Am 11. April 2021 gab die Atomenergie-Organisation des Irans (AEOI) bekannt, dass es in der Nuklearanlage Natanz einen Unfall gab, der einen Stromausfall verursachte. Ein paar Stunden später erklärte der Leiter der AEOI, Ali Akbar Salehi, dass es sich bei dem Unfall in Wirklichkeit um Sabotage handelte. Der Angriff führte zu einer Explosion, und nach Angaben des iranischen Geheimdienstministeriums sei ein Schuldiger identifiziert worden und werde gesucht.
von Dr. Ardavan Khoshnood
Dies ist nicht das erste Mal, dass die Natanz-Atomanlage unter Beschuss geraten ist. Der erste Anschlag soll im Jahr 2007 stattgefunden haben, als die Anlage in einem gemeinsamen israelisch-amerikanischen Cyberangriff ins Visier genommen wurde. Bei diesem Angriff wurde ein bösartiger Computervirus, Stuxnet, in die Systeme der Anlage eingeschleust, was zu schweren Schäden führte. Der letzte bekannte Angriff auf Natanz vor dem Stromausfall am 11. April war im Juli 2020, als eine Explosion in der Anlage den Zentrifugen schweren Schaden zufügte.
Der jüngste Angriff auf Natanz erfolgte nur einen Tag, nachdem das islamische Regime unter Verletzung des Gemeinsamen Umfassenden Aktionsplans (JCPOA oder allgemein als iranisches Atomabkommen oder Iran-Abkommen bekannt) aus dem Jahr 2015, hochentwickelte Zentrifugen zur Urananreicherung an dem Standort in Betrieb genommen hatte.
Während noch nicht geklärt ist, wer hinter dem Anschlag steckt, geben iranische Medien Israel die Schuld. Die Jerusalem Post schreibt, dass der israelische Geheimdienst Mossad in der Tat der wahrscheinliche Schuldige sei.
Warum erfolgte der Angriff?
Schon bevor Joe Biden die US-Präsidentschaftswahlen gewann, war für Iran-Experten klar, dass eine Regierung der Demokraten zum JCPOA zurückkehren würde, aus dem Präsident Trump während seiner Amtszeit ausgestiegen war. Die sunnitischen arabischen Staaten und Israel sind nicht zufrieden mit der Art und Weise, wie Präsident Biden und sein Sonderbeauftragter für den Iran, Robert Malley, auf den Iran zugehen. Viele Beobachter glauben, dass die USA bereit sind, alle Sanktionen gegen den Iran aufzuheben und blind zum JCPOA zurückzukehren.
Teherans Start seiner fortschrittlichen Zentrifugen zur Urananreicherung könnte der Grund gewesen sein, warum Israel beschlossen hat, Natanz jetzt anzugreifen. Es wird angenommen, dass der Angriff der Anlage genügend Schaden zugefügt hat, um das Atomwaffenprogramm des islamischen Regimes zu verzögern. Eine Warnung an Teheran, dass Israel diese Fortschritte nicht tolerieren wird. Der Angriff war auch ein Signal an die Biden-Administration, dass Israel seine Operationen im Iran fortsetzen wird, wie es dies für notwendig erachtet, unabhängig von irgendwelchen Vereinbarungen, die die USA mit dem Land treffen könnten.
Letzte Woche traf sich der Iran mit den Weltmächten in Wien, um das JCPOA zu besprechen. Die Verhandlungen werden nächste Woche wieder aufgenommen, und es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass sich der Iran und die USA ebenfalls treffen werden. Da Israel den JCPOA in seiner jetzigen Form ablehnt, könnte der Angriff auf Natanz eine Möglichkeit gewesen sein, den Druck auf Teheran zu erhöhen und gleichzeitig der Biden-Administration seine Position mitzuteilen.
Der Iran und die USA möchten die Gespräche vielleicht nicht in die Öffentlichkeit tragen, aber es besteht kein Zweifel, dass sie hinter verschlossenen Türen Gespräche führen. Angesichts der Fortschritte, die letzte Woche in Wien gemacht wurden, könnte es sehr gut sein, dass der Iran, die USA und die anderen Weltmächte bereits eine Vereinbarung getroffen haben, die die Aufhebung der Sanktionen und eine Rückkehr der USA zum JCPOA erleichtert. Wenn das der Fall ist, könnte der Angriff auf Natanz eine israelische Reaktion auf eine solche Vereinbarung zwischen den USA und dem Iran sein.
Wie wird der Iran antworten?
Der iranische Aussenminister machte Israel für den Angriff verantwortlich und sagte, der Iran werde Rache nehmen. Die iranische Zeitung Kayhan, die mit dem Obersten Führer verbunden ist, machte Israel, die USA und ungenannte europäische Staaten für den Angriff verantwortlich und sagte, der Iran müsse die JCPOA-Verhandlungen verlassen und Israel bestrafen.
Der Iran befindet sich in einer schwierigen Lage. Der Angriff auf Natanz ist nur einer in einer Reihe von Versäumnissen der Geheimdienste und der Spionageabwehr, die die Islamische Republik in den letzten Jahren erlitten hat. Obwohl sie ständig mit Vergeltung droht, hat Teheran dies bisher nicht getan. Wird es dieses Mal anders sein?
Das Regime versteht, dass eine harsche Reaktion die JCPOA-Gespräche gefährden könnte. Der Iran wünscht sich nichts sehnlicher, als dass die USA zu dem Abkommen zurückkehren, damit die lähmenden Sanktionen aufgehoben werden können. Rouhani wird daher versuchen, sowohl den Obersten Führer als auch die Spitzen des Korps der Islamischen Revolutionsgarden (IRGC) davon zu überzeugen, sich zurückzuhalten, bis die Wiener Gespräche beendet sind und die USA wieder in den JCPOA eingetreten sind. Dies ist für den iranischen Präsidenten, dessen Regierung seit langem unter heftigen Angriffen und Kritik von anderen iranischen politischen Fraktionen, einschliesslich des IRGC, steht, von entscheidender Bedeutung.
Da der jüngste Angriff auf Natanz ein weiterer demütigender Indikator für die schlechte Qualität der iranischen Sicherheits- und Geheimdienste ist, haben Rouhani und Co. möglicherweise weder die Macht noch den Willen, eine Reaktion des Regimes zu verhindern.
Dennoch, laut israelischen Quellen, wird der Iran wahrscheinlich vorerst noch kein Pulver verschiessen (oder nur sehr eingeschränkt Vergeltung üben), um weder die Biden-Administration noch israelfreundliche US-Demokraten zu provozieren, die sich von Bidens Pro-Iran-Politik abwenden könnten. Sobald die USA dem JCPOA wieder beigetreten sind, wird der Iran sich wahrscheinlich als frei betrachten, um heftigere Angriffe auf Israel und israelische Interessen auszuführen, entweder direkt oder durch seine schiitischen Stellvertreter-Milizen im Libanon (Hisbollah), Syrien, Irak oder Jemen.
Dr. Ardavan Khoshnood ist Kriminologe und Politikwissenschaftler mit einem Abschluss in Geheimdienstanalyse. Er ist ausserdem ausserordentlicher Professor für Notfallmedizin an der Universität Lund in Schweden. Auf Englisch zuerst erschienen bei Begin-Sadat Center for Strategic Studies. Übersetzung Audiatur-Online.