Wie die Hamas die UNRWA in Geiselhaft nahm

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Palästinensische Mitarbeiter des Hilfswerks der Vereinten Nationen (UNRWA) nehmen an einem Protest teil und fordern den Abgang von Matthias Schmale, dem UNRWA-Einsatzleiter für den Gaza-Streifen am Montag, 31. Mai 2021. Foto IMAGO / UPI Photo
Palästinensische Mitarbeiter des Hilfswerks der Vereinten Nationen (UNRWA) nehmen an einem Protest teil und fordern den Abgang von Matthias Schmale, dem UNRWA-Einsatzleiter für den Gaza-Streifen am Montag, 31. Mai 2021. Foto IMAGO / UPI Photo
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Die Wahrheit ist ein seltenes Gut, wenn es um internationale Organisationen geht. Dies gilt besonders für das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA), eine international finanzierte Hilfsorganisation für Palästinenser. Für UNRWA-Mitarbeiter kann das Aussprechen der Wahrheit ein Karrierekiller sein, oder noch schlimmer.

von Alex Joffe und Asaf Romirowsky

Ein Beispiel dafür ist der Fall von Matthias Schmale, dem UNRWA-Direktor für den Gazastreifen, der jetzt eine Persona non grata ist und nicht mehr in den von der Hamas regierten Gazastreifen zurückkehren darf. Schmales Verbrechen war es, dem israelischen Sender Channel 12 gegenüber zu erklären, dass israelische Angriffe auf Hamas-Einrichtungen präzise seien: «Ich bin kein Militärexperte, aber ich würde das nicht bestreiten. Ich habe auch den Eindruck, dass es eine enorme Raffinesse in der Art und Weise gibt, wie das israelische Militär in den letzten 11 Tagen operiert hat.» Schmale bestritt auch, dass es in Gaza zu Engpässen bei der Versorgung mit Lebensmitteln und medizinischen Gütern gekommen sei.

Obwohl er sagte: «Also ja, sie haben, mit einigen Ausnahmen, keine zivilen Ziele getroffen, aber die Bösartigkeit und Heftigkeit der Angriffe war stark zu spüren», sorgten Schmales Bemerkungen für Empörung unter den palästinensischen Gruppierungen, einschliesslich der Terrororganisation Hamas. Diese erklärte umgehend, seine Kommentare seien «eine völlige Verzerrung zugunsten der Zionisten, einschliesslich eines Versuchs, die Besatzung von der Ermordung von 254 Palästinensern zu entlasten, von denen mehr als 40 Prozent Kinder, Frauen und ältere Menschen waren». Andere palästinensische Fraktionen argumentierten umgehend, Schmale sei «ein Hauptgrund für das Leiden von Tausenden von palästinensischen Flüchtlingen und UNRWA-Mitarbeitern im Gazastreifen».

Natürlich entschuldigte sich Schmale via Twitter. «Die jüngsten Bemerkungen, die ich im israelischen Fernsehen gemacht habe, haben diejenigen beleidigt und verletzt, deren Familienmitglieder und Freunde während des gerade zu Ende gegangenen Krieges getötet und verletzt wurden. Ich bedauere aufrichtig, ihnen Schmerz bereitet zu haben, & wiederhole die folgenden Punkte, die ich in unzähligen Interviews & Tweets gemacht habe.»

Vielleicht zu seinem Glück riefen die UNRWA-Vorgesetzten daraufhin Schmale und seinen Stellvertreter zu «Konsultationen» nach Jerusalem zurück. Die stellvertretende UNRWA-Kommissarin Leni Stenseth übernahm prompt die vorübergehende Leitung der Operationen in Gaza. Ihr erster Schritt war ein Treffen mit der Hamas, wo sie «dem Chef der Hamas-Bewegung im Gazastreifen, Yahya Al-Sinwar, für seine positive Einstellung und seinen Wunsch nach weiterer Zusammenarbeit dankte». Sie fügte auch hinzu, dass Schmele’s Kommentare «nicht zu rechtfertigen sind».

Frühere Episoden von Wahrheitsbekundungen über die UNRWA haben ähnliche Ergebnisse hervorgebracht. Im Jahr 2010 sagte Andrew Whitley, der scheidende Leiter des UNRWA-Büros in New York, während einer Rede vor einer arabisch-amerikanischen Gruppe das Offensichtliche: «Wie wohl die meisten erkennen wir an, auch wenn es keine Position ist, die wir öffentlich artikulieren, dass es unwahrscheinlich ist, dass das Recht auf Rückkehr auf das Gebiet Israels in irgendeinem bedeutenden oder sinnvollen Ausmass ausgeübt werden wird… Es ist kein politisch attraktives Thema, es ist keines, das die UNRWA öffentlich vertritt, aber dennoch ist es eine allgemein anerkannte Sicht der Dinge.»

Die Reaktion von UNRWA kam schnell: «Die UNRWA distanziert sich unmissverständlich von den Äusserungen des Direktors seines Büros in New York, Andrew Whitley, vor dem National Council on US-Arab Relations in Washington am 22. Oktober 2010. Diese Aussagen spiegeln in keiner Weise die Politik oder die Positionen des Hilfswerks wider und sind die persönlichen Ansichten von Herrn Whitley.»

Der Schweigekodex der UNRWA lässt sich auf mehrere Arten erklären. Zum einen stehen zu viel Geld und zu viele Karrieren auf dem Spiel – 806 Millionen Dollar im Jahr 2020 und etwa 30’000 Mitarbeiter. Die Führungskräfte der UNRWA können daher auf keinen Fall das Narrativ der Unverzichtbarkeit der UNRWA für die ewigen palästinensischen «Flüchtlinge» gefährden, die angeblich mit unerbittlicher israelischer Gewalt konfrontiert sind.

In dieser Sichtweise symbolisiert die UNRWA die «Schuld» der internationalen Gemeinschaft gegenüber den Palästinensern dafür, dass Israel gegründet wurde und heute existiert. Die Rolle der UNRWA bei der Verbreitung des zerstörerischen Mythos vom «Recht auf Rückkehr» ist ein Weg, um die palästinensischen Missstände und damit die eigene Existenz aufrecht zu erhalten.

Andererseits sind die UNRWA und ihre internationalen und palästinensischen Angestellten, einfach nur Geiseln, zu denen sie sich teilweise selbst gemacht haben. Wie bei anderen totalitären Regimes ist die von der Hamas geschaffene Atmosphäre der Schikane und Einschüchterung real und spürbar. Zu sehen, wie die Hamas ihre politischen Gegner von Gebäuden wirft und ihre Leichen durch die Strassen schleift, ist sehr lehrreich. Aus diesem Grund hatten westliche Medien wenig zu sagen, als sie beobachteten, wie Hamas-Mitglieder Wasserrohre für die Umwandlung in Raketen aushöhlten oder kilometerlange Tunnel unter Gaza bauten. Auch die Associated Press musste nicht daran erinnert werden, die Einrichtungen der Hamas in ihrem gemeinsamen Gebäude zu ignorieren. Die Gastgeber mit der Wahrheit zu verärgern, kann tödlich sein.

Wenn Zugriff alles ist, machen sich Westler bereitwillig zu Geiseln. Und wenn die Wahrheit herausrutscht, ist die Chance vertan und die Entschuldigung fällig. Matthias Schmales versehentliche Offenheit kostete ihn den Job, aber zum Glück nicht sein Leben, doch Leni Stenseth scheint die Dinge mit der Hamas geregelt zu haben. Mit 150 Millionen Dollar erneuter US-Finanzierung und einem weiteren «Nothilfeantrag» der UNRWA steht viel auf dem Spiel, aber es scheint unwahrscheinlich, dass die Wahrheit bald wieder zu Tage tritt.

Alex Joffe ist leitender Wissenschaftler am BESA Center an der Bar-Ilan Universität. Asaf Romirowsky ist geschäftsführender Direktor von Scholars for Peace in the Middle East. Auf Englisch zuerst erschienen The Middle East Forum. Übersetzung Audiatur-Online.