” (Freitag). Das gelte freilich nicht für Strassennamen oder Denkmale, die Verbrechern sowie Mördern gewidmet seien: “Eine Adolf-Hitler- oder Joseph-Goebbels-Strasse, eine Stalin-Allee, Mao-Promenade oder ein Pol-Pot-Platz sind in einem den Menschenrechten verpflichteten Staat absolut tabu.”

Wolffsohn plädierte für Aufklärung und Information. Unverzichtbar wären aus seiner Sicht an Strassenschildern und Denkmalen kleine, angefügte Tafeln, die aber mehr Informationen beinhalten sollten als die bisherigen – sofern sie überhaupt vorhanden seien in Berlin und anderswo. Wo nötig und möglich sollten die Licht- und Schattenseiten der jeweiligen Personen kurz benannt werden, ebenso der Zeitpunkt der Benennung. “Der wäre aufschlussreich, weil auf diese Weise einiges über den jeweiligen Zeitgeist erkennbar würde. In aller Kürze entstände ein realistisches Geschichtsbild”, so der Historiker.

Zugleich kritisierte er: “Die ‘Bilderstürmer’ unserer Gegenwart orientieren sich am idealen und nicht am realen Menschen.” Wer sich mit den Schwächen und Fehlern auseinandersetze, habe die Chance, diese oder vergleichbare zu vermeiden. “Wer sie jedoch tabuisiert oder filtriert, wird ihnen eher anheimfallen: durch Nichtwissen, das aufs zuvor verordnete Vergessen zurückzuführen wäre.”

Eine im vergangenen Dezember veröffentlichte Studie im Auftrag des Berliner Antisemitismusbeauftragten Samuel Salzborn listet 290 Strassen- und Platznamen in der Hauptstadt auf, bei denen sich antisemitische Bezüge feststellen liessen, darunter die Martin-Luther-Strasse, die Richard-Wagner-Strasse oder der Kaiserdamm. Das Gutachten empfiehlt in etwa 40 Fällen eine Umbenennung.

Wolffsohn erklärte, auch diejenigen Berliner, die mit dieser Liste nicht einverstanden seien, sollten dem Antisemitismusbeauftragten dafür dankbar sein: “Er hat eine notwendige Diskussion ausgelöst. Sie führt bei manchen hoffentlich zu mehr Wissen als Meinen.”

KNA/kws/chs/lwi

1 Kommentar

  1. Professor Wolffsohn hat recht. Von 9950 öffentlichen berliner Plätzen oder Straßen sind mindestens 8000 „umbennungswürdig“, auch Karl Marx und Kurt Tucholsky. Sogar die meisten Widerstandskämpfer gegen die NS-Diktatur haben dann von Straßenschildern zu verschwinden. Die Beliebigkeit der Kriterien, die laut dem Leipziger Felix Sssmannshausen „eine breite zivilgesellschaftliche Diskussion“ bieten soll, ist skuril. Es werden am Ende kaum
    „reinen“ Namen mehr übrig bleiben, die den öffentlichen Raum schmücken könnten.

    Hinter all dem Bemühen, die Schablone deutscher politischer Korrektheit des 21. Jahrhunderts auf Persönlichkeiten vorvergangener Jahrhunderte anzuwenden, steckt im Kern Napoleonischer Ehrgeiz, das Vergangene abzuspülen, so zu tun, als habe es Martin Luther oder Richard Wagner nie gegeben. Köstlicherweise hat eine ähnliche Debatte vor einem Jahr entblößt, wie Eiferer in ihre eigene Falle tappen: Glinka- statt Mohrenstraße löste den Husten neuer kollektiver Empörung aus.

    Es stimmt, dass Straßennamen die Kultur zur Zeit der Namensgebung widerspiegeln. Nach Hindenburg würde heute kein Damm mehr benannt werden. Ihn jetzt indes einfach umzubenennen, ist geschichtslos und billig.

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