Schützt der Schweizer Presserat Antisemiten? Das Schweigen der Medien

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Symbolbild. Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) Kundgebung. Foto IMAGO / Stefan Zeitz
Symbolbild. Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) Kundgebung. Foto IMAGO / Stefan Zeitz
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Der Schweizer Presserat, zuständig für die ethische Beurteilung publizistischer Inhalte, urteilt in Sachen Antisemitismus auf skandalöse Weise – und niemand berichtet darüber.

Vor einigen Wochen rügte der Schweizer Presserat, die medienethische Selbstregulierungs-Instanz des Landes, das Onlineportal Prime News für einen Artikel zur Israel-Boykottbewegung BDS (Boykott Israelischer Produkte, Desinvestitionen und Sanktionen gegen Israel). Der Vorwurf: Prime News habe die Wahrheitspflicht verletzt, weil es die BDS-Bewegung als «antisemitisch gefärbt» bezeichnete. Die BDS-Bewegung stellt das Existenzrecht Israels in Frage. Wenn der Presserat eine solche Bewegung nicht als antisemitisch einstuft, ignoriert er damit nicht nur die international anerkannte Antisemitismusdefinition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), sondern auch die Parlamente und Regierungen Deutschlands, Österreichs und von Tschechien, die BDS als antisemitisch einstufen.

In einem anderen Fall beschäftigte sich der Presserat mit einem Artikel des Finanzportals «Inside Paradeplatz», der ein oberflächliches, unsympathisches Bild streng religiöser Juden und ihrer Familien zeichnet. Der Artikel charakterisiert liberale jüdische Menschen zudem als kultiviert, gebildet und „unverschämt reich“. Damit verbreitet der Autor des Textes auf „Inside Pardeplatz“ die Vorstellung von Jüdinnen und Juden als etwas Fremdes, Eigenartiges. Als Sonderlinge, die unter sich bleiben und sich gegenseitig mit Reichtum ausstatten. Eine Vorstellung, die für den Presserat nicht antisemitisch ist und auch nicht gegen das Diskriminierungsverbot verstösst, denn dazu, so die Begründung, fehle die «notwendige Mindestintensität».

Die beiden Urteile zeigen: Die international als antisemitisch eingestufte BDS-Bewegung, die das Existenzrecht Israels in Frage stellt, darf nicht als „antisemitisch gefärbt“ bezeichnet werden. Zugleich ist es für den Presserat jedoch von der Meinungsäusserungsfreiheit gedeckt, wenn jüdische Menschen diskriminiert werden. Antisemitische Aktivisten als antisemitisch zu bezeichnen wird gerügt, das Verbreiten antisemitischer Klischees aber geht in Ordnung.

Der Skandal an dieser Doppelmoral des Schweizer Presserates ist nicht nur, dass ausgerechnet jene Instanz, die über das ethische Verhalten der Medien wachen soll, nichts gegen das Verbreiten antisemtischer Vorstellungen einzuwenden hat. Oder dass der Presserat das Problem des zunehmenden Antisemitismus in Europa offenbar nicht besonders ernst nimmt und es nicht toleriert, antisemitische Aktivisten als solche zu benennen. Der grössere Skandal ist das Schweigen der Medien zu diesem Fall.

Obwohl der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) einen offenen Brief an den Presserat schrieb, berichtet bis heute kaum ein Medium darüber. Keine bekanntere Zeitung, kein TV-Sender, kein Radio. Was hat das zu bedeuten? Nimmt ein Grossteil der Medien das Problem des Antisemitismus ebenso wenig ernst wie der Presserat? Getrauen sie sich nicht, den Presserat zu kritisieren, auch wenn dieser den Antisemitismus scheinbar unter den Schutz der Meinungsfreiheit stellt? Oder hat es damit zu tun, dass der linksgrüne Medien-Mainstream ohnehin einseitig über Israel berichtet und so selber Stimmung gegen Israel macht, sich also den antiisrealischen, pro-palästinensischen Stimmen näher fühlt als einem dezidierten Kurs gegen jede Form von Antisemitismus? Schweigen die Medien in diesem Fall deshalb, weil sie in Sachen Israel die gleiche Meinung wie der Presserat haben?

Der am  7. November 2020 verstorbene Rabbi Lord Jonathan Sacks analysierte 2018 den modernen Antisemitismus. Omar Barghouti, Mitbegründer der Bewegung Boykott, Kapitalabzug und Sanktionen (BDS), offenbart den Antisemitismus innerhalb dieser Bewegung.

Klar ist jedenfalls: nicht nur in der Schweiz, sondern in ganz Europa erwecken einige Medien seit Jahren den Eindruck, auf der einen Seite des Nahost-Konfliktes stünden Palästinenser, die einen Befreiungskrieg führen, auf der anderen Seite eine völkerrechtswidrige, jüdische Besatzungsmacht. Sie erwecken den Eindruck, als sei der demokratische Rechtsstaat Israel moralisch auf gleicher Stufe wie etwa die Terrororganisation Hamas, die Israel tot sehen will. Im linksgrünen Milieu ist diese Sichtweise weit verbreitet, und so wohl auch unter Journalisten. Das ist vielleicht auch der Grund, warum diese Medien ebenfalls seit Jahren den im Islam angelegten Antisemitismus verharmlosen oder verschweigen. Oder warum sie bei der europaweiten Zunahme des Antisemtismus kaum je einen Zusammenhang herstellen mit der Migration aus islamisch geprägten Ländern, die seit 2015 stark angestiegen ist und viele Städte in Deutschland oder Frankreich für Juden mittlerweile unsicher macht.

Das Schweigen der Schweizer Medien in Sachen Presserat ist so gesehen einer von vielen Vorfällen, die zeigen, wie wenig medialen Widerstand sich auch in der Schweiz regt gegen die   allgemeine antijüdische Tendenz von heute, die sich als Israelkritik tarnt. Denn auch wenn man den Medien keine antisemitische Agenda unterstellen möchte, nur weil viele Medienschaffenden dem linksgrünen Mainstream folgen, so ist dennoch klar, dass es verschiedene Arten des Schweigens gibt.

Geht man zum Beispiel auf einen Friedhof und stellt fest, dass die Toten schweigen, dann ist das ein Schweigen, das niemanden stutzig macht, denn die Toten reden nun einmal nicht viel. Schweigen aber die Medien, wenn ihr ethisches Kontrollorgan etwas dagegen hat, dass man Antisemiten benennt oder antisemitischer Stereotypen rügt, dann ist dieses Schweigen doch irgendwie vielsagend. Äusserst vielsagend.

Über Giuseppe Gracia

Giuseppe Gracia (54) ist Schriftsteller und Kommunikationsberater und Mitglied im Stiftungsrat der Audiatur-Stiftung. Sein neuer Roman «Auschlöschung» (Fontis Verlag, 2024) handelt von Islamisten, die einen Kulturanlass in Berlin stürmen und den Terror live ins Internet streamen.

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1 Kommentar

  1. Ich beobachte Leute, die über Jahre versuchten, auf solche Missstände aufmerksam zu machen, die sich nun von Radio, TV, Zeitung und dem Mainstream im Internet verabschiedet haben. Sie informieren sich sehr selective – sind aber durch Konzessionen gezwungen, diese Art von medialem Antisemitismus zu unterstützen. Es wird immer enger, auf menschlicher Ebene bin ich pessimistisch.

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