Netanyahus Odeur ist verflogen

Bennett und Lapid einen Monat am Ruder

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Der israelische Premierminister Naftali Bennett. Foto IMAGO / UPI Photo
Der israelische Premierminister Naftali Bennett. Foto IMAGO / UPI Photo
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Der Möbelwagen ist abgefahren, „Bibi“ ist weg vom Fenster, dort sitzen seit einem Monat Naftali Bennett und sein angesagter Halbzeit-Nachfolger Yair Lapid. Die Anti-Netanyahu-Demonstranten sind arbeitslos. Die Adresse Balfourstreet, Jerusalem, der Sitz des israelischen Ministerpräsidenten, wird frisch gestrichen. Netanyahus Odeur wird nach fast 12 Jahren getilgt. Es weht ein neuer Wind. 

Politik ist schnelllebig und oft ohne Rücksicht für Leistungen von gestern. Vier Sonntage ohne das altbekannte Gesicht am Kabinettstisch, das gerne markige Worte von sich gibt und niemand weint ihm nach. Es gibt keine Demokratie ohne eine funktionierende Opposition, ist eine Binsenwahrheit. Für diejenigen, die die harten Bänke im Parlament drücken müssen, gibt es wenig Trost. Für ein geborenes Alpha-Tier wie Benyamin Netanyahu umso schwerer.

Der neue Wind ist eigentlich der alte, aber die Gesichter sind jünger, frischer, unverbrauchter. Die Sprache ist sanfter, freundlicher, kommt beim geplagten Volk in Israel besser an. Verstärkt wird der neue Wind durch den Wechsel im Präsidialamt: der 80-Plus-Mann Reuven Rivlin ist durch den 60jährigen Itzchak Herzog abgelöst, den das Volk gerne unter seinem Spitznamen „Buschi“ anspricht und obendrein wie ein 40-Plus-Mann wirkt.

Bennett und Lapid sahnen ab, was Netanyahu eingefädelt hat. In Tel Aviv wird die Botschaft der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) eröffnet, Jordaniens König trifft sich mit dem Neuen aus Jerusalem – natürlich sehr geheim -, gleichzeitig wird ein für Amman erlösender Wasser-Liefervertrag unterzeichnet. Für Israels Sicherheit ist die Nähe zum Haschemiten-Thron lebenswichtig. Der Wechsel in Washington von Trump auf Biden hat der traditionell engen Verbindung USA-Israel nicht geschadet, wie das Treffen der beiden neuen Aussenminister Lapid und Blinken auch medial-visuell verströmt hat. Und der neue Finanzminister mit dem starken russischen Akzent, Avigdor Liebermann, kündigt einen Staatsetat an mit einer geringeren Verschuldung als 2020. Alles in Butter? Mitnichten.

Corona hebt wieder sein ansteckendes Haupt, auch 2021 ist der sonst Dollar-segenbringende Tourismus ohne Touristen so gut wie gelaufen und die Bedrohungen im Süden wie im Norden bleiben akut. Israel gedenkt dieser Tage der 164 Gefallenen im Libanon-Krieg gegen die lokal-mächtige Terrororganisation Hisbollah vor 15 Jahren. Damals flogen in 34 Tagen 4 000 Raketen in Richtung Israel, heute könnte das in 2-3 Tagen geschehen, befürchten israelische Militärs, ohne der Bevölkerung Angst machen zu wollen. Israel ist mit Iron Dome heute wesentlich besser gerüstet als damals. Der 11tägige Mai-Krieg gegen die Hamas hat es bewiesen.

Anti-Netanjahu Demo vor seiner Residenz in Jerusalem, am Samstag, 18. Juli 2020. Foto IMAGO / UPI Photo

Aber es gibt auch gute Nachrichten, die vor allem aus der High-Tech-Szene Israels kommen: Corona-Hin-Corona-Her, Israels Innovationsszene hat im ersten Halbjahr 11,9 Milliarden US-Dollar eingesammelt. Mehr als im ganzen Jahr 2020. Tel Aviv ist zu einem Weltzentrum für Fintech und Cybersecurity gediehen. 20 Prozent aller Investition weltweit, die in die Sicherheit im Internet investiert werden, fliessen in das Wirtschaftszentrum eines Neun-Millionen-Volkes am Westrand Asiens, das sich permanent im Krieg befindet. Der Laie staunt, der Fachmann wundert sich.

Jedem Anfang wohnt bekanntlich ein Zauber inne, der auch in Israel höchstens 100 Tage andauern kann. Bis dahin muss die Spagat-Koalition von Meretz (links-aussen) bis Yamina ( rechts-aussen) eine Mehrheit im Parlament für einen Etat aufweisen. Gelingt es Bennett und Lapid nicht, müsste Israel wieder an die Wahlurnen gerufen werden. Das will niemand bei den acht Regierungsparteien. Der Anti-Netanyahu-Kurs hat sie zusammengeschweisst. Wie lange die Schweissnaht hält wird sich im Bibel-Jahr 5782 zeigen, das in acht Wochen beginnt.

Über Godel Rosenberg

Journalist, Autor, High­techunternehmer. Godel Rosenberg war Pressesprecher der CSU und von Franz Josef Strauß, Fernsehjournalist, TV­-Moderator und Repräsen­tant des Daimler­-Konzerns in Israel. Von 2009 bis 2018 war Godel Rosenberg der Repräsentant Bayerns in Israel.

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1 Kommentar

  1. Laut Relotiusmedien, Tagesschau, DLF usw. und deren Forenschreibern müßte ja jetzt Frieden im Nahost ausbrechen, wo ja Netanyahu jetzt weg ist.

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