„Ein paar Iwrith-Wörter machen keine israelfreundliche Politik“ – 16 Jahre Merkel gehen zu Ende

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Der Autor und Historiker Prof. Dr. Dr. Wolffsohn anlässlich einer Lesung. Foto IMAGO / Uwe Steinert
Der Autor und Historiker Prof. Dr. Dr. Wolffsohn anlässlich einer Lesung. Foto IMAGO / Uwe Steinert
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Der in Israel geborene deutsche Historiker und Autor Prof. Dr. Dr. Michael Wolffsohn sagt ein einem exklusiven Interview mit Audiatur-Online, er sei enttäuscht von 16 Jahren Israel-Politik Angela Merkels. Wolfssohn, der von 1981 bis 2012 Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr München lehrte, sieht in der Kanzlerschaft Merkels eine „unterkühlte“ Beziehung zu Israel, die eher von „schaubezogener Grosssprecherei“ geprägt war als von wirklicher politischer Unterstützung für das Land.

Audiatur Online: Sieben Mal war Angela Merkel in ihrer Amtszeit in Israel. War sie eine enge Freundin Israels?

Michael Wolffsohn: Es gibt subjektive und objektive Kriterien. Jene wird fast jeder anders bewerten. Die objektiven Faktoren sind eindeutig, wobei man zwischen ihrer Freundschaft zu Israel als Staat ein einerseits und andererseits den Regierungen Israels, besonders den Regierungschefs unterscheiden muss. Zuerst Ariel Scharon. Mit ihm hatte sie es bis Anfang 2006 zu tun. Den mochte sie nicht besonders, arrangierte sich aber mit ihm. Mit Ehud Olmert konnte sie gut und mit Benjamin Netanjahu nicht. Als Freundin des Staates Israel präsentiert sie sich bis heute. Aber für eine enge Freundschaft sind zumindest meine Kriterien strenger. Also Freundin ja, eng nein.

2008 wurde Merkel als erste ausländische Regierungschefin in die Knesset (das israelische Parlament, Anm.d.Red) geladen. Ihre Rede begann auf Hebräisch. Kann man sagen, dass sich die Hoffnung, die die Israelis damals in sie gesetzt haben, erfüllt hat?

Das kommt auf die jeweiligen Hoffnungen an. Wer wenig erwartet hat, wurde nicht enttäuscht. Ein paar Iwrith-Wörter machen keine israelfreundliche Politik, wohl aber eine schöne Schau. Das Versprechen Merkels vor der Knesset – ein Angriff Israel entspräche einem Angriff auf Deutschland – war undurchdachte, schaubezogene Grosssprecherei. Wenn Israel im Fall der Fälle auf die Bundeswehr angewiesen wäre, sollte der letzte Israeli so schnell wie möglich das Licht am Flughafen Ben Gurion ausschalten. Mit jener Feststellung machte Merkel – ohne die Partner zu fragen – Israel zum NATO-Mitglied, denn: Ein Angriff auf ein NATO-Mitglied entspräche einem Angriff auf alle. Die werden bedankt sein. Vor allem Erdogans Türkei. Und jetzt die USA, nach dem Afghanistan-Debakel.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der damalige israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu während einer Presseunterrichtung am 04.06.2018 in Berlin. Foto IMAGO / Metodi Popow

Wie schätzen Sie die 16 Jahre Kanzlerschaft Merkels in Bezug zu Israel ein?

Keine grossen Patzer, abgesehen von der Knessetrede eher unterkühlt, business as usual inklusive Waffenlieferungen, besonders die Lieferung und Zusagen strategisch wichtiger U-Boote und vier ebenfalls strategisch wichtiger Korvetten. Aber das hätte jede andere deutsche Regierung ebenfalls getan.

Das Wort „merkeln“ ist bekannt geworden als Ausdruck dafür, nichts zu tun anstatt Risiken einzugehen. Trifft das auch auf die Israel-Politik Merkels zu?

Ja, echte Impulse für die deutsch-israelischen Beziehungen schaffte und schuf sie nicht. Erst recht nicht bezüglich eines Nahostfriedens. Auch der Weg zu Israels Abkommen mit Bahrein, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Marokko und dem Sudan führte nicht über Merkels Kanzleramt.

Hat Sie sich entschieden genug gegen den Iran, einem der ärgsten Feinde Israels, gestellt?

Nein. Mit US-Präsident Barack Obama und ihrem Aussenminister Frank-Walter Steinmeier hat Merkel das Atomabkommen von 2015 mit dem Iran auf den Weg gebracht. Es ermöglichte dem Iran seitdem konventionelle Expansionen sowie trotzdem nukleare Weiterentwicklung, inklusive Mittelstrecken-Raketen. Israel ist jetzt direkt oder indirekt vom Iran eingekreist. Ohne Atomwaffen, konventionell. Vom Libanon über Syrien, faktisch Irak, Jemen, Gazastreifen. Ein grosser Erfolg – für den Iran.

Glauben Sie, dass Merkels Erziehung in einem evangelischen Pfarrhaus einen starken Einfluss auf ihre Einstellung zu Israel hatte?

Man hat es nicht gemerkt, ich jedenfalls nicht. Weder positiv noch negativ.

Wie beurteilen Sie Merkels kritische Haltung zum Siedlungsausbau in Israel ?

Sie schwamm dabei im Hauptstrom. For better or for worse. Null Profilierung, so oder anders. Ergänzend dazu die nimmer endende Wiederholung der Zweistaatenlösung als “Lösung”. Meinetwegen. Dann muss man mir aber verraten wie man – oder Frau Merkel – die Umsiedlung von rund 600.000 jüdischen Siedlern ohne innerisraelischen Bürgerkrieg erreichen will.

Die damalige CDU-Vorsitzende Angela Merkel traf sich in Gaza am 29. Oktober 2001 mit dem palästinensischen Präsidenten Jassir Arafat. “Angela Merkel, 47, CDU-Vorsitzende, fiel bei einem Treffen mit Palästinenserpräsident Jassir Arafat, 72, am vergangenen Montag durch provokante Kleidung auf. Die mögliche Kanzlerkandidatin machte ihre Aufwartung in dem islamischen Land mit einem kurzen kniefreien Rock.” hiess am 4. November 2001 im Spiegel.

Merkel rief 2008 die deutsch-israelischen Regierungskonsultationen ins Leben. Haben die funktioniert?

Ja, als bedeutungslose Schau und Politiker-Ausflug.

Merkel erhielt die Leo-Baeck-Medaille, den Elie Wiesel Award, den Theodor-Herzl-Preis, die Buber-Rosenzweig-Medaille für ihr Engagement für die Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen. Wie beurteilen Sie Merkels Eintreten gegen Antisemitismus?

Wortreich und erfolgsarm, weil die Sicherheitspolitik ganz allgemein sträflich vernachlässigend.

Welchen deutschen Aussenminister sehen Sie als am besten für Israel im Amt?

Früher oder künftig? Früher Adenauer als er auch Aussenminister war. Künftig? Wenn CDU, gewiss nicht Norbert Röttgen, der hinter den Kulissen dafür sorgte, dass BDS (die Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“)  weiter deutsches Geld erhält. Trotz des gegenteiligen Bundestagsbeschlusses. Wenn SPD, nur nicht den Versager Heiko Maas, der in der UNO ständig gegen Israel abstimmen liess. Wenn grün, dann Cem Özdemir. Wenn FDP, dann Alexander Graf Lambsdorff. Sowohl ein AfD- als auch Linke-Aussenminister bleiben uns, den Wählern sei vorab Dank, erspart.

Welcher Bundeskanzlerkandidat für die anstehende Bundestagswahl wäre Ihrer Meinung nach der beste für die Beziehung zu Israel?

Trotz vieler anderer Schwächen Armin Laschet. Keine Frage. Er hat als NRW-Ministerpräsident sogar ein NRW-Büro in Israel einrichten lassen. Mit einem Top-Mann als Chef. Die Basis der SPD und Grünen ist Israel gegenüber bestenfalls distanziert.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Michael Wolffsohn, geboren 1947 in Tel Aviv, ist Historiker und Publizist. Wolffsohn ist einer der führenden Experten für die Analyse internationaler Politik und nicht zuletzt die Beziehungen zwischen Deutschen und Juden auf staatlicher, politischer, wirtschaftlicher und religiöser Ebene. Der Deutsche Hochschulverband kürte Wolffsohn 2017 zum Hochschullehrer des Jahres. Zuletzt ist erschienen: «Deutschjüdische Glückskinder” (2017) und als Jugendbuch “Wir waren Glückskinder – trotz allem” (2021).

Über Jörn Schumacher

Jörn Schumacher arbeitet als freier Journalist und lebt in der Nähe von Münster. Er hat Linguistik, Philosophie und Informationswissenschaft studiert und war viele Jahre Redakteur beim deutschen Webportal Israelnetz und beim Christlichen Medienmagazin pro.

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5 Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Müller, woraus erkennen Sie, dass Herr Wollfsohn die “jüngere Geschichte Israels genauer lesen sollte”? Wo hat er sich im Interview zur Rechtmäßigkeit dieser auch nur ansatzweise geäußert? Lediglich hat er die Frage aufgeworfen, wie Frau Merkel denn Ihre Appelle mit praktischen Strategien untermauert, oder – wie sie es in wiederholt Deutschland tat – Parolen schwang, einsame Entscheidungen traf und sich hinterher aus jeglicher Umsetzung heraus hielt und dem Chaos Tür und Tor öffnete. Das ist eine legitime Frage, auf die Fraue Merkel – wie so oft – nur Mahnungen und Anschuldigungen bereit hielt, aber die Empfänger ratlos zurück hielt.
    Zum Vorredner möchte ich auch noch anschließen, dass die palästinensische Führung selbst immer wieder deutlich macht, keine Juden – schon keine jüdische Ansiedlungen – in ihrem Staat akzeptieren würde. Juden an sich sind in Bethlehem auch nicht unbedingt gut gelitten. Wie bewerten sie das defacte Zutrittsverbot für Juden in die Autonomiegebiete?
    Die Checkpoints kamen nicht aus der Luft, sondern verheerende Anschläge mit Bomben, Macheten und Schusswaffen vorzugsweise auf jüdische Zivilisten, ohne jegliche Rücksicht auf Kinder, Gebrechliche. Dass dies entsprechend auch aus den Siedlungen ausschließt, mag dem geneigten Deutschen nicht schmecken, für die jüdischen Bewohner ist sie lebensnotwendig. Schließlich war die Situation vor der ersten Intifada anders.
    Und die “Völkerrechtswidrigkeit” ist ja nun auch eher eine politisch manifestierte Feststellung, da der Status der “besetzten Gebiete” ja überhaupt nicht geklärt ist und ohne Israelis nicht ansatzweise palästinensische Autonomiegebiete existieren würden ( haben Jordanien und Ägypten von 1948 bis 1967, also 19 ganze Jahre, ja auch keinen gesteigerten Wert drauf gelegt ).
    Und Sie vergessen, dass Arrafat selbst das Angebot in Camp David 2000 ausgeschlagen hat und Mahmoud Abbas 2006 erneut! Die Zwei-Staaten-Lösung lag so nahe, Deutschland war nie daran maßgeblich beteiligt und wurde von den Palästinensern selbst abgelehnt.
    Zu guter letzt sei hier Gaza angeführt: 2005 komplette israelische Räumung aller Siedlungen und Militärs des Gaza-Streifens. Seit dem eine Regierung einer Terrororganisation, die die Gewalt gegen Israel und dessen Bevölkerung ins schier Unermessliche steigerte und Israel bei Gegenwehr von seinen “Freunden” und Frau Merkel ebenso kaum bis keine Unterstützung erhält. oder eben “Verurteilungen” in der UN, mit aktiver, deutscher Beihilfe! Dass somit die Räumung des Westjordanlandes noch weniger attraktiv erscheint, vor allem bei der geographischen Situation um Gush Dan Bereich, ist wohl verständlich.
    Und dafür hat Frau Merkel ( und nicht nur sie alleine ) eben nur Forderungen, aber keinerlei Strategien.
    Die jüngere Geschichte Israels und Palästinas genauer lesen, Herr Müller, sie Hobby-Historiker.

  2. Die “ Palestinänser” haben seit Gründung Israels sämtliche Angebote einer friedlichen Lösung widersprochen. Die Entwicklung ist über sie hinweggegangen.

  3. Aus welchem Grund ist “die Ansiedlung völkerrechtswidrig”, können Sie Näheres dazu schreiben? Es wäre müssig Ihnen zu erklären, dass das Betreten der Siedlungen durch die arabischen Bewohner der Gebiete, meistens mit einem Blutbad an den Israelis, häufig an Kindern endete. Aber sagen nicht die Deutschen (die selbsternannten Menschlichkeits- und Gerechtigkeits-Weltmester) selbst, dass “kein Mensch nirgends illegal sei”? Sind davon die Juden ausdrücklich ausgenommen?

  4. Zur Umsiedlung von 600.000 Siedlern im Westjordanland: hier verschweigt Wolfssohn,
    dass die Ansiedlung volkerrechtswidrig ist und die dort noch lebenden Palästinänser wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden, Kontrollen an den zahlreichen Checkpoints, Betretenverbote der “israelischen” Siedlungen, u.s.w. Die Einwanderung von Juden aus aller Welt machte diese rechtswidrigen Siedlungen aus Sicht der Juden wohl nötig, das ändert nichts an der Rechtswidrigkeit.
    Die jüngere Geschichte Israels genauer lesen, Herr Wolfsohn, sie Historiker!

  5. Sehr gutes Interview. Herrn Professor Wolffsohn schätze ich sehr.was Israel anbetrifft ist er ein absolut kompetenter Kenner. Nur bei der Antwort zu einem künftigen Außenminister hätte ich etwas Zweifel. Bei der derzeitigen politischen Entwicklung würde man sich irgendwann doch einen Außenminister der AFD wünschen. Man sollte die Steine nicht so weit werfen, als dass man sie nicht zurückholen kann.

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