In seiner philosophischen Schrift Minima Moralia umriss Theodor W. Adorno den Antisemitismus einst als „Gerücht über die Juden“. Es ist „das laute Geschrei über vermeintliche Untaten von Juden“, das sich dabei „einer genaueren Prüfung entzieht, weil sich das Gerücht ja gerade dadurch bestimmt, dass es Ausweichen und Umwege ermöglicht“, wie es die Psychoanalytik-Professorin Christine Kirchhoff bemerkt. Eine besondere Ausprägung hiervon ist der Antizionismus, also die israelbezogene Form des Antisemitismus, die sich Adornos Begriffsbestimmung folgend so als „Gerücht über Israel“ erfassen liesse. Das Schauermärchen über „vermeintliche Untaten“ Israels.
Ist die Erzählung einer „jüdischen Weltverschwörung“ als eben solch ein „Gerücht über die Juden“ eines der Kennzeichen des Antisemitismus im Allgemeinen, verfeinert der Antizionismus dies zum Narrativ einer israelischen Konspiration. In diesem Gerücht unterstützt, fördert und nutzt der Staat Israel ihm willfährig zugeneigte Netzwerke. Dass diese Vorstellung einer pro-israelischen Verschwörung nicht abstrakt bleibt, zeigte unlängst ein beim konservativen Onlinemagazin „Tichys Einblick“ erschienener Auszug aus einem im Oktober 2021 erschienen Buch von Eva C. Schweitzer.
Die ehemalige taz- und Tagesspiegel-Redakteurin könnte so manchem noch aus einer Posse aus dem Jahr 2000 in Erinnerung sein, in der sie dem vielfach kritisierten Buch „Die Holocaust-Industrie“ von Norman Finkelstein attestierte, dass es in den USA auf eine „Mauer des Schweigens“ stossen würde, weil „viele US-Medien […] jüdische Chefredakteure oder Geschäftsführer haben“; unerwähnt liess Schweitzer dabei pikanterweise ihre Beteiligung an der Entstehung von Finkelsteins Buch, die dieser in seinen „Acknowledgements“ freilich für die Nachwelt dokumentierte.
In ihrem aktuellen Werk beschwört Schweitzer nun eine „unheimliche Allianz zwischen Neurechten, woken Antideutschen und amerikanischen Neokonservativen“ herauf, wobei sich die beiden letztgenannten Gruppen in ihrem Vorwort als „Israelverteidiger[] und Irankriegstreiber“ herausschälen. Hiermit befänden sich die Antideutschen allerdings nicht nur „im Einklang mit ihren amerikanischen Vorbildern, den Neokonservativen“, sondern würden darüber hinaus die Regierung Israels damit so kräftig unterstützen, „als habe sich der Mossad im Oberstübchen eingerichtet“, wie der Deutschlandfunk Kultur aus dem Buch weiter zitiert. Beispielsweise würde sich der österreichische Nahost-Thinktank Mena-Watch lesen, „als habe das israelische Aussenministerium Henryk M. Broder engagiert, der von Vladimir Jabotinsky redigiert wird“.
Eingeordnet in eine Phalanx von Blogs am „Kreuzweg von antideutsch und pro-israelisch“ werden in Schweitzers Buch unter Anderem Alex Feuerherdts „Lizas Welt“ und die von Stefan Laurin herausgegebenen „Ruhrbarone“. Justus Wertmüller, Redakteur der ideologiekritischen und israelsolidarischen Zeitschrift Bahamas, sowie der Politikwissenschaftler Matthias Küntzel, in den 1990ern ebenfalls Mitglied der Bahamas-Redaktion, wären als ehemalige Antideutsche mittlerweile gar „im rechten Lager gelandet“. An anderer Stelle wird es unfreiwillig komisch, wenn der ehemalige US-Präsident Donald Trump „ebenfalls antideutsch“ genannt wird. Entspringen die Antideutschen nämlich der politischen Linken Deutschlands wie Österreichs und eben nicht Trumps Partei der US-Republikaner.
Antideutsche kommen aus der politischen Linken und solidarisieren sich mit Israel
So erklärte der Politikwissenschaftler Stephan Grigat im Jahr 2007 in seinem Artikel „Was heisst: antideutsch?“, dass die Geschichte der Antideutschen Ende der 1980er Jahre begann, „als sich kleine Teile der radikalen Linken auf Jean Amèry [einen österreichischen Schriftsteller und NS-Widerstandskämpfer] besannen, der seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 immer wieder betont hat, dass die Linke sich im Kampf gegen Antisemitismus und Antizionismus neu zu definieren habe“. Daher „solidarisiert sich [die antideutsche Kritik] mit Israel aus der Erkenntnis, dass die Welt, so wie sie heute eingerichtet ist, den Antisemitismus immer aufs Neue hervorbringt“, so Grigat.
Wenn Schweitzer Antideutsche als „Deutschlandschlechtfinder“ identifizieren will, hält Grigat dem entgegen, dass „deutsch“ in der antideutschen Ideologiekritik eben nicht mit einem „erblichen Nationalcharakter“ zu erklären sei, sondern vielmehr als Platzhalter für eine bestimmte „polit-ökonomische Konstellation“ fungiert, das heisst für „eine spezifische Form kapitalistischer Vergesellschaftung“, die in Deutschland und Österreich als ein „besonderes Verhältnis von Staat und Gesellschaft […] letztlich zur Shoah geführt hat“. Diese Konstellation wird deswegen „deutsch“ genannt, weil sie sich in Deutschland in der nationalsozialistischen Mordbrennerei erstmals durchgesetzt hat. So könnten heute aber gleichfalls die Mullahs in ihrem Vernichtungsantisemitismus als „deutsch“ subsumiert werden.
Dass nun gerade die Antideutschen Projektionsfläche einer solchen Verschwörungsphantasterei sind, denn nichts anderes ist es, was Schweitzer mit dem „Mossad im Oberstübchen“ reproduziert, klärt Grigat mit einer Aufzählung der Vorwürfe aus der Rezension der Antideutschen auf, die der Leser dieses Artikels im Übrigen immer wieder aus verschiedenen Mündern hören wird: „Rassisten sollen sie sein. Und Bellizisten. Freunde von Bush und Verehrer Sharons. Mal hält man sie für akademische Karrieristen, mal für fiese Polemiker. Die Linken hassen sie, weil sie in ihnen liberal-konservative Konvertiten sehen. Die Rechten mögen sie nicht, weil sie Marxisten seien.“
Hierin fügt sich Schweitzers Werk vorzüglich ein, wenn sie Antideutschen zuschreibt, „im rechten Lager gelandet“ zu sein beziehungsweise die Neokonservativen gleich zu ihren „Vorbildern“ macht und dem schliesslich via der Konstruktion eines „ebenfalls antideutsche[n] Donald Trump“ Nachdruck verleihen will. Ebenso spiegelt sich diese Behauptung einer Verbindung von Antideutschen und Neokonservativen in einer Rezension von Schweitzers Buch wider, in der der Bremer Publizist und Anti-Israel-Aktivist Arn Strohmeyer auf der Website „Der Semit“ notierte, dass die Antideutschen als „aus dem linken politischen Spektrum“ der Trotzkisten kommend heute die „nützliche[n] Idioten des US-Imperialismus“ (ein Zitat aus Schweitzers Buch) und der „lange[] Arm der US-Neokonservativen“ wären, wobei sie sich „den Neocons an[dienen]“ und „die Ideenwelt dieser abgefallenen Trotzkisten, Kalten Krieger und Krypto-Zionisten zur eigenen Ersatzreligion“ machen würden.
Antideutsche und Neokonservative als abgefallene Trotzkisten?
Diese Zuordnung zum Trotzkismus ist wenig überraschend. Denn den Neokonservativen ist wiederholt unterstellt worden, ob nun zu Zeiten der Reagan Administration oder ebenso in der Regierungszeit von George W. Bush, dass ihre Politik trotzkistische Züge trage, da sowohl bei Reagan als auch bei Bush ehemalige Trotzkisten massgeblich die Aussenpolitik bestimmt haben sollen. Arn Strohmeyer nennt die Neokonservativen daher wohl „abgefallene[] Trotzkisten“. Der ehemalige Trotzkist Robert Misik konstatierte 2003 in der taz, dass „ein guter Schuss Trotzkistenblut in den Adern der Neocons, jener neokonservativen Ideologen fliesst“ und dabei „die US-Army, gewissermassen der bewaffnete Arm der demokratischen Revolution“ wäre.
Inwieweit Neokonservative die unerbittliche Totalität der revolutionären Programmatik Trotzkis eines „endgültigen Siege[s] der neuen Gesellschaft auf unserem ganzen Planeten“ aus seinem Werk „Die permanente Revolution“ von 1929 reproduzieren, wenn beispielsweise George W. Bush in seiner Antrittsrede zu seiner zweiten Amtszeit erklärte, es sei „die Politik der Vereinigten Staaten, demokratische Bewegungen und Institutionen in jedem Land und jeder Kultur zu suchen ihre Entwicklung zu unterstützen, mit dem Endziel, die Tyrannei in der Welt zu beenden“, sei einmal dahingestellt.
Was Schweitzer wie auch Strohmeyer indes vollständig zu ignorieren scheinen: So einig, wie sie diesen trotzkistisch geschwängerten Komplex von Neokonservativen und ihren antideutschen „Vasallen“ darzustellen versuchen, kann er in Wirklichkeit nicht sein. Denn wenn Trotzkisten für eines bekannt sind, ist es ihre Vorliebe zur unversöhnlichen Spaltung, wie nur zu deutlich die Mannigfaltigkeit der Vierten Internationalen beziehungsweise ihrer Nachfolgeorganisationen aufzeigt. Nicht umsonst hält sich ein bekanntes Bonmot über Trotzkisten: „Treffen sich zwei Trotzkisten. Sagt der eine zum anderen: Lass uns eine neue Vierte Internationale gründen.“
Und in der Tat. Ob nun die Rivalität der antideutschen Leitmedien Jungle World und Bahamas (so beispielsweise hier oder hier nachzulesen), das Geraune von Links und Rechtsantideutschen, was diese publizistische Konkurrenz manifestiert, weiter die Differenzierung von antideutsch nach ideologiekritisch, wie sie die Bahamas für sich einnimmt, oder schliesslich der Unvereinbarkeitsbeschluss der Jungle World gegenüber der gern neokonservativ geadelten „Achse des Guten“, für die nebenbei bemerkt dann auch noch Antideutsche aus dem mit der Jungle World über Kreuz liegenden Bahamas-Umfeld schreiben: Wenn doch eines diese behauptete „unheimliche Allianz“ eint, ist es ihre Uneinigkeit, unter- wie miteinander.
Das alles geht soweit, dass sich selbst aus dem als „rechtsantideutsch“ etikettierten Kosmos der Bahamas-Redaktion wiederum vermeintlich weiter nach „rechts“ Publizisten wie Thomas Maul oder Felix Perrefort abspalten. Folgt man also der Lesart, dass es sich bei Antideutschen und Neokonservativen um abgefallene Trotzkisten handelt, bleibt dieses konsensuale Bündnis für Israel auch hier imaginär.
Und dass Schweitzer sich nun ausgerechnet „Tichys Einblick“ als Ort für die Veröffentlichung ihres Buchauszugs aussuchte, bleibt bei genauerer Betrachtung ebenso nicht ohne Amüsement. Denn dessen Herausgeber Roland Tichy ist nicht nur als ein ausdrücklicher Israelfreund bekannt, sondern hat früher zudem für die „Achse des Guten“ geschrieben, die indirekt in Schweitzers Buchauszug als Publikationsort von Neokonservativen und Antideutschen diesem pro-israelischen Netzwerk zugeordnet wird. T-Online behauptete vor drei Jahren in einer Analyse sogar, dass Tichy ein „Vertreter des Neo-Konservatismus“ sei. So liesse sich sogar fragen, ob Tichy und sein Onlinemagazin nicht selbst teil dieser obskuren Verschwörung sind, die Schweitzer menetekelt.
Sozialwissenschaftler sieht antideutsche „Querfront“ mit „Pro-Israel-Ideologie“
Allerdings ist diese Imagination eines in Deutschland konspirierenden antideutschen Netzwerks tatsächlich nicht neu. Vor zwei Jahren veröffentlichte der Sozialwissenschaftler Gerhard Hanloser sein Buch „Die andere Querfront – Skizzen des ‚antideutschen’Betrugs“, in dem er die Existenz einer solchen Querfront mit „Pro-Israel-Ideologie“ behauptete, die „Scharon und Netanjahu“ sowie „Bush und Trump“ beklatsche und eine „Orientierung nach oben“ habe, weswegen Leitmedien über sie den „höfliche[n] Mantel des Schweigens verhängt[en]“. Dabei bestünde diese Querfront „aus Linkenhassern und im Zweifelsfall antisozialistischen Extremismusforschern, schuldbeladenen Maoisten und ewigen Antikommunistinnen, NATO-Apologetinnen, Atlantizisten und Amerikafreundinnen ohne Kenntnis des ‚anderen Amerika’“.
Wenig verwunderlich, dass dieses Werk später von selbsternannten „Israel-Kritikern“, wie wiederum von besagtem Strohmeyer in der „Neuen Rheinischen Zeitung“, wohlwollend als „ein wichtiges Buch“ rezensiert wurde. So würde Hanloser aufzeigen, wie „diese marginale Bewegung ihre nachhaltigen giftigen Spuren in der deutschen Gesellschaft hinterlasse“, wobei „[i]hr völlig undifferenzierter und denunziatorischer Antisemitismus-Begriff […] regierungsoffiziell, in den Parteien und vielen Institutionen und Organisationen sowie den deutschen Leitmedien geteilt“ würde. Das „Palästina-Journal“ des BDS-nahen Vereins Deutsch-Palästinensische Gesellschaft e.V. (kurz DPG) konstatierte in seiner Buchbesprechung, dass mit den Antideutschen „längst ein Teil der politischen Linken stramm nach Rechtsaussen marschiert ist und einen Schulterschluss mit der neo-liberalen, pro-israelischen und islamfeindlichen Neuen Rechten geschlossen hat“.
Da ist sie wieder, die gemutmasste allumfassende Macht des antideutschen Netzwerks. Die „Neue Rheinische Zeitung“ ist allerdings für derlei Theorien berüchtigt. Ursprünglich als von Karl Marx in den Jahren 1848 bis 1849 herausgegebene kommunistische Tageszeitung wirkt sie seit ihrer reinen Online-Neugründung im Jahr 2005 als „Onlinemagazin, das in seiner Mischung aus veritablem Antisemitismus, verstaubtem Antikapitalismus und Verschwörungstheorien Seinesgleichen sucht“, wie es das jüdische Online-Magazin haGalil im Jahr 2014 analysierte. Und auch die DPG ist keine Unbekannte. Wird sie doch vom Simon Wiesenthal Center in dessen Liste der zehn weltweit schlimmsten antisemitischen Vorfälle des Jahres 2020 aufgeführt. Das Jerusalem Center for Public Affairs beschrieb die DPG in einem Artikel über die Wurzeln von BDS in Deutschland darüber hinaus als linksextrem, islamistisch sowie der Muslimbruderschaft zugehörig.
Behauptung eines Pro-Israel-Netzwerks von Antideutschen und Neokonservativen ein alter Hut
Dass die Antideutschen sich „im Einklang mit ihren amerikanischen Vorbildern, den Neokonservativen“, befänden, wie Schweitzer anmahnt beziehungsweise jene in ihrem Marsch „nach Rechtsaussen“ einen „Schulterschluss“ mit diesen suchten, wie nun die DPG behauptet, ist gleichermassen keine neue Erfindung. So wollte im Jahr 2003 der marxistische Philosoph und Publizist Robert Kurz (1943 – 2012) in seinem Buch „Die antideutsche Ideologie“ eine „negative Querfront-Ideologie der Antideutschen“ erkannt haben, in deren „Welt [es] überhaupt nur noch Nazis und Antisemiten mit den‚ vermittlungslosen’ Ausnahmen der Antideutschen, der neokonservativen Hardliner-Administration der USA und der israelischen Rechten“ gäbe.
Der zu Beginn zitierte Ex-Trotzkist Robert Misik griff im Jahr 2006 in der taz diese vermeintliche pro-israelische Verbindung auf, indem er hierin „die hiesigen Proselyten der amerikanischen „Neokonservativen“, „viele europäische Juden“ und „die alten Rechten, die ihren Antisemitismus früherer Tage gegen die Hochachtung vor den israelischen Militärs vertauschten“, einreihte und ihnen als besonderen Bündnispartner die Antideutschen zuordnete, „diese groteskeste Narrentruppe deutschen Schuldkomplexes, die […] zu einer ebenso krausen wie strammen proamerikanischen, proisraelischen und antimuslimischen Linken geworden sind“.
Im Jahr 2011 sah Volker Schmidt, ein späterer Pressesprecher der Landtagsfraktion der Grünen in Hessen und überdies Autor der antiimperialistischen Tageszeitung „Junge Welt“, (unter seinem Pseudonym Hellmuth Vensky) in der ZEIT die Antideutschen als „Israel-Verehrer auf der rechten Seite“, wobei „[e]ine gewisse Nähe […] zu Publizisten wie der Website des Netzwerks Achse des Guten“ bestünde. Doch nicht nur das. Überdies hätten „[v]iele Exponenten der Antideutschen […] in der Tat Berührungspunkte zu neurechten Gruppen“. Eine Erzählung, die Erdoğans deutscher Propagandasender TRT Deutsch nur zu gerne aufgreift, wenn es dort im Sommer 2020 heisst, dass „Neue Rechte und Antideutsche […] sich also trotz aller Widersprüche ähnlicher [sind], als ihnen lieb ist. Beide Seiten verbreiten zum Teil die gleichen Feindbilder.“
Und ebenfalls im letzten Jahr erschien in der israelischen Tageszeitung Haaretz ein Artikel von Ofri Ilany (hier in einer deutschen Fassung bei „Der Semit“ nachzulesen), in dem solch eine pro-israelische Kooperation gleichsam unterstrichen wurde. So reiche sie angeblich von „antideutschen Kommunisten“, den „Antideutschen“, bis hin zu der „neoliberalen ökonomischen Rechten“ und habe „beträchtlichen Einfluss in der Zivilgesellschaft und in den Redaktionen der wichtigsten Zeitungen in Deutschland“, wie Stefan Frank damals bei Audiatur-Online in seiner hervorragenden Replik aus Ilanys vorgeblicher Analyse zitierte.
Linke Antizionisten imaginieren eine vom Mossad gelenkte Verschwörung
Während Ofri Ilany reklamiert, dass diese „deutschen Verteidiger Israels nicht wirklich an Israel interessiert“ wären, und es bei Strohmeyer in der „Neuen Zeitung“ heisst, dass „[d]ie Antideutschen […] also Israel in seiner Realität gar nicht wahr[nehmen]“ würden, geht Schweitzer in ihrem Buch noch einen Schritt weiter und hinterfragt, inwieweit die antideutsche Kombination einer „Abneigung gegen Deutschland“ mit einer „tiefen Liebe zu Israel“ denn „überhaupt nützlich für Israel sein soll“.
So konstituiert Schweitzer zwar einerseits ein pro-israelisches Netzwerk, stellt dann andererseits infrage, ob dies Israel überhaupt nütze. Als ob Antideutsche und Neokonservative also in ihrem Widerspruch zum deutschen Antizionismus eben diesen stattdessen fördern würden. Was ein bekanntes Stereotyp in abgewandelter Form reproduzierte: Die dem Staat der Juden zugeneigte „unheimliche Allianz“ wäre doch selbst Schuld am israelbezogenen Antisemitismus.
Ebenso ist die Zuschreibung einer solchen Verschwörung, die von Israel vorangetrieben, gefördert sowie zu seinem Vorteil genützt wird – und die von Schweitzer mit dem „Mossad im Oberstübchen“ reproduziert wird –, nicht mehr ganz so taufrisch. Kannte man sie bislang in dieser Tonalität vor allen Dingen überwiegend von antiimperialistischen Linken wie gleichfalls von pro-palästinensischen Gruppierungen, jedoch in Teilen auch aus neurechten Kreisen. So witterte die stalinistisch-maoistische und mit ihren Verbindungen zur palästinensischen Terrorgruppe PFLP als wenigstens antizionistisch zu bezeichnende „Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands“ (kurz MLPD), die in Deutschland überdies vom Verfassungsschutz beobachtet wird, im Jahr 2016 eine vom Mossad gelenkte Konspiration, bei der Antideutsche „von Israel bezahlt“ würden.
Nicht ohne Brisanz für Schweitzer ist, dass eine Broschüre der MLPD aus dem Jahr 2018 interessanterweise mit „‚Antideutsche’ – links blinken, scharf rechts abbiegen“ einen ähnlich klingenden Titel wie ihr Buch „Links blinken, rechts abbiegen“ aufweist. Zufall oder Absicht? Weitere augenscheinliche Gemeinsamkeit zwischen Schweitzers Werk und dem antizionistischen Agitprop der MLPD: Zu einem „systematisch geförderte[][n] Netzwerk zionistischer und ‚antideutscher’ Akteure in Deutschland“ zählten die Hardcore-Stalinisten ebenso den von Schweitzer erwähnten Stefan Laurin, der mit seinem Ruhrbarone „übelste ‚Antisemitismus’-Hetze und antikommunistische Intrigen“ organisiere sowie „Rufmordkampagnen“ initiiere, wie es die MLPD in ihrer Broschüre ausserdem beschwört.
Pro-Palästina-Aktivisten machen deutsche „Wasserträger des Zionismus“ aus
Laut dem Elaborat der MLPD von 2016 agiere „ein festes Netzwerk im Hintergrund, das bis in israelische Staatsdienststellen“ reiche: Von Henryk M. Broder als „Dreh- und Angelpunkt“ über Benjamin Weinthal, den damaligen Europakorrespondenten der Jerusalem Post, bis hin zu „insgesamt 80 ‚israelsolidarische’ Gruppen in Deutschland, von der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe im Bundestag bis hin zur Prozionistischen Linken Frankfurt“. Diese Protagonisten wären dabei „vom israelischen Geheimdienst Mossad unterwandert“ und würden „finanziell vom israelischen Aussenministerium gefüttert“, wobei das Geld „aus Werbekampagnen des Ministeriums stamme“.
Die „Palästinensischen Gemeinde Deutschland – Bonn“ griff im Jahr 2019 dieses Motiv in einem offenen Brief auf, der unter Anderem auch bei der BDS-Gruppe Bonn und der Postille „Unsere Zeit“ der „Deutschen Kommunistischen Partei“ veröffentlicht wurde. Dem nach betreibe Benjamin Weinthal gemeinsam „mit Henry[k] M. Broder […] ein Netzwerk von rechten Unterstützern der israelischen Politik, das von Stefan Laurin und Malca Goldstein-Wolf ergänzt wird“. Goldstein-Wolf ist eine bekannte Anti-BDS-Aktivistin, an der sich bereits „Pink Floyd“-Star und BDS-Freund Roger Waters die Zähne ausgebissen hat, und die unlängst einen Solidaritäts-Schweigemarsch für einen in Hamburg von einem Antisemiten schwer verletzten Juden organisierte.
In einem Artikel des „Palästina-Portals“ hiess es im Jahr 2009, dass „die rechtsextreme israelische Regierung unter Netanyahu […] ein Heer von Desinformanten zusätzlich angeheuert [hat,] die die rassi[s]tisch-zionistische Expansionspolitik im Internet verkaufen sollen“. Dazu gehören: „Broder, Weinthal, Gerster, Feilcke und die gesamte Israellobby“, die mit „dem Zentralrat der Juden, der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) und anderen Wasserträger[n] des Zionismus“ bereitstehen, um als „bezahlte Manipulateure der israelischen Regierung“ in Deutschland „jede abweichende Meinung mit der Antisemitismuskeule niederzuprügeln“. Gegen den oben genannten Feuerherdt wettert das Palästina-Portal schon längere Zeit, nennt ihn einen „Wurmvorsatz von Henryk M. Broder“ und lobt sich selbst dafür Feuerherdt „enttarnt“ zu haben.
Und erst im April 2020 imaginierte das „Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern“ eine Konspiration des israelischen Ministeriums für strategische Angelegenheiten, für die einerseits „Geheimdienstoffiziere von Mossad und Militär“ rekrutiert würden, „um Palästina-Solidaritätsaktivisten und ihr Umfeld zu überwachen und aufzuspüren“, und andererseits „ein Netzwerk pro-israelischer Organisationen in westlichen Ländern“ geschaffen worden sei, bei dem in Deutschland „die Deutsch-Israelische Gesellschaft […] teilweise vom Ministerium für Strategische Angelegenheiten finanziert wird, um Vorträge und öffentliche Veranstaltungen zu verhindern und Palästina-Solidaritätsaktivisten […] anzuschwärzen und zu delegitimieren“. Ziel dieser „Operationen gegen palästinensische Solidaritätsaktivisten“ wäre es, „die andauernde Besatzung [zu] garantieren“.
Höcke-Vordenker wittern eine „Avantgarde des neokonservativ-linksextremen Bündnisses in den Gazetten“
Wie es der Autor dieser Zeilen erst im Juli 2021 hier bei Audiatur-Online in seinem Artikel „Wie halten es Björn Höckes Vordenker mit Israel?“ analysierte, kursieren auch im Umfeld des Höcke-Flügels der AfD solche Konspirationstheorien, mit denen sich Judenhasser von rechts in einer intellektuell verbrämten Form der „Israelkritik“ durch Imagination einer „Israel-Lobby“ demnach „politisch korrekt“ sammeln können. So identifizierte Siegfried Kabisch im Jahr 2016 in der rechtsnationalen Theoriezeitschrift „Sezession“, die Höckes Spiritus Rector Götz Kubitschek herausgibt, „[a]ntideutsche Netzwerke“ in Deutschland, die als „Avantgarde des neokonservativ-linksextremen Bündnisses in den Gazetten“ wirkten. Zur „Eintrittskarte in die transatlantische Riege der Medien, Politik und Lobbybündnisse“ gereichten hierbei „die Paradigmen der Solidarität mit Israel und der Verteidigung des Westens“.
Das im Text aufgespannte Netzwerk reicht von der Bahamas wie der Jungle World über „Journalisten aus dem Hause Axel Springer“ von WELT und BILD bis hin zu „der Broderschen ‚Achse des Guten‘“ sowie der österreichische Initiative „Stop the Bomb“, die „als eine Art Lobbyorganisation für die Belange der politischen Rechten Israels gesehen werden“ müsse und deren eingangs erwähnter wissenschaftlicher Direktor Stephan Grigat zeige, „wieviel antideutsche Theorie noch immer in dem Bündnis steckt“. Neben dem von Eva C. Schweitzer ebenfalls genannten Politikwissenschaftler Matthias Küntzel, „der sich aus einem originären Antideutschen zu einem gefragten ‚Experten‘ für Antisemitismus- und Nahostfragen mauser[te]“, ist wiederum Alex Feuerherdt „ein weiterer Protagonist antideutscher Provenienz mit Vernetzung ins bürgerliche Lager hinein“. Demnach trete Feuerherdt „aus einem radikal antideutschen Blickwinkel“ für „die Verteidigung Israels“ ein und würde „so im bürgerlichen, proamerikanischen Milieu anschlussfähig“.
Die Sezession hat insbesondere die von den Publizisten Henryk M. Broder und Dirk Maxeiner herausgegebene „Achse des Guten“ im Visier. Martin Lichtmesz, einer der führenden rechtsnationalen Theoretiker im deutschsprachigen Raum, greift in seinen „Notizen über Israel und seine Parteigänger“ vom Januar 2020 das Motiv Schweitzers von „im rechten Lager gelandet[en]“ Antideutschen auf, wenn er schreibt, dass „die neokonservative Achse des Guten inzwischen etliche Autoren aus dem ‚antideutschen‘ Spektrum à la Jungle World rekrutiert hat“, mit denen „sich das sogenannte ‚liberal-konservative‘ Spektrum immer mehr dem linken Diffamierungsstil an[nähere]“. Grund dafür wäre „wohl der Israel-Fetisch dieser Leute“. Dem Autor dieser Zeilen schreibt Lichtmesz so beispielsweise zu, „[w]as ‚projüdisch‘ ist, […] anhand einiger dogmatischer, vorwiegend rechtszionistischer und schuldkultgläubiger (sic!) Richtlinien“ zu determinieren. Höcke selbst nennt meine oben referenzierte Analyse über die antizionistischen Auswüchse im Umfeld des rechtsnationalen Flügels der AfD im Geiste seiner Vordenker so auch einen „Denunziantenartikel im Antifa-Stil“.
Antizionistische Mythen über eine jüdische Weltverschwörung
Was sich in alledem zeigt, ist das, was die Internationale Allianz zum Holocaustgedenken in ihrer „Arbeitsdefinition von Antisemitismus“ als „Mythen über eine jüdische Weltverschwörung“ erläutert. Es ist die „[f]alsche, entmenschlichende, dämonisierende oder stereotype Anschuldigungen gegen Jüdinnen und Juden oder die Macht der Jüdinnen und Juden als Kollektiv – insbesondere aber nicht ausschliesslich die Mythen über eine jüdische Weltverschwörung oder über die Kontrolle der Medien, Wirtschaft, Regierung oder anderer gesellschaftlicher Institutionen durch die Jüdinnen und Juden.“ So wird in der Behauptung eines antideutsch-neokonservativen Komplexes, welcher von Israel kontrolliert würde, eben solch ein Konspirationsmythos aufgegriffen.
Es ist mit dieser Arbeitsdefinition von Antisemitismus jedoch nicht nur eine „bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrück[t]“ und „in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen“ richtet, wie die vielfältigen Attacken auf so unterschiedliche Akteure wie die Deutsch-Israelische Gesellschaft, Henryk M. Broder, Benjamin Weinthal, Alex Feuerherdt oder Stefan Laurin ja bereits bezeugen,sondern darüber hinaus ist „auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe“, wie es die deutsche Bundesregierung in ihrer Erweiterung der „Arbeitsdefinition von Antisemitismus“ formuliert.
Henryk M. Broder sprach im Jahr 2008 in einer Rede vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestags davon, dass der „moderne Antisemit“ zwar nicht an die „Protokolle der Weisen von Zion“ glaube, dafür aber über eine „Israel-Lobby“ phantasiere und „dankbar für die Möglichkeit [ist], seine Ressentiments in einer politisch korrekten Form“ des Antizionismus auszuleben. Der kanadische Dichter Essayist David Solway würde diese Ausprägung der Judenfeindlichkeit wohl als Kryptoantisemitismus bezeichnen, der es dem „Judenhasser ermöglicht, der moralischen Rüge im Zeichen einer ,objektiven‘ Kritik an einem Nationalstaat zu entkommen“.
Doch der Literaturwissenschaftler Hans Mayer stellte diesbezüglich klar, dass, „[w]er den ,Zionismus‘ angreift, aber beileibe nichts gegen die ,Juden‘ sagen möchte, macht sich und anderen etwas vor. Der Staat Israel ist ein Judenstaat. Wer ihn zerstören möchte, erklärtermassen oder durch eine Politik, die nichts anderes bewirken kann als solche Vernichtung, betreibt den Judenhass von einst und von jeher.“
Hiermit wird also deutlich, dass Schweitzers Buch sich in Darstellung und Rhetorik den Apologeten des Antizionismus nähert, die links wie rechts in ihrer Konstitution einer antideutschen, pro-israelischen Konspiration mittelbar jene Delegitimierung der Heimstatt jüdischen Lebens kodieren, die doch nur ein Chiffre für die Herabwürdigung jüdischen Lebens an und für sich ist. Es zeigt sich hier ein bekanntes Stereotyp des politischen Antisemitismus, nämlich jenes von im Hintergrund die Strippen ziehenden Juden, welche besagtes antideutsch-neokonservative Netzwerk zu ihrem Vorteil implementiert haben und weidlich nutzen würden.
Auf Deutsch zuerst erschienen bei mena-watch.com
Ermler nennt ja nun sehr viele Zeitzeugen, die ein antideutsche Bewegung und deren Wanderung nach rechts beobachtet haben. Und das alles soll gar nicht existiert haben? Haben wir uns die Existenz von Leuten wie Stefan Laurin nur ausgedacht?
Kommentarfunktion ist geschlossen.