„Diagnose: Judenhass“ – Neues Buch über Antisemitismus

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Das Wort Antisemitismus in einem Wörterbuch. Foto IMAGO / Christian Ohde
Das Wort Antisemitismus in einem Wörterbuch. Foto IMAGO / Christian Ohde
Lesezeit: 3 Minuten

Eva Gruberova und Helmut Zeller betonen in ihrem neuen Buch, dass Antisemitismus schon immer da gewesen sei und aus der Mitte der Gesellschaft komme. Und sie berichten, wie Juden selbst mit dem Problem umgehen.

von Leticia Witte

Antisemitismus trifft Juden aus unterschiedlichen Ecken: Er kommt aus rechten und linken Milieus und von Muslimen. Aber nicht nur von diesen Gruppen. Mit den jeweiligen Ausprägungen beschäftigt sich das neue Buch „Diagnose: Judenhass. Die Wiederkehr einer deutschen Krankheit“ von Eva Gruberova und Helmut Zeller. Vor allem stellen sie fest: Antisemitismus war nach 1945 nie weg, und er kommt aus der Mitte der Gesellschaft – auch aus akademisch gebildeten Kreisen.

Die Autoren befassen sich mit einer Reihe antisemitisch motivierter Straftaten der vergangenen Jahrzehnte gegen Juden, Synagogen und Friedhöfe. Und auch mit Defiziten aufseiten von Polizei und Justiz bei der Aufklärung von Delikten und der Bestrafung von Tätern: insbesondere, wenn Ermittler und Richter kein antisemitisches Motiv erkennen. Das erinnert in gewisser Weise an das 2020 erschienene eindrucksvolle Buch „Terror gegen Juden. Wie antisemitische Gewalt erstarkt und der Staat versagt“ von Ronen Steinke.

Der Jurist Steinke arbeitet für die „Süddeutsche Zeitung“. Auch Zeller ist für diese Zeitung tätig, er leitet die Dachauer Redaktion. Gruberova ist freie Journalistin sowie Referentin in der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau.

Für ihr Buch schöpfen die beiden Autoren aus einer Fülle an Material zu Straftaten und anderen Vorkommnissen und zitieren aus Umfragen. Auch widmen sie sich der Geschichte des Antijudaismus der Kirchen. Dazwischen finden sich Zitate aus Gesprächen und reportagehafte Elemente. Diese Mischung ergibt einen informativen und dichten Text, führt hier und da jedoch zu Unübersichtlichkeiten.

Ein Gewinn sind die Passagen aus den Gesprächen quer durch die Republik. Zum Beispiel trafen die Autoren Schüler, junge Leute in Jugendclubs, einen Trainer für Selbstverteidigung und stellen Initiativen gegen Antisemitismus vor. Es geht auch um Erfolge und Grenzen des interreligiösen Dialogs.

Gruberova und Zeller halten fest: „Justiz und Polizei gehen meist nicht entschieden genug gegen antisemitische Übergriffe vor, im Bundestag sitzt eine Partei, in der antisemitische und die Shoah relativierende Ansichten offen ausgesprochen werden, und die Mehrheitsgesellschaft schaut weg.“ Auch sei es „symptomatisch“ für die Debatte, dass Judenfeindschaft nach aussen verlagert werde: „So bleibt es immer der Antisemitismus der anderen.“

Die Autoren zitieren eine Studie, wonach jeder vierte Deutsche gegen Juden eingestellt ist – „von diesen mehr als 20 Millionen Frauen und Männern kann man schwerlich behaupten, dass sie eine unbedeutende Minderheit sind“. Es wird daran erinnert, dass 2019 antisemitische Straftaten mit rund 2.000 erfassten Delikten den höchsten Stand seit Aufnahme der Statistik erreichten.

Viele Juden fühlen sich im Stich gelassen. So sagt Rabbiner Baruch Babaev: „Ich glaube, wenn jemand wirklich betroffen wäre, dann wäre seine Reaktion viel, viel intensiver. Wir haben das Gefühl, dass Menschen an einer Demonstration teilnehmen, sich dann vielleicht denken, okay, ich war da und habe etwas für mein Gewissen getan, und dann gehen sie wieder nach Hause. Wir aber bleiben mit dem Antisemitismus, dem Hass allein.“

Welche Rolle das Thema Sicherheit spielt, machen die Autoren im Zusammenhang eines Gesprächs mit Oskar Deutsch, Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, deutlich: „Die Wiener Gemeinde gibt 23 Prozent ihres Budgets für die Sicherheit aus, Geld, das zum Beispiel für die Jugendarbeit fehlt.“

Rapper Ben Salomo berichtet aus der Szene. „Ich bin absolut davon überzeugt, dass die deutsche Rapszene in weiten Teilen genauso antisemitisch ist wie der Rechtsrock.“ Anfangs nicht, „erst später, als der Anteil der muslimischen Migranten wuchs. Damit kamen die altbekannten Verschwörungstheorien rein, die meisten unter dem Deckmantel der Israelkritik.“ Zugleich sei die Deutschrapszene ein Spiegelbild der Gesellschaft – „aber eher der von morgen“.

Am Ende lassen die Autoren Rebecca Seidler aus Hannover „vielen unserer Gesprächspartnern aus der Seele“ sprechen: „Ich will einfach in Ruhe gelassen werden. Ich will mich nicht ständig rechtfertigen müssen, für mich, für mein Volk und für Israel.“

Gruberova, Eva, Zeller, Helmut, "Diagnose: Judenhass - Die Wiederkehr einer deutschen Krankheit", C.H. Beck, München 2021, 279 Seiten, 978-3-406-75589-7, 16,95 Euro, e-Book 12,99 Euro

KNA/lwi/joh