Tempelberg Jerusalem – eine Lektion in Geschichtsklitterung

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Gesamtansicht von Klagemauer und Tempelberg, Arabisches Viertel, Altstadt Jerusalem. Foto IMAGO / imagebroker
Gesamtansicht von Klagemauer und Tempelberg, Arabisches Viertel, Altstadt Jerusalem. Foto IMAGO / imagebroker
Lesezeit: 8 Minuten

Zum Vortrag von Dr. Joseph Croitoru zum Thema «Tempelberg und die israelische Politik» an der Volkshochschule Zürich am 26. April und 3. Mai 2021.

Ein Kommentar von Hanspeter Büchi

Geht es um das Thema Israel und Naher Osten, sind wir mit dem Problem konfrontiert, dass die Menschen häufig kaum über ein Basiswissen verfügen, das ihnen ein kritisches Hinhören ermöglichen würde. Nachdem etliche Medien seit Jahrzehnten eine Haltung gegenüber Israel vertreten, die nicht eben als ausgewogen bezeichnet werden kann, verwundert es daher nicht, beim Publikum zahlreiche Vorurteile gegen Israel anzutreffen. Dies bedeutet, dass vor allem israelkritische Referenten/Referentinnen auf offene Türen stossen und mit Applaus rechnen können. Aussagen, die keiner Überprüfung standhalten, können einfach und ungehindert verbreitet werden. So verfestigt sich in Sachen Nahostkonflikt über die Zeit ein Zerrbild. Auch Dr. Joseph Croitoru, ein deutscher Historiker, freier Journalist und Autor, erinnert an Simone de Beauvoirs Zitat, wonach die schlimmste Lüge die Auslassung sei.

Ausgangslage zum Thema

Speziell seit der Rückeroberung Ostjerusalems im Sechstagekrieg 1967 kommt es immer wieder zu Problemen und Spannungen auf dem Tempelberg, der heiligsten Stätte der Juden und der drittwichtigsten Stätte aus muslimischer Sicht. 1967 übertrug der israelische Verteidigungsminister Mosche Dayan die Verwaltung der muslimischen Heiligen Stätten der islamischen Waqf-Stiftung und verbot die Benutzung dieser Stätten für jüdische Gebete. Dieser Beschluss bildete den Status quo auf dem Tempelberg. So blieben Kontrolle und Aufsicht in muslimischer Hand, was sich noch nachteilig auswirken sollte. Das Rabbinat verbot Juden, sich auf dem Tempelberg aufzuhalten.

Dass mit den Jahren gerade säkulare Juden vermehrt auf den Tempelberg stiegen – eigentlich eine jüdische Angelegenheit – wurde von palästinensischer Seite zunehmend bekämpft. Auch gibt eine aktive jüdische Gruppierung, die in Erwartung des prophezeiten Dritten Tempels bereits verschiedene Tempelgerätschaften vorbereitet hatte, was jedoch keine Gefahr für den muslimisch verwalteten Tempelberg bedeutet. Doch die Geschichte zeigt, dass gerade die Al Aksa Moschee von muslimischen Führern, wie z.B. Amin Al-Husseini (Massaker Hebron 1929), mit dem Ruf «Die Al Aksa ist in Gefahr», gerne als Brandbeschleuniger für etwelche Ausschreitungen bis hin zu Gewaltexzessen gegen Juden benutzt wurde. In diesem Sinne wurde 2015 Präsident Abbas aktiv und klagte, Israel wolle den Status auf dem Tempelberg ändern. Dabei war er es, der darauf aus war, die Juden vom Tempelberg auszusperren. Abbas initiierte damit jene Jahre dauernde Welle von Messer- und Rammattacken mit Autos gegen Juden, eine schreckliche Zeit mit zahlreichen Opfern. Auch nach Abflauen dieser Attacken brauchte es jeweils wenig, um erneut von Gewalt begleitete Manifestationen seitens Palästinenser zu entfachen, die geradezu auf jede Gelegenheit dazu warten.

Was waren Inhalt und Stossrichtung der Ausführungen von Dr. Coitoru? Was nahm das Publikum mit nach Hause resp. was eben nicht?

Dr. Croitoru gab grundsätzlich der jüdischen Seite die Schuld an Problemen auf dem Tempelberg. Auffallend seine generelle Schonung der Fatah und der Hamas in Sachen Hetze und Terror gegen Israel. Wieder und wieder hörten die Zuhörer und Zuhörerinnen von jüdischen Provokationen, von angeblichen Plänen, dort erneut einen jüdischen Tempel zu errichten, usw.. Randgruppen wurden unnötig ins Zentrum gerückt, die Rede war von Tempeleiferern, militanten jüdische Siedlern, Tempelbergaktivisten, etc. Diese hätten die Palästinenser, so Croitoru, auch mit ihrem Anspruch auf einen grösseren Teil am Areal unter Druck gesetzt.. So waren sog. «unangemessene Aktionen» seitens Israelis ein Dauerthema, dafür wurde Wichtiges weglassen. Juden wurden als Quelle aller Unruhen dargestellt, die  auf diese Weise «Proteste» seitens Palästinenser auslösen würden. Proteste? Statt von «Protesten» würde man eigentlich besser von organisiertem Aufruhr, von Gewalt sprechen, hinter dem Fatah und Hamas stehen. Tatsache ist, dass beide weder den Staat Israel anerkennen, noch den Bezug der Juden zu Jerusalem und den Tempelberg. Davon hörte die Zuhörerschaft an der Volkshochschule Zürich jedoch nichts. Auch nicht, dass die immer noch gültige Charta der PLO die Vernichtung Israels zum Ziel hat.   

Der Referent erwähnt kurz den ab 1920 aktiven, berüchtigten Mufti Amin Al-Husseini. Eigentlich verdiente dieser mehr Aufmerksamkeit, nahm Al-Husseini doch bei den gegen die Juden gerichteten, von Gewalt begleiteten Ausschreitungen von 1929 die führende Rolle ein. In einigen Städten, vor allem in Hebron fanden grausame Massaker an Juden statt. Croitoru äusserte sich nur kurz und vage zu diesen Ereignissen und deren Ursachen, was der  historischen Bedeutung nicht Rechnung trägt.   

Schliesslich sprach Dr. Croitoru vom «sprunghaften Anstieg der jüdischen Einwanderung aus Nazideutschland», gegen die die Palästinenser protestierten. Dies ohne zu kommentieren, dass diese Proteste angesichts der Balfour-Erklärung von 1917 und des von ihm unerwähnt bleibenden Völkerbundmandats von 1922 grundsätzlich verfehlt waren. Denn die jüdische Einwanderung war das Grundelement, die Basis der geplanten jüdischen Heimstätte. Dr. Croitorus kritische Erwähnung des sog. Jerusalemgesetzes von 1980, das das vereinte Jerusalem als Hauptstadt Israels erklärte, liess den Schluss zu, dass er sich nicht allzu sehr mit der speziell im Völkerbundmandat thematisierten jüdischen Heimstätte befasst hatte, für die das Gebiet vom Jordan bis Mittelmeer, inkl. ganz Jerusalems, bestimmt war. Dieser zentrale Punkt würde eigentlich zur Pflichtlektüre gehören.   

Korrekt erwähnte Dr. Croitoru den arabischen Aufstand in Palästina 1936-39, um dann ohne Zwischenhalt kurz auf die Altstadt Jerusalems im Krieg von 1948 zu sprechen kommen. Leider liess er den geschichtlich wichtigen UNO-Teiljungsplan von 1947 aus, ein Vorschlag zur Aufteilung des Mandatsgebiet in einen jüdischen und einen arabischen Staat, der am Nein der Araber scheiterte. Am 14. Mai 1948 war dann der Staat Israel ausgerufen worden und nur 1 Tag später griffen fünf arabische Armeen Israel an, um es auszulöschen. Doch konnte sich Israel behaupten. Jordanien gelang es jedoch, Judäa/Samaria (das sog. Westjordanland) und den Ostteil Jerusalems zu besetzen (bis 1967), ein illegaler Akt. Erst hier setzte Croitoru das Thema wieder fort und meinte lapidar «Im Krieg 1948 war die Altstadt von Jerusalem an Jordanien gefallen, wobei das jüdische Viertel samt den Synagogen stark zerstört wurden. Nun, da war gar nichts «an Jordanien gefallen». Es war eine illegale Besetzung, die Jordanier erwarben damit kein Anrecht auf jüdisches Mandatsgebiet, im vorliegenden Fall auf Jerusalem. Diese völkerrechtlich wichtigen Tatsache dürfte in diesem Vortrag nicht fehlen.   

Dr. Croitoru sprach dann von der Eroberung der Altstadt Jerusalems (eigentlich war es eine Rückeroberung) durch Israel im Jahr 1967, erwähnte auch richtig die Verhandlungen über die künftigen Zuständigkeiten auf dem Tempelberg, auch das Verbot des Rabinats für Juden, den Tempelberg zu betreten. Doch säkulare Juden besuchten – so Croitoru – mehr und mehr den Tempelberg.    

Im Vortrag war wiederholt die Rede von jüdischen Provokationen, auch wurde Israels Politik kritisiert. Die Palästinenser würden sich durch die zunehmenden Besucherzahlen herausgefordert fühlen, war zu hören. Croitoru sprach vom wachsenden Strom militanter jüdischer Siedler…., von religiösen Aktivistinnen und Aktivisten und weiteren Besuchern des Tempelbergs, über die er sich wenig respektvoll äusserte. Dass gerade 2015 die Lage auf dem Berg erneut eskalierte, wurde vom Referenten wohl erwähnt. Nur verschwieg er die damals von PA Präsident Mahmoud Abbas initiierte, Jahre dauernde Welle von Messer- und Rammattacken mit Autos gegen Juden. Es war Abbas (nicht erreichtes) Ziel, Juden vom Tempelberg auszusperren. Es war eine Zeit des Terrors gegen jüdische Männer, Frauen und Kinder und bedeutete den Tod vieler. Doch von alldem erfuhr die Zuhörerschaft nichts. Ich fragte Croitoru nach den damals festgehaltenen, hasserfüllten Zitaten von Abbas gegen Juden und Israel. Doch er wusste von nichts.    

Auf meine Frage nach der Charte der PLO, die zur Vernichtung Israels aufruft, meinte Dr. Croitoru , die PLO habe ja Israel anerkannt, da seien Friedensverträge, die Sache mit der Charta sei komplett überholt…Nun, überholt ist eigentlich gar nichts, die Charta ist unverändert gültig. Auf Abbas regelmässige Aufforderung an die Palästinenser, Juden zu ermorden, angesprochen meinte Croitoru, dies sei ihm nicht bekannt, es gebe im Islam Kampfparolen….Die Palästinenser seien in derDefensive…. Antworten wie diese entsprechen nicht den Tatsachen, werfen ein wenig vorteilhaftes Licht auf den Referenten. Friedensverträge? Der Friedensprozess in Oslo verdiente eigentlich eine kritische Betrachtung angesichts der damals anhaltenden Hetze und des Terrors seitens Arafat, dessen Unterschrift nicht die Tinte wert war. Dass sich Arafat auch nicht an die Vereinbarung hielt, die Charta der PLO zu entschärfen, bestätigt dies. Solches und die von Abbas unverändert fortgeführte feindliche Politik gegenüber Israel, seine Glorifizierung von Mördern usw. widerspiegeln sich 1:1 im Konflikt um den Tempelberg.   

Zur Staatsgründung Israels: Laut Croitoru basiere der israelische Staat auf dem in der Unabhängigkeitserklärung Israels erwähnten UNO-Teilungsplan von 1947. Falsch, die Unabhängiekeitserklärung spricht klar von der Balfour-Erklärung und dem Völkerbundmandat. Doch lehnte Croitoru dies ab und war auch nicht bereit, den Text vorzulesen, in dem steht «Dieses Recht wurde am 2. November 1917 in der Balfour-Deklaration anerkannt und auch durch das Völkerbundsmandat bestätigt, das der historischen Verbindung des jüdischen Volkes mit dem Lande Israel und seinem Anspruch auf die Wiedererrichtungseiner nationalen Heimstätte internationale Geltung verschaffte». Prof. Sir Elihu Lauterpacht, Richter am Int. Gerichtshof hält fest, dass der UNO-Teilungsplan in der Unabhängigkeitserklärung nur als geschichtlich relevantes Element festgehalten ist, nicht mehr.

Dr. Croitoru zeigte sich wenig empfänglich für gewisse Bemerkungen und Fragen, die er als Versuche der Einflussnahme bezeichnete. Er war der Meinung «Ein Mitdiskutant versucht hier, die weltweit verachtete Sicht der israelischen Regierung zu vertreten», was kein sachliches Argument darstellte. Auf meinen Hinweis, dass Israel im Grunde die Westbank oder Jerusalem nicht «besetze», weil jene Gebiete nicht Teil eines anderen Staates gewesen waren – folgt keine Antwort, sondern Worte wie «Hier fast schon propagandistische Äusserungen aus rechten Kreisen, die gar nichts zur Sache tun» sowie  «Ich kriege jetzt immer mehr Äusserungen, Versuche, hier die Sicht der Regierung Netanyahu zu verbreiten». Dies war offenbar der Ersatz für sachliche Argumente. Wenn Dr. Croitoru am Schluss bemerkt «Wenn es noch andere Fragen gibt als die verengte Sicht von diesem Herrn….» sei es erlaubt, ein zusätzliches Fragezeichen hinter diesen Referenten zu setzen.   

Da das Allgemeinwissen um Israel nur spärlich vorhanden ist kommt der Wahl kompetenter Referenten zu diesem Thema grösste Bedeutung zu. Interessierte sind häufig Medien ausgesetzt, von denen in der Praxis nicht alle ein korrektes Bild des Nahostkonflikts vermitteln, vor allem was Geschichte und Völkerrecht betrifft.   

1 Kommentar

  1. Danke für den entlarvenden Bericht – und meinen Respekt, Herr Büchi, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, dem gefärbten Halbwissen eines deutschen Historikers(!) trotzdem sachlich entgegenzutreten. Es spricht für sich, dass der Vortragende auf Kritik anscheinend nichts als unsachliche Abwertungen zu bieten hat.

    Sandra Kreisler hat im Januar 2021 auf mena-watch schon eine kurze Notiz bzw. einen Podcast zu den „Erkenntnissen“ des Spiegel-Autoren Croitoru hinterlassen. Konsequenz: Er reagiert auch hier nicht etwa sachlich, sondern zieht sich zurück wie eine beleidigte Leberwurst und blockiert auf Twitter ihren Account (was die Kritikerin vermutlich gut verschmerzen konnte).

    Erstaunlich ist, dass es Nahost-Spezialisten dieses Niveaus immer wieder gelingt, eingeladen zu werden. Da bildet die VHS Zürich keine Ausnahme. Statt wirklichen Kennern greift man lieber zu einem der zahlreichen Ideologen, die sich hier berufen fühlen.

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