Ein «breites Bündnis» fordert den Bundesrat auf, «endlich ein nationales Mahnmal für die Opfer der Nazis zu schaffen». Unter den Initianten sind Vertreter des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds, der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft, des Archivs für Zeitgeschichte und des Zentrums für Jüdische Studien der Universität Basel. Die neue Gedenkstätte «soll vom Bund finanziert und getragen werden», als Standort bevorzugen die Initianten die Landeshauptstadt Bern. Das von einer Projektgruppe in den letzten zwei Jahren erarbeitete Konzept soll «in den kommenden Wochen dem Bundesrat übergeben» werden. Auf den ersten Blick ein nobler Gedanke.
Denn die offizielle Schweiz hat bezüglich ihrer Juden tatsächlich einen lausigen Trackrekord. Mit einem knappen Volksentscheid wurde am 14. Januar 1866 die Gleichstellung der teilweise seit Jahrhunderten ansässigen Schweizer Juden beschlossen, denen bis dahin die vollen Bürgerrechte vorenthalten wurden. 1802 kam es im «Zwetschgenkrieg» zu blutigen Pogromen, die «Judendörfer» Endingen und Lengnau wurden überfallen und geplündert. Während des Zweiten Weltkriegs überliess das Internationale Rote Kreuz unter dem Schweizer Präsidenten Carl Jacob Burkhardt die todgeweihten Juden in den deutschen Vernichtungslagern ihrem Schicksal. 1942 folgte die Grenzschliessung und Rückweisung der jüdischen Nazi-Verfolgten, der Judenstempel, die Nachrichtenlosen Vermögen.
Dass es mit der sogenannten «Emanzipation» der Schweizer Juden bis heute hapert, zeigte sich in der Äusserung von SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga, die 2016 anlässlich der Diskussion um die Sicherheitskosten jüdischer Gemeinden in der Schweiz erklärte, «eine Mitbeteiligung des Bundes an den Kosten von Sicherheitsmassnahmen» sei «per se nicht möglich». Der Bundesrat anerkannte in seinem Bericht über das «Engagement des Bundes gegen Antisemitismus» zwar die «berechtigte Sorge um die Sicherheit», empfahl jedoch, Schweizer Juden könnten «zur Finanzierung ihrer Sicherheitskosten eine Stiftung errichten», in der «jüdische Organisationen eine namhafte Summe als Vermögen für die Finanzierung von Sicherheitsmassnahmen ihren Mitgliedergemeinden widmen … ».
Juden haben an, in und wegen der Schweiz gelitten. Trotzdem bin ich gegen diese Gedenkstätte. Das liegt nicht zuletzt an einigen der involvierten Protagonisten. An vorderster Front dabei: SP-Alt Nationalrat Remo Gysin, der «nicht nur rückwärts schauen und gedenken» will, «sondern auch lernen für die Zukunft.» Viel hat er nicht gelernt. Gysin, der sich jetzt mit der Ehrung toter Juden profilieren will, machte sich 2002 für eine bundesrätliche «Erklärung zu Nahost» stark, in der Israel (Heimat der lebenden Juden) für die mörderischen palästinensischen Attentate auf jüdische Zivilisten verantwortlich gemacht wurde. 2020 empfahl Gysin die Israelkritikerin und BDS-Unterstützerin Heidi Mück für den Basler Regierungsrat. Auch die Landeskirchen tummeln sich unter den üblichen Verdächtigen dieses fragwürdigen Anliegens. Gleichzeitig jubeln katholische und reformierte Friedensbewegte, organisiert in Vereinigungen mit unverdächtigen Namen wie Heiligland, Pax Christi oder Frauen für den Frieden, regelmässig antiisraelischen Agitatoren wie Sumaya Farhat-Naser, Andreas Zumach oder Miko Peled zu, die in Kirchen und Gemeindehäusern eine Bühne für ihre Diffamierungen gegen den jüdischen Staat bekommen.
«Es geht uns um eine selbstbewusste Schweiz, die sich nicht davor scheut, in die Vergangenheit zu blicken und daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen», doziert Historikerin Sabina Bossert. Aber auch die offizielle Schweiz hat nichts gelernt. Während des Kriegs verschärfte Bundesrat Eduard von Steiger die Grenzkontrollen und Einreisebestimmungen für jüdische Flüchtlinge, «auch wenn den davon betroffenen ausländischen Zivilflüchtlingen daraus ernsthafte Nachteile (Gefahr für Leib und Leben) erwachsen könnten» und schickte Tausende Juden in den Tod. Heute finanziert der Bund mit hunderten Millionen Schweizer Steuerfranken militante antiisraelische NGO, die dem jüdischen Staat das Existenzrecht absprechen, zu Hass und Gewalt gegen Juden und Israel aufrufen und denen die Verbindung und Unterstützung von Terrororganisationen wie der Hamas oder der Volksfront zur Befreiung Palästinas nachgewiesen wurden.
Mein Vater, der jüdische Jazzer Oscar Klein, flüchtete als Kind mit seinen Eltern und seiner Schwester aus Österreich auf dem Seeweg in das Britische Mandatsgebiet «Palästina» – wo die Engländer den Flüchtlingen die Einreise verweigerten – über Italien in die Schweiz. Beinahe wäre die Flucht an der geschlossenen Schweizer Grenze zu Ende gewesen, der Tod so gut wie sicher. Doch mutige Schweizer Grenzer, die sich nicht um antijüdische Gesetze scherten, liessen sie passieren. Vor solchen nichtjüdischen Helden des zivilen Ungehorsams, von denen der Staat Israel viele als «Gerechte unter den Völkern» ehrte, sollte man sich in tiefster Demut verneigen. Aber mit dem Holocaust sollte kein wohlfeiler Ablasshandel betrieben werden.
Zuerst erschienen am 19. März 2021 im Nebelspalter.