Wie halten es Björn Höckes Vordenker mit Israel?

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Björn Höcke (AFD) bei PEGIDA Dresden am 17.02.2020. Foto IMAGO / xcitepress
Björn Höcke (AFD) bei PEGIDA Dresden am 17.02.2020. Foto IMAGO / xcitepress
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Der politmediale wie wissenschaftliche Diskurs in Bezug auf den Grad an Antisemitismus in der „Alternative für Deutschland“ (AfD) beschränkt sich weitestgehend auf Ausprägungen der sekundären, sozialen, politischen und strukturellen Judenfeindlichkeit. Weit weniger im Fokus sind die dezidiert israelbezogenen Ausläufer des Judenhasses. Ein wesentlicher Grund hierfür: Die Partei positioniert sich öffentlich sowie politisch im deutschen Bundestag als ausdrücklich proisraelische Kraft, wie vielzählige Pressemitteilungen, Anträge und Reden bezeugen. Doch ist das die ganze Wahrheit?

Nach den massiven Raketenangriffen der Hamas auf Israel im Mai 2021 äusserte sich Jörg Meuthen, einer der Bundessprecher der AfD, recht unmissverständlich und verlangte von der Bundesregierung, sich „eindeutig hinter Israel und seine Bemühungen [zu] stellen, die eigene Bevölkerung vor terroristischen Angriffen zu schützen“. Diese israelsolidarische Rhetorik der AfD ist nicht neu. Bereits im Oktober 2019 sagte Meuthen, dass die AfD „eine durch und durch pro-israelische und pro-jüdische Partei“ sei. Und in der Tat, setzt die AfD sich doch beispielsweise für die Einstellung der Zahlungen an die Palästinensische Autonomiebehörde, gegen den antisemitischen Al-Kuds-Marsch sowie für ein Verbot von Hisbollah beziehungsweise der BDS-Bewegung in Deutschland ein.

Thomas Maul, seinerzeit Redakteur der linken, ideologiekritischen Zeitschrift Bahamas, sagte im Mai 2018 in einem Vortrag im linksalternativen Leipziger Kulturzentrum „Conne Island“, dass es „[v]or Einzug der AfD […] solche proisraelischen und antisemitismuskritischen Reden im Deutschen Bundestag nicht gegeben [hat], schon gar nicht von der jeweiligen ganzen Fraktion geteilt.“ Rafael Korenzecher, der Herausgeber der „Jüdischen Rundschau“, schloss sich in seiner Zeitung im August 2018 der Einschätzung Mauls an. So habe man „vor dem Einzug der AfD ins Parlament niemals derartige proisraelische[] und Antisemitismus-kritische“ Reden gehört.

Jedoch schränkte Korenzecher in einer Kolumne im Juli 2019 ein, dass die AfD ebenfalls die Heimat „der mega-dummen rückwärtsgerichteten nationalen Überhöhungen und intolerablen antijüdischen Stereotype“ sei. Wen Korenzecher damit aller Voraussicht nach meinte, liegt nahe: Den rechtsnationalen Flügel der AfD um dessen Leitfigur, den Thüringischen Landespolitiker Björn Höcke, der wiederholt für antisemitische Skandale gesorgt hat. Erinnert sei an Höckes berühmt-berüchtigte Dresdner Rede vom Januar 2017, in der dieser davon sprach, dass die Deutschen „das einzige Volk der Welt [seien], das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat“. 

Der Flügel vertritt „Versatzstücke eines sekundären Antisemitismus“

Mit diesem „Denkmal der Schande“ meinte Höcke das Berliner Holocaust-Denkmal. Der Zentralrat der Juden warf Höcke daraufhin vor, das „Andenken an die sechs Millionen ermordeten Juden mit Füssen“ zu treten. Ronald Lauder, der Vorsitzende des Jüdischen Weltkongresses, konstatierte sogar, dass Höcke klinge „wie ein Fürsprecher von Hitler“. Und der stellvertretende Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora nannte in der Folge die „Teilnahme von Herrn Höcke an der Kranzniederlegung im ehemaligen KZ Buchenwald nicht akzeptabel“.

Wenig verwunderlich ist da, dass der deutsche Verfassungsschutz in einem im Juli 2020 publizierten „Lagebild Antisemitismus“ schreibt, dass „[v]on Funktionären und Anhängern des Personenzusammenschlusses ‚Der Flügel‘ […] Versatzstücke eines sekundären Antisemitismus vertreten“ werden und dass dabei Björn Höcke selbst „in seinen eigenen Schriften und Reden Motive des sekundären Antisemitismus“ bemühe. 

Daher begründet der Verfassungsschutz seine Einstufung des Flügels als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ und damit zum offiziellen Beobachtungsfall in einer ausführlichen Fachinformation „durch den Nationalsozialismus verharmlosende“ beziehungsweise „antisemitische Positionen“. Wenn der „Flügel“ sich im April 2020 auch selbst offiziell aufgelöst haben mag, klärt der Verfassungsschutz in seinem Bericht für das Jahr 2020 dennoch darüber auf, dass „weiterhin Fortsetzungsaktivitäten des Personenzusammenschlusses zu beobachten“ seien.

Höckes Spiritus Rector Götz Kubitschek begründete in seinem Text „Nachdenken über Auschwitz (öffentlich?)“ vom Januar 2020 in der rechtsnationalen Theoriezeitschrift Sezession die Deutung der NS-Zeit durch den Höcke-Flügel dergestalt, dass „die Vergangenheitsbewirtschaftung, die moralische Instrumentalisierung, die unehrliche Überhebung – das alles muss ein Ende finden“, weil Auschwitz eben „nicht vom deutschen Volk, aber von Verbrechern im Namen des deutschen Volkes angerichtet wurde“. Diese Forderung Kubitscheks, dessen Theorieblatt Sezession mittlerweile selbst vom Verfassungsschutz beobachten wird, bleibt dabei nicht abstrakt, da Kubitscheks „Institut für Staatspolitik“ laut dem aktuellen Verfassungsschutzbericht 2020 „eine diskursbestimmende Rolle“ innerhalb der Neuen Rechte einnähme.

Höcke-Vordenker sprechen von einer „Holocaust-Religion“

Ein Positionspapier „Leitkultur, Identität, Patriotismus“ der Thüringer AfD von Björn Höcke vom Mai 2018 umreisst diese von Kubitschek reklamierte „moralische Instrumentalisierung“ des Holocausts darin, dass „man die NS-Vergangenheit überhaupt als Auftrag“ begreife, „die Nation mit ihrer Geschichte verächtlich zu machen“ und „alles Deutsche aus der Welt zu schaffen“, um so „unter dem alles verdunkelnden Schatten des Dritten Reiches zu einem geschichtslosen Volk zu werden“. Weshalb man eine „Besinnung darauf [fordere], dass die deutsche Geschichte weitaus mehr ist als die Geschichte der Jahre zwischen 1933 und 1945“. In seiner oben zitierten Dresdner Rede vom Januar 2017 nannte Höcke dies eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“, die „uns vor allen Dingen und zuallererst mit den grossartigen Leistungen der Altvorderen in Berührung bringt“. 

In der Studie „Der Aufstieg der radikalen Rechten und der Antisemitismus“, über die der Autor dieser Zeilen in Deutschland als erster exklusiv für die „Achse des Guten“ im März 2020 berichtete, attestiert das israelische Institute for Zionist Strategies der AfD – und dabei indirekt, aber eindeutig den Flügel referenzierend –, dass sie „die Bedeutung der Rolle des deutschen Volkes für den Holocaust“ verharmlose und in „ihrem Widerstand gegen die Übernahme der nationalen Verantwortung für die Schrecken des Holocaust und ihrer Weigerung das zerstörerische Potenzial des ungezügelten Nationalismus anzuerkennen […] keine Lehren aus ihrer eigenen Geschichte“ ziehe.

Martin Lichtmesz, einer der führenden rechtsnationalen Theoretiker im deutschsprachigen Raum, umrahmte in seinem Sezessions-Beitrag „Notizen über Israel (2): Die Versprechen des Daniel Pipes“ vom Februar 2020 diese von Kubitschek diagnostizierte und von Höckes Thüringer AfD in ihrem Positionspapier apostrophierte „Vergangenheitsbewirtschaftung“ mit dem Begriff „Holocaust-Religion“, in der sich „der ‚Schuldkult‘, von dem sich eine nationale Alternative unbedingt lossagen muss, affirmiert und perpetuiert“. Lichtmesz präzisierte diese „Holocaust-Religion“ bereits zuvor in seinem Artikel „Obamas Auschwitz“ aus dem Jahr 2009 in einer amerikanischen „Holocaust-Education“, die „die Ikonographie des ‚Holocaust‘ verwaltet, editiert, montiert, propagiert und ihr einen spezifischen geschichtlichen Sinn gibt“. 

Der Verfassungsschutzbericht des Jahres 2019 schreibt, wie oben referenziert, dem Höcke-Flügel zu, dem sekundären Antisemitismus Vorschub zu leisten, da dieser in seiner Rhetorik unterstelle, dass „die Erinnerung an den vom NS-Regime verübten Genozid an der jüdischen Bevölkerung deutschen Interessen schadet“. Dem „Lagebild Antisemitismus“ nach beziehe sich Höcke in der Konstitution dieser die NS-Zeit wie die Shoah marginalisierenden Position eben auch „auf die Äusserungen des baden-württembergischen Landtagsabgeordneten Wolfgang Gedeon“, dessen Aussagen „als geschichtsrevisionistisch und das NS-Regime verharmlosend zu bewerten“ seien.

Ein Ineinandergreifen von sekundärem und israelbezogenem Antisemitismus

Bei Gedeon, der 2020 aus der Partei ausgeschlossen worden ist, heisst es beispielsweise in einer seiner Schriften gemäss der FAZ, dass der Holocaust „ideologisiert und theologisiert“ werde und es „also nicht mehr um allgemeine Judaeomanie als Reaktion auf den Antisemitismus der nationalsozialistischen Zeit [gehe], sondern um die Etablierung einer neuen Staatsreligion“. Höckes Vordenker Kubitschek merkte in seinem Artikel „Der Fall Wolfgang Gedeon – ein Austausch zwischen Marc Jongen und Götz Kubitschek“ vom Juni 2016 an, dass „[w]ir […] uns ja fraglos sofort in tabubewehrten Zonen [bewegen], wenn wir über die weltgeschichtliche Bedeutung des Judentums, des Zionismus oder der Holocaustindustrie (sic!) nachdenken und unsere Gedanken äussern“. Diese Tabus könnte man „aus wissenschaftlicher Sicht aber auch ablehnen, und zwar ohne jede Prüfung der Sachverhalte, nämlich schlicht, weil es keine Frage- und Forschungstabus geben sollte“, so Kubitschek weiter.

Der Übergang vom postulierten „Schuldkult“ einer konstruierten „Holocaustindustrie“ zum Israelbild der Sezession ist hierbei fliessend. Es ist ein Ineinandergreifen von sekundärem und israelbezogenem Antisemitismus, der sich bei der Sezession bezeichnenderweise inbesonderem Masse in der artikulierten Abgrenzung der Rechtsnationalisten um Kubitschek vom Neo- beziehungsweise Liberalkonservatismus manifestiert. Während „Höckes explizite Haltung zu Israel […] unbekannt“ sei, wie es das Israelnetz Magazin im Oktober 2019 schrieb, nimmt man in Schnellroda, dem Sitz von Kubitscheks Verlag Antaios, zum Thema Israel kein Blatt vor den Mund.

So behauptet Lichtmesz in seinem Text „Notizen über Israel und seine Parteigänger“ vom Januar 2020 ein Framing „der vom ‚Neokonservatismus‘ geprägten Ära George W. Bush“, die eine „partikularistische“ Rechtfertigung, „warum gerade dieses Land [also Israel, Anm. des Autors] besonderer Unterstützung bedürfe“, ableite „von einer postulierten Sonderstellung des Holocaust und damit auch des jüdischen Volkes in der menschlichen Geschichte“. Jonas Schick wirft in einem Artikel vom November 2019 Teilen der deutschen Rechten vor, dass sich bei diesen „seit geraumer Zeit ein neokonservativer Hang zur Israel-Apologetik“ zeigen würde, indem man „Solidarität mit dem Staat Israel bekundet und zionistische Argumentationslinien eins zu eins übernommen“ werden, womit jedoch „der bemitleidenswerte Versuch unternommen wird, sich vom linken Brandmal des der Rechten als immanent angedichteten Antisemitismus zu befreien“. Schick hinterfragt in einem Artikel vom Mai 2021 weiter, dass „[w]enn der Staat Israel (vermeintlich) bedroht ist“, ob man dann „logischerweise auf der Seite Israels“ müsse. In Schnellroda, dem Sitz von Kubitscheks Verlag, „verwehrt man sich [nämlich] derweil diesem […] Denken“.

Israelsolidarischen Konservativen attestiert Lichtmesz in einem älteren Artikel von 2012, „sich auf Surrogat-Identitäten wie die liberalen Allgemeinheiten oder blindes USA- und Israel-Partisanentum zurückziehen“. Benedikt Kaiser, substantieller Vordenker des von Höcke präferierten solidarischen Patriotismus, nennt in seinem Beitrag „Reeducation, Charakterwäsche und die AfD“ vom Januar 2020 diese von der Sezession imaginierten konservativen Verfechter eines „Israel-Partisanentum“ sodann „strukturelle Opportunisten“, die „meinen, eine Anpassung an die Politik und Geisteshaltung der israelischen und US-amerikanischen Rechten würde der eigenen Handlungsfähigkeit in Mitteleuropa gut tun“, so dass „deren Ritterschlag einer Reinwaschung der eigenen, verfemten Position bedeuten würde“. Kaiser bezeichnet dies schliesslich als „das unterwürfige Ersuchen um einen Persilschein“. 

Kubitschek behauptet eine „Instrumentalisierung des Holocausts gegen nationale, rechte Positionen“

Kubitschek selbst widerspricht ebenfalls explizit diesem vermeintlichen „Israel-Partisanentum“ in seinem Artikel „Die peinlichen Musterschüler“ vom Januar 2020, da es eine „Instrumentalisierung des Holocausts gegen nationale, rechte Positionen“ sei, die man nicht dadurch versuchen sollte dergestalt „zu drehen, dass man sich an die Spitze einer bedingungslos israelfreundlichen Politik setzt“. Kubitschek folgert in seinem Artikel „Israel und Deutschland“ vom Februar 2020 weiter, dass man als „deutscher Patriot […] Israel nicht bedingungslos unterstützen“ kann und „[d]iese bedingungslose, zu einem nicht unerheblichen Teil deutsche Interessen widersprechende Unterstützung israelischer und/oder us-amerikanischer Aussenpolitik“ auch nicht „moralpolitisch mit Auschwitz und der deutschen Schuld“ erzwingen könne. 

Diese „Selbstidentifizierung mit ausdrücklich US-amerikanischen (oder Trumpschen) Interessen“ hätte, so Benedikt Kaiser in seinem Beitrag „Reeducation, Charakterwäsche und die AfD“, ihre Grundlage in einer „Reeducation, des Mammutprojekts der ‚Umerziehung‘ der Bundesdeutschen also, als das erfolgreichste mentalitätspsychologische Experiment der Neuzeit“, was „[d]ie forcierte Entfremdung der Deutschen von ihrer eigenen Geschichte, Mentalität, Denkweise“ bedeute.

Alexander Gauland, der heutige Ehrenvorsitzende und Fraktionschef der AfD im Bundestag, der wiederholt seine schützende Hand überHöcke gehalten hat und diesen dabei selbst einst als „Mitte der Partei“ bezeichnete, kleidete dieses deutsche „Israel-Partisanentum“ im Jahr 2017 bei einer Parteiveranstaltung in folgende Worte: „dass uns die Last von Auschwitz letztendlich daran hindert, Kritik an Israel zu üben. Das ist leider so. Damit muss ich leben“. In seinen „Notizen über Israel (2): Die Versprechen des Daniel Pipes“ schreibt Lichtmesz indes, dass er es „einigermassen widersprüchlich [finde], diesen [Schuldkult] abschaffen zu wollen und gleichzeitig via Israel-Partisanentum nach Absolution zu streben“. Und Kubitschek folgert in seinem Artikel „Israel und Deutschland“ weiter, dass es vielmehr „im deutschen Interesse [sei], zu nahezu allen nahöstlichen Staaten möglichst gute Beziehungen zu unterhalten, ohne sich in deren endlose Konflikte mit den ständig und schnell wechselnden Allianzen einzumischen“. Als mögliche Verbündeten sieht Kubitschek dann „Assad selbst, dann Russland und […] [den] Iran“.

Sezession beklagt neokonservativ-linksextremes Pro-Israel-Bündnis

Taktgeber Kubitschek kennzeichnet kritische liberal-konservative Geister darüber hinaus, in einer antisemitisch aufgeladenen Freund-Feind-Klassifizierung, als Cuckservatives, deren „friendly fire“ das „Ergebnis harmloser, harmoniesüchtiger Beschwichtigungskonservativer“ sei. Die Bezeichnung Cuckservative hat eine zutiefst antisemitische Konnotation, denn als „weiss“ gelesenen Politikern wird hiermit vorgeworfen, die „Interesse von Juden und Nicht-Weissen gegenüber denen von Weissen“ zu fördern, wie es die Anti-Defamation League in einem Beitrag aus dem Jahr 2015 schreibt. Geprägt haben diese Begrifflichkeit dabei US-amerikanische Suprematisten, also solcheEpigonen des Ku-Klux-Klans beziehungsweise der nationalsozialistischen Eugenik, die an eine Überlegenheit einer weissen Rasse glauben.

In der Diagnose eines „Israel-Partisanentum“ hat die Sezession dabei insbesondere die von den Publizisten Henryk M. Broder und Dirk Maxeiner herausgegebene „Achse des Guten“ im Visier, deren Autoren vordringlich einem Milieu entstammen, das man in den USA als South Park Republican bezeichnet, und der, wie ihren Lesern, das „reflexhafte Eindreschen auf Amerika und Israel […] gegen den Strich“ geht. In Schnellroda hat man jedoch einen anderen Blick darauf. 

Martin Lichtmesz schreibt im besagten Artikel „Notizen über Israel und seine Parteigänger“ vom Januar 2020, dass „die neokonservative Achse des Guten inzwischen etliche Autoren aus dem ‚antideutschen‘ Spektrum à la Jungle World rekrutiert hat“, die einen „Israel-Fetisch“ pflegten und mit denen „sich das sogenannte ‚liberal-konservative‘ Spektrum immer mehr dem linken Diffamierungsstil an[nähere]“. Dem Autor dieser Zeilen schreibt Lichtmesz in demselben Artikel so beispielsweise zu, „[w]as ‚projüdisch‘ ist, […] anhand einiger dogmatischer, vorwiegend rechtszionistischer und schuldkultgläubiger (sic!) Richtlinien“ zu determinieren.

Bereits im Jahr 2016 identifizierte Siegfried Kabisch „[a]ntideutsche Netzwerke“ in Deutschland, die als „Avantgarde des neokonservativ-linksextremen Bündnisses in den Gazette“ wirkten und dabei „zum Bündnispartner der hiesigen neokonservativen Transatlantiker des Establishments“ geworden sind. Zur „Eintrittskarte in die transatlantische Riege der Medien, Politik und Lobbybündnisse“ gereichten hierbei„die Paradigmen der Solidarität mit Israel und der Verteidigung des Westens“, so Kabisch weiter. Das im Text aufgespannte Netzwerke reicht von der ideologiekritischen Zeitschrift Bahamas und der linken Wochenzeitung Jungle World über „Journalisten aus dem Hause Axel Springer“ der „transatlantischen Leitmedien“ WELT und BILD bis hin zu „der Broderschen ‚Achse des Guten‘“ sowie der österreichische Initiative „Stop the Bomb“, die „als eine Art Lobbyorganisation für die Belange der politischen Rechten Israels gesehen werden“ müsse.

Rechtsnationales Israelbild mit antiimperialistischer Erzählung

Wenn man dann zum eigentlichen Israelbild der Sezession selbst vorstösst, schälen sich hier Erzählungen heraus, die man sonst nur aus Kreisen antiimperialistischer beziehungsweise propalästinensischer Linker kennt. Im Mittelpunkt dabei immer wieder der rechtsnationaleVordenker Martin Lichtmesz. So stuft Lichtmesz in seinem Artikel „Notizen über Israel und seine Parteigänger“ vom Januar 2020 den Staat Israel als einen verspäteten „Siedler- und Kolonialstaat“ ein, der „auf der stupenden Idee beruht, ein vertriebenes Volk habe nach zwei Jahrtausenden ein Recht auf Rückkehr“, das jedoch „den 1948ff vertriebenen Palästinensern kategorisch verweigert wird“.

Wobei „die Wahl schliesslich auf Palästina“ gefallen sei mit „Jerusalem[] [als] einer der Achsenpunkte der Weltgeschichte“, da „[d]er Zionismus […] wohl auf einen wirklich grossen Wurf setzen [musste], um seine immense mobilisierende Wirkung auf das Diasporajudentum zu entfalten“. Die antizionistische Schauergeschichte vom Juden als Dieb des palästinensischen Landes, die Lichtmesz auch noch einmal so vertieft, dass Israel „sich nur durch Gewalt, Terrorismus, Krieg und ethnische Säuberung konstituieren“ habe, was „das Bild der ‚einzigen Demokratie im Nahen Osten‘ doch erheblich“ relativiere.

So kam es in Israels „Geschichte des Kolonialismus immer wieder […] zu massiven Schurkereien […], von denen auch Israel nicht freigesprochen werden kann“. Und damit bestehe nach Lichtmesz „[d]ie nüchterne Tatsache […], dass Israel als Nationalstaat auf einer schiefen Ebene errichtet wurde, und die Folgen nicht so schnell aus der Welt verschwinden werden“. Dabei müsse, „[w]er den amerikanischen Interventionismus im Nahen Osten kritisch sieht“, gleichsam „auch Israels Rolle kritisch beäugen“, so Lichtmesz abschliessend.

Bereits im Jahr 2010 hat Lichtmesz sich in einem Leserbrief für einen Wissenschaftsblog des Verlages „Spektrum der Wissenschaft“ dahin gehend geäussert, dass es eine vermeintliche „Ghettoisierung“ der Palästinenser gäbe und Israel in seinen Augen „in seinem jetzigen Zustand ein absolut prekäres und problematisches Gebilde“ wäre. Ähnlich klang es bei Alexander Gauland bereits im Jahr 2001 wenige Tage nach den Terroranschlägen vom 11. September an. Seinerzeit schrieb Gauland darüber, dass „der Fremdkörper des Staates Israel in diese Welt“ trat als „Reaktion auf europäisches, speziell deutsches Versagen“.

Narrative der israelfeindlichen BDS-Kampagne in Höckes Theorieblatt

In seinem Text „Notizen über Israel (2): Die Versprechen des Daniel Pipes“ vom Februar 2020 verbindet Lichtmesz die bereits eben angeklungene antizionistische Etikettierung des jüdischen Staates als Dieb des bereits von Palästinensern „besiedelten Gebietes“ mit demvermeintlichen Mythos der einzigen Demokratie im Nahen Osten, die in ihrer Wirklichkeit als „ethnischer Siedler- und Kolonialstaat“ doch gar keine sei, um daraus zu schliessen, dass die Juden doch selbst Schuld sind an ihren Problemen. So seien „Israels innen- wie aussenpolitische Probleme […] das Resultat seiner Gründung als ethnischer Siedler- und Kolonialstaat auf besiedeltem Gebiet“.

Was sich hierin zeigt, sind gängige Narrative der israelfeindlichen BDS-Kampagne in Höckes Theorieblatt: Von einer Demokratie, die in Wirklichkeit doch gar keine wäre, odervon „Gewalt, Terrorismus, Krieg und ethnische[r] Säuberung“ gegen „die dort lebenden Palästinenser“. Im Kern linke Phantasmen, die hier rechtsnational reproduziert werden. Einer der wenigen Vertreter der AfD, der sich in ähnlicher Weise offen gegen Israel positioniert und dabei ebenso auf antisemitische Stereotype der BDS-Kampagne zurückgreift, ist der ehemalige baden-württembergische AfD-Landtagsabgeordnete und Höcke-Einflüsterer Wolfgang Gedeon (siehe oben).

So brachte Gedeon zum Bundesparteitag der AfD im Dezember 2017 Resolutionen ein, in der er mit Mitstreitern klassisch antiimperialistische Mythen aufgriff, indem sie behaupteten, dass die Staatsgründung Israels mit der „Vertreibung von mehreren hunderttausend Palästinensern aus ihrer Heimat verbunden“ verbunden gewesen wäre und es „israelische Bombardements auf Krankenhäuser und Schulen im Gaza“ gäbe. Schliesslich forderten sie sogar, dass sich Deutschland „auch wirtschaftliche Sanktionen und Boykottmassnahmen gegenüber Israel (sog. BDS-Politik) vorbehalten“ müsse.

Lichtmesz greift bei seiner Beurteilung Israels auf die gerade unter linken Antizionisten beliebte Methode zurück, jüdische Einzelpersonen und israelische Organisationen als Kronzeugen heranzuziehen, um die eigene „Israelkritik“ so als „koscher“ verkaufen zu können. In einem aktuellen Artikel „Israel und Demographie (2)“ vom Juni 2021 verweist Lichtmesz auf Norman Finkelstein, die israelische NGO „B’Tselem“ und den von Kenneth Roth geleiteten „Human Rights Watch“ als Referenz seiner Analyse. Lichtmesz schreibt selbst über seine Kronzeugen: „Das Bemerkenswerte ist nun, dass beide Organisationen von Juden geleitet werden“; Roths Vater war ein jüdischer Flüchtlingaus Nazi-Deutschland.

Vorstellung einer wirkmächtigen „Israel-Lobby“ wird reproduziert

So zitiert Lichtmesz dann eine Analyse Finkelsteins, in der es heisst, dass das „was der jüdische Staat in der Praxis seit 73 Jahren bedeutet: [ist] die jüdische Mehrheit und die Beschlagnahme des Landes für und durch das jüdische Volk“. Und indem „B’Tselem“ und „Human Rights Watch“ ebenso dieses „Urteil fällen und Israel zahllose Verstösse gegen das internationale Völkerrecht ankreiden, die bis zu seiner Gründung zurückreichen“, würden sie „die Idee eines jüdischen Staates“ delegitimieren. Um das „Projekt Israel aufrechtzuerhalten“ in „seiner anachronistischen, nationalistischen Besatzungs- und Kolonialpolitik“, bedarf es trotz alledem „eines erheblichen Propagandaaufwandes“, konstatiert Lichtmesz schliesslich. 

Dazu zählt Lichtmesz in seinem Beitrag „Halbzeit für Trump“ vom April 2019 auch „die ‚Israel-Lobby‘“, die „in den USA eine derart bedeutende Rolle“ spiele, was sich darin zeige, dass „Trump und die Republikanische Partei […] unter anderem von dem zionistischen Milliardär Sheldon Adelson mit Millionenbeiträgen gesponsert [wurden], was nichts anderes als den Erwerb politischer Macht bedeutet“. In seinem Text „Ein amerikanischer Alptraum (2) – Auf dem Weg zum Bürgerkrieg?“ vom November 2018 schreibt Lichtmesz, dass die „Republikaner ihren ‚Soros‘“ in Adelson hätten, der „Trump und seine Partei mit massiven Finanzspritzen unterstütz[e]“, was „den Kauf von politischem Einfluss“ bedeuten würde.

Die Vorstellung einer wirkmächtigen „Israel-Lobby“ reproduziert Lichtmesz auch in seinem Artikel „Israel und Demographie (4)“, ebenfalls vom Juni 2021, indem er jüdische Fürsprecher einer Migration von „muslimisch-arabische[n] Einwanderermassen“ ausmachte. Und so unter Anderem dem Historiker Michael Wolffsohn die „Ideologie der ‚Ersetzungsmigration‘ (replacement migration)“ zuschreibt, die, so Lichtmesz weiter, „davon ausgeht, dass die Bevölkerung eines Landes durch jede beliebige Fremdbevölkerung ersetzt (oder ‚ausgetauscht‘) werden kann“. Lichtmesz unterstellt weiter, dass diese „jüdische[n] Intellektuelle[n]“ postulierten, dass „Europa durch Masseneinwanderung die Auflösung der Nationalstaaten im herkömmlichen ethnokulturellen Sinne bewirken“ solle.

In seinem finalen Text „Israel und Demographie (5)“ aus dem Juni 2021 nennt Lichtmesz besagte „jüdische Intellektuelle“ dann „jüdische Stimmen, die eine muslimisch-arabische Masseneinwanderung nach Deutschland und Europa befürwortet und dabei sehenden Auges den Import etwaiger israel- und judenfeindlicher Bevölkerungsgruppen und Individuen in Kauf genommen haben“. So der Publizist Henryk M. Broder, der früher die „demographische Verdrängung der Europäer“ ausdrücklich „begrüsst“ habe. Ein im Kern antisemitischesSchauermärchen, indem die Juden in Form einer imaginierten jüdischen Lobby noch selbst Schuld an ihrem Unglück sind. Lichtmesz geht in diesem verschwörungsideologischen Narrativ sogar soweit, in seinem Artikel „Israel und Demographie (4)“ zu behaupten, es fänden„sich etliche Belege“ dafür, dass „sich israelische Organisationen aktiv daran beteiligen, Araber nach Deutschland und Europa zu schleusen und dort anzusiedeln“.

Eine rechtsnationale Kopie der antizionistischen Auswüchse von Deutschlands Linken

Will man sich also das Israelbild von Björn Höcke und seiner Anhängerschaft näher vor Augen führen, ist der Blick in Kubitscheks Sezession überaus lehr- wie hilfreich. Hierin wird das propagierte Verhältnis des rechtsnationalen AfD-Flügels zum Staat Israel vom einem imaginierten „Schuldkult“ über die postulierte „Holocaust-Religion“ bis hin zum unterstellten „Israel-Partisanentum“ Liberalkonservativertheoretisch untermauert. Dabei greifen Motive des sekundären Antisemitismus, den auch das Bundesamt für Verfassungsschutz im Höcke-Flügel skizziert, mit denen einer spezifisch israelbezogenen Judenfeindlichkeit ineinander. Denn Höckes Spiritus Rector Kubitschek schreibt selbst, dass man als „deutscher Patriot […] Israel nicht bedingungslos unterstützen“ kann und überdies eine „Unterstützung israelischer […] Aussenpolitik“ auch nicht „moralpolitisch mit Auschwitz und der deutschen Schuld“ erzwingen könne.

Der rechtsnationale Theoretiker Martin Lichtmesz sekundiert Kubitscheks Framing einer „Instrumentalisierung des Holocausts gegen nationale, rechte Positionen“ mit einem Bild des jüdischen Staates, das sonst nur in antiimperialistischen Kreise der Linken wie auch der BDS-Bewegung Anklang findet: Israel wird darin zu einem „Siedler- und Kolonialstaat auf besiedeltem Gebiet“ abqualifiziert, der „sich nur durch Gewalt, Terrorismus, Krieg und ethnische Säuberung konstituieren“ konnte und dessen „Geschichte des Kolonialismus [deshalb] immer wieder den Vorwand zu massiven Schurkereien geliefert“ habe. Halten kann sich der Staat dabei nur mittels eines „erheblichen Propagandaaufwandes“, so durch eine US-amerikanische „Israel-Lobby“.

In dieser Delegitimierung der Heimstatt jüdischen Lebens, die doch nur ein Chiffre für die Herabwürdigung jüdischen Lebens an und für sich ist, kopiert Lichtmesz also die antizionistischen Auswüchse von Deutschlands Linken wie Stereotype des politischen Antisemitismus, so im Bild von im Hintergrund die Strippen ziehenden Juden. So können sich also auch Judenhasser von rechts in der intellektuell verbrämten Form der „Israelkritik“ und der Imagination einer „Israel-Lobby“ demnach „politisch korrekt“ sammeln. Dies ist nur der folgerichtige Epilog eines Juden- und Israelbildes der Vordenker des rechtsnationalen Flügels der „Alternative für Deutschland“ aus Schnellroda.

Über Marcus Ermler

Dr. Dr. Marcus Ermler, ist Mathematiker sowie Informatiker und beschäftigt sich in seiner Forschung mit Logik, Graph Rewriting und Topologie. Darüber hinaus publiziert er über Antisemitismus und Antiamerikanismus jeder politischen Färbung.

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1 Kommentar

  1. Ein interessanter Einblick in die Vorstellungen eines der „führenden rechtsnationalen Theoretiker“ zu Israel. Erstaunlich ist – aber auch nicht wirklich –, wie der dargestellte Martin Lichtmesz mit seinem Weltbild fast bruchlos an das linke antisemitische Spektrum andocken kann. Dabei ist dieses zunächst keineswegs offensichtlich.

    Seine Kenntnisse über die antideutsche Szene sind spätestens dann zum Schmunzeln, wenn er glaubt, diese mit einer gehörigen Portion Küchenpsychologie und reichlich groben Strichen („Ersatzpatriotismus“) analysieren zu können. Hier findet sich kaum etwas, das über das Plakative hinausgeht und dem Leser Stoff zum Nachdenken oder vielleicht zur Reflektion gibt.

    Ich habe mir die verlinkten Texte von ML durchgelesen und war durchaus neugierig auf seine Darlegung. Sein Bild von Israel verrät überraschend spärliche Kenntnisse, die über das übliche 0815-Wissen des linken antiimperialistischen Lagers kaum hinausgehen. Seine Kritik ist ein Mischmasch aus rechten und linken Deutungen und Zitaten, wonach Israel eben ein „Siedler- und Kolonialstaat“ sei, basierend auf einem „biblischen Anspruch“. Ansonsten wirft er den „Israelverteidigern“ ein „naives, idealisiertes, faktenbefreites Bild von diesem Staat“ vor. Weiterhin hält Lichtmez Israel eine „Okkupation“ vor und die Bekämpfung des „militantesten Flügel des palästinensischen Volkes“, gemeint sind damit die diversen palästinensischen Terrororganisationen. Er selbst zeichnet natürlich ein absolut faktenbasiertes Bild von den Palästinensern im Gazastreifen und im Westjordanland und erzählt „von der Gewalt, der Unterdrückung, den Schikanen und Massakern[!], denen sie seit Jahrzehnten ausgesetzt sind …“ Auch hier wieder eine frappierende Gemeinsamkeit mit dem typischen Jargon von linksradikalen Gruppierungen. Gerne verwendet er (bes. im zweiten Teil seiner „Notizen über Israel“) Rechtsaußen-Begriffe wie „Schuldkult“, „Holocaust-Religion“, „Holocaustleine“; je nach Gusto mal mit, mal ohne Anführungszeichen, damit einerseits einer formalen Distanz Genüge getan ist und er andererseits vor allem die Erwartungshaltung seiner Leser befriedigen kann.

    Was der Autor, Marcus Ermler, in seinem Beitrag nochmals verdeutlicht hat, ist, dass der AfD trotz einiger zunächst sympathisch klingender Stellungnahmen (BDS, Hamas usw.) nicht zu trauen ist. Obiger Artikel ist ein fundierter Beleg dafür, dass man sich hier tunlichst keinen Illusionen hingeben sollte.

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