Seit der gewaltsamen Übernahme des Gazastreifens durch die Terrororganisation Hamas im Jahr 2007 hat Israel versucht, das Beste aus einer schlechten Situation zu machen. Eine militärische Rückeroberung kam nicht in Frage, da sich die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) zwei Jahre zuvor aus dem Gazastreifen zurückgezogen hatten und Israel nicht die Kontrolle über die anderthalb Millionen Einwohner des Gazastreifens übernehmen wollte.
von Doron Matza
Unter diesen Umständen wurde es als das geringste aller Übel angesehen, der Hamas zu erlauben, das tägliche Leben der lokalen Bevölkerung zu bestimmen und gleichzeitig ihre militärische Aufrüstung so weit wie möglich einzuschränken. Nicht zuletzt, weil die Kontrolle der Hamas über den Streifen eine rivalisierende politische Einheit zur PLO-dominierten Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) im Westjordanland schuf und damit die palästinensische Fähigkeit, Israel strategisch zu schaden, reduzierte.
In der Praxis schuf diese Politik eine komplexe und unsichere Situation. Einerseits reduzierte sie das explosive Potential des Gazastreifens und verbesserte die Fähigkeit der IDF, gegen die militärische Verankerung des Irans in Syrien und dessen Waffenlieferungen an die Hisbollah vorzugehen. Auf der anderen Seite schuf sie chronische Instabilität, die sich nicht nur im fortgesetzten Aufbau der Hamas, sondern auch in drei Kriegen mit der Terrororganisation (2008/9, 2012 und 2014) manifestierte. Diese Konfrontationen, neben anderen Manifestationen der Hamas-Gewalt (z.B. die Ausschreitungen entlang des Grenzzauns, die Brandballon-Terrorkampagne), legten die Fallstricke einer Strategie offen, die sich mit Zwischenlösungen begnügte, statt einen eindeutigen Sieg anzustreben.
Auch die Ad-hoc-Waffenstillstandsvereinbarungen und/oder der Zustrom katarischen Geldes in den Gazastreifen erreichten ihre Ziele nicht vollständig, da sie die zugrunde liegende Logik des Katz-und-Maus-Spiels zwischen Hamas und Israel nicht durchbrechen konnten. Die Hamas betrachtete diese Vereinbarungen als Freibrief für begrenzte terroristische Aktivitäten, die den allgemeinen Rahmen der so genannten „Ruhe“ nicht untergraben würden, während Israel die sogenannte „Belagerung“ um den Gazastreifen nicht ganz aufhob, um zu verhindern, dass die Hamas zu mächtig wird.
Und so schlitterten die Konfliktparteien in den jetzigen Krieg, der nicht wegen Jerusalem ausbrach (das höchstens ein Auslöser, wenn nicht gar ein Vorwand war), sondern wegen der bewussten Entscheidung der Hamas, vor dem Hintergrund von zwei parallelen Entwicklungen eine massive Gewaltdemonstration zu inszenieren:
- Der pragmatisch-nützliche regionale Trend des letzten Jahrzehnts, der in der Marginalisierung des palästinensischen Problems und der Unterzeichnung von Normalisierungsabkommen zwischen Israel und vier arabischen Staaten gipfelte.
- Die sich verändernde geostrategische Landschaft zum Nachteil Israels (und der sunnitischen arabischen Staaten), vor allem wegen der Beschwichtigungspolitik der Biden-Administration gegenüber dem Iran und ihrer Abkehr von Amerikas traditionellen Verbündeten im Nahen Osten im Allgemeinen und Israels Partnern im Zusammenhang mit den Abraham-Abkommen im Besonderen.
Die gegenwärtige Auseinandersetzung stellt Israel also vor ein gewichtiges Dilemma: Soll es die Strategie beibehalten, die zu längeren Perioden relativer Ruhe im Schatten eines chronischen Konflikts geführt hat, oder soll es eine neue Strategie verfolgen, die einen entscheidenden Sieg anstrebt. Dieser letztere Ansatz war im israelischen strategisch-militärischen Diskurs der letzten Jahrzehnte (wenn nicht sogar seit dem Oktoberkrieg 1973) nicht mehr vertreten. Er wurde durch eine „No Victory“-Strategie ersetzt, die Luftkampagnen durch Bodenangriffe auf den Gazastreifen ersetzte, wobei man sich der operativen Grenzen dieser Kampagnen sehr wohl bewusst war. Dieser Ansatz wurde durch die Leistungsfähigkeit des Iron-Dome-Raketenabwehrsystems, mit dem die Möglichkeiten von Hamas massiven Schaden anzurichten reduziert wurden, gestärkt. Was den öffentlichen Druck für einen massiven Bodenangriff auf Gaza senkte. Infolgedessen endeten alle drei Kriege zwischen Israel und der Hamas ergebnislos, in einer Art strategischem Unentschieden, das beide Kriegsparteien in einer „weder hier noch dort“-Situation zurückliess.
Unter diesen Umständen hat Israel nicht die Möglichkeit, auf einer Mittelwegstrategie zu beharren, die nicht dem Zeitgeist und den regionalen Veränderungen entspricht. Vielmehr muss es eine Strategie verfolgen, die den aktuellen Krieg als Chance sieht, die Spielregeln neu zu gestalten: nicht nur gegenüber der Hamas, sondern auch gegenüber anderen regionalen Feinden (Iran, Hisbollah, Palästinensische Autonomiebehörde und extremistische Elemente unter Israels Arabern) sowie vermeintlichen Freunden (wie der EU und der Biden-Administration, die sich bereits für einen „unparteiischen“ Ansatz einsetzt).
Das wiederum bedeutet, dass die gegenwärtigen Kämpfe in Gaza nicht mit einem weiteren ergebnislosen Ausgang enden dürfen, sondern vielmehr einen durchschlagenden Sieg hervorbringen müssen, der die Zerschlagung der Kampffähigkeiten der Hamas im Gazastreifen beinhaltet. Dies wird einen tiefen Einmarsch in den Gazastreifen erfordern, der erhebliche israelische Menschenleben kosten könnte – etwas, das Israel in den letzten Jahrzehnten zu vermeiden suchte. Aber es wird eine klare und unmissverständliche Botschaft an Feinde und Freunde gleichermassen senden, was Israels Toleranzgrenzen angeht, und besonders, was seine roten Linien und die damit verbundenen Kosten bei deren Überschreitung angeht.
Dr. Doron Matza ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des BESA Center und war früher in leitenden Positionen des israelischen Geheimdienstes tätig. Übersetzung Audiatur-Online.